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dem Bedürfnisse der Causalität, zu dessen Befriedigung sie hypothetisch vom Verstande der Materie beigelegt wurden, am vollkommensten genügen?

Da alle Wirkungen in der Natur auf Wechselwirkungen beruhen und zum Begriffe der letzteren die gleichzeitige Existenz von mindestens zwei Dingen erforderlich ist, welche nicht zugleich an demselben Orte sein können, so ist die Auflösung aller Naturerscheinungen in die Wechselwirkungen räumlich getrennter materieller Punkte keine Hypothese, sondern eine aus der begrifflich bestimmten Definition der Wechselwirkung resultirende Denknothwendigkeit. 1)

Die Form des Gesetzes, nach welchem sich die Intensität der Wechselwirkung mit der Entfernung zweier materiellen Punkte ändert, ist uns empirisch, d. h. durch die Erfahrung gegeben. Es resultirt aus der Beschaffenheit dieses Gesetzes die besondere Form der Raumanschauung, nach welcher intelligente und mit Empfindung begabte Wesen die Eindrücke der Aussenwelt behufs ihrer Orientirung interpretiren.

Auf diesem Wege hat sich für die menschliche Intelligenz auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Verstandesdie als solche nothwendig eine Ursache haben muss." (,,Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde." 3. Aufl. S. 52.)

HELMHOLTZ spricht dieselbe Behauptung im Jahre 1867 (Physiologische Optik. S. 453), ohne SCHOPENHAUER zu kennen und ihn daher als Autor zu citiren, mit folgenden Worten aus:

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Wir können überhaupt zu keiner Erfahrung von Naturobjecten kommen, ohne das Gesetz der Causalität schon in uns wirkend zu haben, es kann also auch nicht erst aus den Erfahrungen, die wir an Naturobjecten gemacht haben, abgeleitet sein."

In meinem Buche,,über die Natur der Cometen", 2. Aufl. 1872, habe ich zum Beweise, wie vollkommen die Uebereinstimmung der Deduction der Apriorität des Causalgesetzes bei SCHOPENHAUER und HELMHOLTZ ist, auf 6 eng gedruckten Seiten (S. 345-350) charakteristische Stellen aus den Schriften SCHOPENHAUER's und der „,physiologischen Optik“ von HELMHOLTZ gegenüber gestellt.

1) Ausführlicheres hierüber befindet sich in meiner Abhandlung „,über Wirkungen in die Ferne". Wissenschaftl. Abhandl. Bd I. S. 73 u. 76 ff.

Entwickelung die dreidimensionale Raumanschauung entwickelt. Die Beschaffenheit oder specielle Form dieser uns geläufigen Form der Raumanschauung enthält daher ausser dem aprioristischen Factor der Causalität einen rein empirischen, welcher sich in der Eigenschaft der statischelektrischen Kräfte und ihrer statischen Resultanten der Schwerkraft (vgl. Bd. I. S. 441) durch das Gesetz des umgekehrten Quadrates der Entfernung ausspricht.

Wäre dies empirisch erkannte Gesetz ein anderes, so würde hieraus auch eine andere Raumanschauung entsprungen sein, wie diese Erkenntniss béreits von KANT 1) in folgenden Worten ausgesprochen worden ist:

„Es ist leicht zu erweisen, dass kein Raum und keine Ausdehnung sein würden, wenn die Substanzen keine Kraft hätten ausser sich zu wirken. Denn ohne diese Kraft ist keine Verbindung, ohne diese keine Ordnung und ohne diese endlich kein Raum. Allein es ist etwas schwerer einzusehen, wie aus dem Gesetze, nach welchem diese Kraft der Substanzen ausser sich wirkt, die Vielheit der Abmessungen (Dimensionen) des Raumes herfolge."

,,Weil Alles, was unter den Eigenschaften eines Dinges vorkommt, von Demjenigen muss hergeleitet werden können, was den vollständigen Grund von dem Dinge selbst in sich enthält, so werden sich auch die Eigenschaften der Ausdehnung, mithin auch die dreifache Abmessung (Dimension) derselben, auf die Eigenschaften der Kraft gründen, welche die Substanzen in Rücksicht auf die Dinge, mit denen sie verbunden sind, besitzen."

,,Diesem zufolge halte ich dafür, dass die Substanzen in der existirenden Welt, wovon wir ein Theil sind, wesentliche Kräfte von der Art haben, dass sie in Vereinigung mit einander nach dem doppelten um gekehrten Verhältniss der Weiten ihre Wirkungen von sich ausbreiten; zweitens, dass das Ganze, das daraus entspringt, vermöge dieses Gesetzes die Eigenschaft der dreifachen Dimension habe; drittens, dass dieses Gesetz willkürlich sei, und dass Gott dafür ein anderes, zum Exempel des umgekehrten dreifachen Verhältnisses, hätte wählen können, dass endlich viertens aus einem andern Gesetze auch eine Ausdehnung von anderen Eigenschaften und Abmessungen (Dimensionen) geflossen wäre."

Eine Wissenschaft von allen diesen möglichen Raumesarten wäre unfehlbar die höchste Geometrie, die ein endlicher Verstand unternehmen könnte."

1) KANT'S Werke. Bd. V. p. 25. Vgl. Ausführlicheres im ersten Bande S. 220 ff. meiner wissenschaftl. Abhandl.

Wir messen die Intensität einer Kraft durch die Grösse ihrer Wirkung und betrachten nach den mechanischen Principien GALILEI's bei der Wechselwirkung zweier materiellen Punkte ihre relative Beschleunigung in der Zeiteinheit, als das Maass ihrer wechselseitig aufeinander ausgeübten Kraft. Die materiellen, d. h. mit träger Masse 1) begabten Punkte erlangen in Folge ihrer relativen Beschleunigung eine Eigenschaft, welche man ,,lebendige Kraft" genannt hat und die mechanisch definirt wird durch das halbe Product aus dem Quadrate der Geschwindigkeit und der trägen Masse der bewegten Punkte. Bei Annahme nur zweier Massenpunkte kann anschaulich nur von relativer lebendiger Kraft die Rede sei. Man hat in neuerer Zeit die lebendige Kraft auch „kinetische Energie" und die, in Gestalt von Impulsen auf der Bewegungsrichtung der beiden Punkte gedachten, Antriebe der Kraft als,, potentielle Energie" bezeichnet. Das sogenannte ,,Princip von der Constanz der Energie" oder der „Erhaltung der Kraft" sagt aus, dass für zwei, durch Wechselwirkung mit einander verbundene materielle Punkte die Summe der kinetischen und potentiellen Energie eine Constante sei. HELMHOLTZ sprach diesen Satz für ein System von materiellen Punkten im Jahre 1847 mit folgenden Worten 2) aus:

Es ist also stets die Summe der vorhandenen lebendigen und Spannkräfte constant. In dieser allgemeinsten Form können wir unser Gesetz als das Princip von der Erhaltung der Kraft bezeichnen.“

HELMHOLTZ fasst a. a. O. zwei Seiten später das Resultat seiner vorangegangenen Betrachtungen in folgenden Sätzen

zusammen:

1.,,So oft Naturkörper vermöge anziehender oder abstossender Kräfte, welche von der Zeit und Geschwindigkeit unabhängig sind, auf einander einwirken, muss die Summe ihrer lebendigen und Spannkräfte eine constante sein; das Maximum der zu gewinnenden Arbeitsgrösse also ein bestimmtes, endliches.

2. Kommen dagegen in den Naturkörpern auch Kräfte vor, welche von der Zeit und Geschwindigkeit abhängen, oder nach andern Richtungen

1) Ueber den Begriff von Masse und Trägheit vgl. Bd. I. S. 75 ff. 2) Ueber die Erhaltung der Kraft. Eine physikalische Abhandlung, vorgetragen in der Sitzung der physikalischen Gesellschaft zu Berlin am 23. Juli 1847 von Dr. H. HELMHOLTZ. Berlin (Reimer) 1847. S. 17.

wirken als der Verbindungslinie je zweier wirksamer materieller Punkte, also z. B. rotirende, so würden Zusammenstellungen solcher Körper möglich sein, in denen entweder in das Unendliche Kraft verloren geht oder gewonnen wird."

Es lässt sich leicht zeigen, dass in den Prämissen des ersten der oben aufgestellten Sätze ein Widerspruch enthalten ist. In der That, wenn HELMHOLTZ bei seinen Betrachtungen von der Annahme ausgeht,,,dass alle Wirkungen in der Natur zurückzuführen seien auf anziehende und abstossende Kräfte, deren Intensität nur von der Entfernung der auf einander wirkenden Punkte abhängt, "1) so leuchtet ein, dass ohne weitere Annahmen gar nicht von einem,,Maximum der zu gewinnenden Arbeitsgrösse" als einem,,bestimmten, endlichen" bei der Wechselwirkung zweier endlichen, in Punkten concentrirten, Massen gesprochen werden kann. Denn diese Punkte könnten sich ohne nähere Angabe über die kleinste endliche Entfernung, bis zu welcher sie sich durch ihre Anziehung einander zu nähern vermögen, auch bis zur Entfernung O nähern, wodurch dann die oben als eine,, bestimmte, endliche",,Constante" angenommene „Summe der lebendigen und Spannkräfte" einen unendlich grossen Werth erlangen würde. Nun führt aber die Anwendung des Unendlichkeitsbegriffes als einer vollendeten oder „,bestimmten" Grösse bei unseren Naturerklärungen stets zu Widersprüchen, wie dies bereits KANT und später GAUSS in folgenden Worten ausgesprochen 2) hat:

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,, Ich protestire zuvörderst gegen den Gebrauch einer unendlichen Grösse als einer Vollendeten, welcher in der Mathematik niemals erlaubt ist. Das Unendliche ist nur eine Façon de parler, indem man eigentlich von Grenzen spricht, denen gewisse Verhältnisse so nahe kommen als man will, während anderen ohne Einschränkung zu wachsen verstattet ist."

Soll daher der obigen Forderung von HELMHOLTZ genügt werden, d. h. soll bei der Wechselwirkung zweier Naturkörper, die vermöge anziehender oder abstossender Kräfte mit einander in Verbindung stehen, die Summe ihrer lebendigen

1) HELMHOLTZ, a. a. O. S. 1.

2) GAUSS, Briefwechsel mit SCHUMACHER. II. S. 271. (Vgl. wissensch. Abhandl. Bd. I. S. 231 u. 302.)

und Spannkräfte eine constante und daher das Maximum der zu gewinnenden Arbeitsgrösse ein ,,bestimmtes, endliches" sein, so muss die durch Wechselwirkung erzeugte ,, lebendige Kraft" als Aequivalent der von der Kraft geleisteten Arbeit gleichfalls eine bestimmte, endliche sein.

Da nun erstens die lebendige Kraft eine Function der Geschwindigkeit, und zweitens das Anwachsen der lebendigen Kraft eine Function der Beschleunigung ist, letztere aber nichts anderes als das Maass der Kraft ausdrückt, so folgt hieraus, dass Kräfte, welche der obigen Forderung genügen sollen, Functionen der Geschwindigkeit und Beschleunigung sein müssen. Dieser Bedingung genügt nun das WEBER'sche Gesetz und beseitigt demgemäss die obigen Widersprüche mit den Gesetzen unseres Denkens. Hierdurch erhält dieses Gesetz eine universelle Bedeutung für die verstandesmässige Interpretation aller Naturerscheinungen vom Standpunkte unserer gegenwärtigen VerstandesEntwickelung. W. WEBER hat in seinen neuesten Arbeiten die Begründung seines Gesetzes von den hier angedeuteten logischen Gesichtspunkten selber unternommen und erfolgreich durchgeführt. (Vgl. Princ. e. elektrodyn. Theorie d. Materie.)

So lange das WEBER'sche Gesetz nur auf die Bewegungen elektrischer Theilchen angewandt wurde, war es fraglich, in wieweit man berechtigt sei, dasselbe auch verallgemeinert auf ponderable Massen anzuwenden. WEBER selbst hatte zwar bereits in seiner ersten Abhandlung über diesen Gegenstand (1846) darauf hingewiesen, dass die aus einer solchen Generalisation seines Gesetzes hervorgehenden Abweichungen zwischen beobachteten und berechneten Erscheinungen nicht in den Bereich unserer Wahrnehmungen fallen würden. Vor 14 Jahren erschien über diesen Gegenstand eine ausführliche Abhandlung 1) ohne numerische Berechnung wirklicher Himmelserscheinungen. Erst vor 5 Jahren war ich im Stande, die folgenden numerischen Angaben mitzutheilen, welche ich der Güte meines Freundes und Collegen SCHEIBNER verdanke:

1) De motu perturbationibusque planetarum secundum legem electrodynamicam Weberianam solem ambientium. Scripsit C. SEEGERS. Gott. 1864.

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