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„Unter Beibehaltung des numerischen Werthes der WEBER'schen Constanten c könnte ein Unterschied höchstens in der Bewegung des Merkur beobachtet werden, indem hier eine saeculare Aenderung des Perihels von 6.73 Bogensecunden hervorgebracht würde. Bei der Venus betrüge dieser Einfluss nur noch 1.43 Secunden.“ 1)

Diese Angaben haben nach Verlauf kaum eines halben Jahres nach dem Erscheinen meines Buches eine vollkommen unabhängige Bestätigung in Frankreich erhalten, indem Herr TISSERAND am 30. September 1872 der französischen Akademie eine Abhandlung 2) mittheilte, in welcher er gleichfalls an Stelle des NEWTON'schen Gesetzes das elektrodynamische Gesetz WEBER'S auf die planetarischen Bewegungen anwendet. Hierbei findet Herr TISSERAND für die saeculare Aenderung des Perihels beim Merkur den Werth 6.28, bei der Venus den Werth 1.32 Secunden, also zwei Werthe, welche fast genau mit den oben von mir mitgetheilten übereinstimmen.

Ich darf daher heute mit noch grösserer Zuversicht als vor 6 Jahren die folgende Behauptung wörtlich wiederholen:

,, Die Bewegungen der Himmelskörper lassen sich durch das von WEBER für die Elektricitäten gefundene Gesetz innerhalb der Grenzen unserer Beobachtungen ebenso gut wie durch das NEWTON'sche Gesetz darstellen.

Da nun aber, wie gezeigt, das NEWTON'sche Gesetz als ein specieller Fall im WEBER'schen Gesetze enthalten ist und die Einwände betreffs der Zulässigkeit dieses Gesetzes vom Standpunkte des Princips von der Erhaltung der Energie beseitigt sind, so müsste nach den Regeln einer rationellen Induction das WEBER'sche Gesetz an Stelle des NEWTON'Schen Gesetzes für die Wechselwirkung ruhender und bewegter materieller Theilchen angenommen werden."")

Diese Erwägungen sind es gewesen, welche mich vor sechs Jahren veranlassten, in meinem Buche „über die Natur der Cometen" (Vorrede p. LII) die Behauptung auszusprechen:

,,Dass sich dem menschlichen Geiste das WEBER'sche Gesetz als ein Universalgesetz der Natur zu entschleiern beginnt, welches ebensowohl die Bewegungen der Gestirne als auch diejenigen der Elemente der Materie beherrscht."

1) Ueber die Natur der Cometen. Beiträge zur Geschichte u. Theorie der Erkenntniss. Leipzig 1872. S. 334.

2) TISSERAND, " Sur le mouvement des planètes autour du Soleil d'après la loi électrodynamique de WEBER. Compt. rend. 1872. Sept. 30. 3) Natur der Cometen u. s. w. S. 334.

2. Ueber das Verhältniss des Weber'schen Gesetzes

zum Ampère'schen Gesetze.

Der fundamentale Unterschied, welcher zwischen der von WILHELM WEBER im Jahre 1846 aufgestellten und in den verflossenen dreissig Jahren mit strenger Consequenz weiter entwickelten Theorie der elektrischen Erscheinungen und allen anderen bis dahin aufgestellten Erklärungsversuchen besteht, ist darin begründet, dass WEBER die atomistische Hypothese, d. h. die discontinuirliche Raumerfüllung der Materie zum Ausgangspunkte seiner Deductionen gemacht hat. Ich verzichte hier darauf, nochmals die zwingenden Gründe dieser Hypothese bei der gegenwärtigen Beschaffenheit unserer Anschauungsformen zu erörtern (Bd. I. S. 66). Ich gestatte mir nur darauf hinzuweisen, dass AMPERE selber,

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dessen empirisch gefundenes Fundamentalgesetz allen weiteren Theorien zum Ausgangspunkte dient, diese atomistische Anschauung vertreten hat und ganz unzweideutig den Weg im Voraus andeutete, welcher genau nach NEWTON'S Principien, allein von diesem empirischen Gesetze aus, zu dem von W. WEBER entwickelten Gesetze der Elektrodynamik führen musste, in vollkommen gleicher Weise wie NEWTON, Von den empirischen Gesetzen KEPLER'S ausgehend, zu seinem Gesetze der Gravitation geführt worden ist. Denn AMPERE beginnt die Einleitung zu seinen elektrodynamischen Untersuchungen 1) mit folgenden Worten:

1) Introduction de la Théorie des phénomènes électrodynamiques, uniquement déduite de l'expérience par ANDRÉ-MARIE AMPÈRE. Paris 1826. (Vgl. das Original in den Ergänzungen zu meinen Principien einer elektrodynamischen Theorie der Materie. Bd. I. S. 293 ff.

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, Die Epoche, welche die Arbeiten NEWTON's in der Geschichte der Wissenschaften bezeichnen, ist nicht allein diejenige der wichtigsten Entdeckungen, welche der Mensch über die Ursachen der grossen Naturerscheinungen gemacht hat; es ist auch die Epoche, wo sich dem menschlichen Geiste ein neuer Weg in denjenigen Wissenschaften erschlossen hat, deren Object das Studium jener Erscheinungen ist.

Bis dahin hatte man fast ausschliesslich die Ursachen in dem Antrieb eines unbekannten Fluidums gesucht, welches die materiellen Körper nach der Bewegungsrichtung ihrer eigenen Theilchen fortführte; und überall, wo man eine rotirende Bewegung sah, setzte man eine Wirbelbewegung (jenes unbekannten Fluidums) voraus.

NEWTON lehrte uns, dass diese Art von Bewegung, wie alle diejenigen, welche uns die Natur darbietet, durch den Calcül zurückgeführt werden müssen auf Kräfte, welche jederzeit zwischen zwei materiellen Theilchen in der Richtung ihrer geraden Verbindungslinie wirken, dergestalt, dass die von einem derselben auf das andere ausgeübte Wirkung gleich und entgegengesetzt derjenigen ist, welche dieses letztere zu derselben Zeit auf das erstere ausübt, und folglich, wenn man diese beiden Theilchen unveränderlich miteinander verbunden voraussetzt, keine Bewegung aus ihrer Wechselwirkung resultiren kann. Dies ist jenes Gesetz, welches heute durch alle Beobachtungen und durch alle Rechnungen bestätigt ist, und welches NEWTON in dem letzten der drei Axiome aussprach, die er an die Spitze seiner Philosophiae naturalis principia mathematica setzte. Aber es genügte ihm nicht, sich zu dieser hohen Conception emporgeschwungen zu haben, er wollte auch das Gesetz finden, nach welchem jene Kräfte sich mit der relativen Lage der Theilchen, zwischen denen sie wirksam sind, verändern, oder, was auf dasselbe hinausläuft, die Grösse derselben durch eine Formel ausdrücken.

NEWTON war weit davon entfernt, zu glauben, dass ein solches Gesetz gefunden werden könnte, indem man von mehr oder weniger plausibeln abstracten Betrachtungen ausging. Er statuirte, dass dasselbe aus beobachteten Thatsachen abgeleitet werden müsse, oder vielmehr aus jenen empirischen Gesetzen, welche, wie die KEPLER'schen, nichts anderes als verallgemeinerte Resultate einer grossen Zahl von einzelnen Beobachtungen sind.

Zuerst die Thatsachen beobachten, alsdann ihre Bedingungen so viel als möglich verändern und diese erste Arbeit mit genauen Messungen begleiten, um aus ihnen allgemeine, allein nur auf der Erfahrung beruhende Gesetze zu erschliessen, und endlich aus den so gewonnenen Gesetzen, unabhängig von jeder Hypothese über die Natur der Kräfte, welche die Erscheinungen hervorrufen, den mathematischen Ausdruck dieser Kräfte deduciren, d. h. die Formel, welche sie darstellt, das ist der Weg, welchen NEWTON eingeschlagen hat."

Es ist genau derselbe Weg, den auch W. WEBER in seinen Arbeiten verfolgt hat und der ihn zu jenem schönen

Endresultate geführt hat, welches die Nachwelt in der Entdeckung des fundamentalen Gesetzes einer jeden Wechselwirkung räumlich und zeitlich begrenzter Erscheinungen in gleicher Weise bewundern wird, wie die Entdeckung NEWTON'S. Wie sehr AMPERE die Erklärung der elektrodynamischen Phänomene durch ,, Wirbel", „, Wirbelfäden", 1),,vortex motions", 2) „vortex atoms“, 3) „rotirende Kräfte") und dgl. m. (vgl. Bd. I. S. 91) auf Grund jener GALILEI-NEWTON'schen Principien bekämpfte, mögen noch folgende Worte beweisen, in denen er die Entdeckung OERSTEDT's erwähnt:

,,Jener ausgezeichnete Gelehrte, welcher zuerst beobachtete, wie die Pole eines Magnetes durch die Wirkung eines Leiters senkrecht zu der Richtung des Leiters fortbewegt wurden, schloss daraus, dass die elektrische Materie um den letzteren rotire und hierdurch die Pole im Sinne ihrer Bewegung fortschiebe, genau in derselben Weise, wie CARTESIUS das Fluidum seiner Wirbel im Sinne der planetarischen Umlaufsbewegungen rotiren liess. Ich aber habe, geleitet von den Principien der NEWTON'schen Philosophie, das von Herrn OERSTEDT beobachtete Phänomen, wie man es bei allen anderen Erscheinungen derselben Gattung gethan hat, welche uns die Natur darbietet, zurückgeführt auf Kräfte, welche stets in der Richtung der Geraden wirken, welche die beiden Theilchen verbindet, zwischen denen sie wirken." 5)

W. WEBER hat diesen von AMPERE eingeschlagenen Weg nur weiter bis zum Ende verfolgt, indem er die beweglichen Leiterelemente der AMPERE'schen Formel auf die Bahnelemente beweglicher Punkte zurückführte, d. h. auf die einfachsten Elemente unserer räumlichen Anschauung.

Dass AMPERE selber bereits die volle Wichtigkeit dieses weiteren Schrittes erkannte, welchen WEBER auf dem Wege zur Erkenntniss der Wahrheit gethan hat, und daher auch

1) HELMHOLTZ, BORCHARDT's Jornal. Bd. 78.

2) MAXWELL, Treatise on Electricity and Magnetism. Vol. II. p. 416. 1873. On Vortex Atoms. Proceedings of the Royal Society of Edinburgh. 1866-1867. p. 94–105. (Vgl. wiss. Abhandl. Bd. I. S. 125.) 3) WILLIAM THOMSON, Papers on Electrostatics and Magnetism. 1872. 4) HELMHOLTZ, POGGENDORFF'S Annalen. Bd. 153. S. 549. 1874.

5) Vgl. den Originaltext in meinen ,,Principien einer elektrodynamischen Theorie der Materie". Bd. 1. S. 294.

die Nothwendigkeit einer weiteren Erklärung seines empirischen Gesetzes einsah, beweisen folgende Worte:

,,Welches auch die physische Ursache sein möge, auf welche man die durch diese (elektrodynamische) Wirkung hervorgebrachten Erscheinungen zurückführen will, die Formel, welche ich erlangt habe, wird immer der Ausdruck der Thatsachen bleiben. Wenn man dahin gelangt sein wird, jene Wirkungen aus einer derjenigen Betrachtungen abzuleiten, durch welche man so viele andere Erscheinungen erklärt hat, z. B. durch Anziehungen im umgekehrten Quadrate der Entfernungen u. s. w.... so wird man einen Schritt weiter auf diesem Gebiete der Physik gethan haben; aber diese Untersuchung, mit der ich mich gar nicht beschäftigt habe, obgleich ich die volle Wichtigkeit derselben anerkenne, wird nichts an den Resultaten meiner Arbeit ändern, weil es zur Uebereinstimmung mit den Thatsachen stets erforderlich sein wird, dass die angenommene Hypothese mit meiner Formel übereinstimmt, welche jene Thatsachen so vollständig darstellt."

In der That, wenn man diese Worte AMPERE'S und den von WEBER mit einer solchen Stetigkeit zurückgelegten Weg betrachtet und gleichzeitig die Fruchtbarkeit der so klaren und einfachen Principien GALILEI's und NEWTON's erwägt, welche in der Astronomie und in allen physikalischen Theilen der Naturwissenschaft einen nie geahnten Sieg errungen haben, so macht es auf unsern Verstand einen beunruhigenden Eindruck, wenn das vom Himmel vertriebene Fluidum des CARTESIUS sich zwischen die Atome und Molecüle der Körper geflüchtet hat, um hier in unseren Tagen von Neuem sein sinnverwirrendes Wesen zu treiben. Indessen auch hier ist der Tag der Befreiung angebrochen, und wir brauchen nach dem ruhmvollen Siege der NEWTON'schen Principien in der Astronomie an ihrem endlichen Siege auch in der Physik und Chemie nicht zu verzweifeln.

Diejenigen aber, welche mit dem mechanisch und gedankenlos angewandten Instrumente ihrer mathematischen Analyse die Natur der Körper durch Fluida und deren Wirbel zu ergründen hoffen, mögen die folgenden Worte von ROGER COTES beherzigen, welche derselbe in seiner berühmten Vorrede zu NEWTON's unsterblichen Principien an die Vertreter solcher Wirbeltheorien gerichtet hat:

,,Diese mögen an ihrer Ansicht Freude finden, jedoch müssen sie auch billig handeln, und anderen die Freiheit nicht versagen, welche sie für

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