Page images
PDF
EPUB

LVI.

Die theoretische Grenze für die Leistungsfähigkeit der Mikroskope.

Aus Poggendorff's Annalen. Jubelband 1874. S. 557–584.

Die Frage, ob und wie weit noch Fortschritte in der 557 Leistungsfähigkeit der Mikroskope gemacht werden können, ist für viele Zweige der Naturwissenschaft von allergrösstem Interesse. Fortschritte sind allerdings immer noch gemacht worden, namentlich durch die von Herrn Hartnack mit so viel Glück wieder aufgenommene Idee der Amici'schen Immersionslinsen, aber freilich nur noch in sehr kleinen und zögernden einzelnen Schritten. Wir sind offenbar schon bei einem Zustande angekommen, wo jede kleinste neue Verbesserung nur noch durch einen unverhältnissmässigen Aufwand von geistiger und mechanischer Arbeit zu erreichen ist. Und doch wusste man, so viel ich sehe, bisher keinen Grund dafür anzugeben, warum es so sein sollte, ausser der etwas allgemein gehaltenen Vorstellung, dass die sphärische Abweichung so kleiner und stark ge- 558 krümmter Linsen, wie sie in den Objectivsystemen stark vergrössernder Mikroskope nothwendig sind, schwer zu beseitigen ist. Vor nicht langer Zeit erst hat Herr Listing1), einer der ausgezeichnetsten Kenner dieses Gebietes, die Mittel discutirt, durch welche man zu Vergrösserungen von 2500 oder selbst 50000 Mal gelangen könnte, während die praktisch brauchbaren Vergrösserungen bisher zwischen 400 und 800 ihre Grenze zu finden pflegen.

1) Poggendorff's Annalen, Bd. 136. S. 467. 473.

Die aus den vielfältigen Versuchen der praktischen Optiker hervorgehende Erfahrung hat ferner gelehrt, dass stärkere Vergrösserungen mit guter Sehschärfe nur durch solche Instrumente zu erreichen sind, bei denen der von jedem Objectpunkt in das Objectivlinsensystem fallende Strahlenkegel eine sehr grosse Apertur hat. Man ist allmälig vorgeschritten bis zur Construction von Instrumenten, bei denen Strahlen, welche fast senkrecht gegen die Axe gerichtet sind, in das Objectivglas eintreten und zum Ocular hingelenkt werden. Freilich geschieht das nur, wenn die untere Seite der Objectivlinse mit Luft in Berührung ist; dann dringen in der That in die besten Immersionslinsensysteme Strahlen ein, welche bis 8712° gegen die Axe geneigt sind. Dieser Winkel reducirt sich indessen auf etwa 48°, wenn das Instrument in normaler Weise gebraucht wird, sodass Wasser zwischen Objectiv und Deckgläschen eingeschaltet wird. Immerhin ist der genannte Winkel viel grösser, als man ihn in dem Linsensystem eines Teleskops oder einer photographischen Camera obscura zulassen würde, weil bei so schrägen Incidenzen die sphärischen Abweichungen selbst in den sorgfältig berechneten und genau auszuführenden Linsen dieser Instrumente unerträglich gross werden würden. Warum ist nun trotzdem in den Mikroskopen ein breiter einfallender Lichtkegel vortheilhafter als ein schmaler grösserer Helligkeit, der dieselbe Menge Licht in das Instrument liefert? Die bisherigen Beantwortungen dieser Frage scheinen mir nicht genügend zu sein. Denn die sogenannte Penetration, das heisst die Fähigkeit des Instrumentes, Körper, deren Brechungsvermögen sehr wenig von dem ihrer 559 Umgebung abweicht, deutlich schattirt zu zeigen und erkennen zu lassen, hängt nur von dem Verhältniss ab zwischen der Oeffnung des beleuchtenden Strahlenkegels und der Oeffnung des in das Instrument fallenden Kegels. Eine hinreichend starke Schattirung kann man durch Verengerung des ersteren mittels Blendungen immer hervorbringen; nur kann man relativ weitere Blendungen unter dem Object anwenden, wenn auch der in das Objectiv fallende Strahlenkegel breiter ist.

In der That ist nun in den zusammengesetzten Mikroskopen eine Ursache vorhanden, welche unter den hier ge

gebenen Bedingungen viel stärkere Abweichungen der Strahlen von ihrem Brennpunkte hervorbringt als die chromatische und sphärische Aberration, und welche gerade bei engen Lichtkegeln sich am meisten geltend macht. Das ist die Diffraction des Lichtes. Wenn dieselbe auch vielleicht gelegentlich als Ursache für Verschlechterung des Bildes erwähnt worden ist, habe ich nirgends eine methodische Untersuchung über die Grösse ihres Einflusses gefunden. Eine solche Untersuchung zeigt aber, dass die Diffraction der Strahlen mit steigender Vergrösserung nothwendig und unausweichlich wächst, und dem mikroskopischen Sehen eine unübersteigbare Grenze zieht, der unsere besseren neueren Instrumente sogar schon ziemlich nahe gekommen sind.

Dass die Dunkelheit und Diffraction des mikroskopischen Bildes mit steigender Vergrösserung nothwendig zunehmen müssen, und zwar unabhängig von der besonderen Construction des optischen Instrumentes, beruht auf einem allgemeinen Gesetz der optischen Instrumente, welches zuerst für beliebige Zusammenstellungen unendlich dünner Linsen Lagrange1) aufgestellt hat. Dasselbe ist aber, wie es scheint, fast unbekannt geblieben, vielleicht deshalb, weil er es in Form von Gleichungen aufgestellt hat, deren Coefficienten keine leicht zu veranschaulichende Bedeutung haben. Ich selbst habe das betreffende Gesetz in etwas allgemeinerer Form (nämlich für centrirte Systeme brechender Kugelflächen mit beliebigen einfach brechenden Medien dazwischen) in meiner Physiologischen Optik 9 S. 50 abgeleitet und mich bemüht, ihm eine leicht 560 anschauliche physikalische Deutung zu geben.

Ich recapitulire hier zunächst kurz das bezeichnete Theorem und seinen Beweis.

Dasselbe gilt für jedes centrirte System kugeliger brechender oder spiegelnder Flächen, durch welches Strahlen unter so kleinen Einfallswinkeln gehen, dass das System von punktförmigen Objecten punktförmige Bilder entwirft, das heisst also: homocentrische Strahlen homocentrisch bricht. Ein cen

1) Sur une loi générale d'Optique. Mémoires de l'Académie de Berlin. 1803. Cl. de Mathém. p. 3. Siehe oben S. 95 und 96.

561

trirtes System nenne ich ein solches, in welchem die Krümmungsmittelpunkte sämmtlicher brechenden oder spiegelnden Kugelflächen in einer geraden Linie, der Axe des Systems, liegen. Wir denken uns vor einem solchen System einen leuchtenden Punkt in der Axe gelegen, der einem zur Axe senkrechten ebenen Objecte a' a" (Fig. 22) angehört, und von dem Strahlen durch das optische System gehen, wir nennen den Winkel zwischen einem dieser Strahlen und der Axe des Systems den Divergenzwinkel des betreffenden Strahles. Wird durch die Axe und den Strahl eine Ebene gelegt, so ist diese die Einfallsebene des Strahles bei der nächsten Brechung und wird denselben Strahl also auch nach der nächsten Brechung und somit auch nach jeder folgenden Brechung enthalten. Von dieser Ebene, die von der Axe in zwei Hälften getheilt wird, rechnen wir die eine Hälfte als positiv, die andere als negativ, und dem entsprechend den Divergenzwinkel des Strahles als positiv oder negativ, je nachdem der Strahl gegen die positive oder negative Hälfte der Ebene hin fortschreitet. Sind diese Festsetzungen gemacht, so ist der besprochene Satz folgender:

Theorem.

Das Product aus dem Divergenzwinkel eines beliebigen Strahles, dem Brechungsverhältniss des Medium, durch welches er sich zur Zeit bewegt, und der Grösse des Bildes, welchem die durch das betreffende Medium sich bewegenden Strahlen angehören, bleibt in einem centrirten Systeme kugeliger brechender und spiegelnder Flächen bei jeder Brechung unverändert, wenn überhaupt die Bedingungen für die Entwerfung genauer Bilder eingehalten sind.

Es wird das genannte Product also nach dem Austritt der Strahlen aus dem System noch denselben Werth haben wie vor dem Eintritt in dasselbe.

Beweis. Es sei a b ein Stück der Axe des Systems, hh eine der brechenden Flächen, c ihr Krümmungsmittelpunkt, a der Convergenzpunkt der (nöthigenfalls verlängerten) auf hh'

einfallenden Strahlen, b der Vereinigungspunkt der von hh' gebrochenen Strahlen, ƒ der vordere, g der hintere Hauptbrennpunkt der Fläche hh'. Es sei ferner das Brechungsverhältniss

[merged small][ocr errors][merged small][merged small]

des vor hh' liegenden Medium n', das des dahinter liegenden n"; den Divergenzwinkel im ersteren Medium für den durch hgehenden Strahl, h' ah bezeichnen wir mit a', den im zweiten Mediumhbh mit a"; die Grösse des Bildes aa", welches den Strahlen des ersten Medium angehört, mit B', des Bildes -bb" für das zweite Medium mit ". Wir haben zunächst wegen Aehnlichkeit der Dreiecke aa" c und bb" c:

[blocks in formation]

Andererseits wenn wir das sehr kleine Bogenstück hh' der brechenden Fläche als eine zur Axe senkrechte gerade Linie betrachten:

[blocks in formation]

oder, wenn wir, was hier wegen der Kleinheit der Winkel erlaubt ist, statt der Tangenten die Winkel setzen:

[merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors]

Multipliciren wir die Gleichung (1) mit (2), so ergiebt dies:

[blocks in formation]

(2)

(3)

Nun ist aber nach den bekannten Gesetzen der Brechung 562 an einer Kugelfläche, deren Radius her, der Werth ihrer

[merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small]
« ՆախորդըՇարունակել »