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XLIX.

Ueber die Theorie der zusammengesetzten Farben.

Aus: Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. Bd. 87. S. 45-66. J. Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrgang 1852. S. 461-482. Habilitationsschrift.

Die Lichtstrahlen verschiedener Wellenlänge und Farbe 45 unterscheiden sich in ihrer physiologischen Wirkung dadurch wesentlich von den Tönen verschiedener Schwingungsdauer und musikalischer Höhe, dass je zwei der ersteren, gleichzeitig auf dieselben Nervenfasern einwirkend, eine einfache Empfindung hervorbringen, aus welcher auch das geübteste Sinnesorgan nicht mehr die einzelnen zusammensetzenden Elemente erkennen kann, während zwei Töne durch ihr Zusammenwirken zwar die eigenthümlichen Empfindungen der Harmonie und Disharmonie erzeugen, aber dabei doch stets vom Ohre einzeln empfunden und erkannt werden. Diese Vereinigung der Eindrücke zweier verschiedener Farben zu einem einzigen neuen Farbeneindruck ist offenbar ein rein physiologisches Phänomen und hängt nur von der eigenthümlichen Reactionsweise des Sehnerven ab. Objectiv im rein-physikalischen Gebiete findet eine solche Vereinigung niemals statt, die Strahlen verschiedener Farben gehen vielmehr stets ohne allen gegenseitigen Einfluss neben einander her, und wo sie dem Auge auch vereinigt erscheinen sollten, sind sie durch physikalische Mittel stets von einander zu scheiden.

Die Untersuchung des Zusammenwirkens der Farben hat auf die Lehre von den Grundfarben geführt, aus denen alle anderen combinirt wären, oder wenigstens combinirt werden

könnten. Man hat diese Lehre aber von Anfang an nur auf eine einzige Art von Erfahrungen gegründet, nämlich auf diejenigen, welche durch die Mischung der Farbstoffe gewonnen waren und von denen man stets annahm, dass sie dieselben Resultate geben müssten wie die Zusammensetzung des ge46 färbten Lichtes selbst, eine Annahme, deren Unrichtigkeit ich im Folgenden nachzuweisen beabsichtige.

Schon Plinius spricht davon, dass die ältesten griechischen Maler mit vier Farbstoffen alles darzustellen gewusst hätten, während man in seiner Zeit deren viel mehr besässe und damit doch nicht so viel, wie Jene, leistete. Leonardo da Vinci, ebenso berühmt als wissenschaftlicher Bearbeiter der Malerei, wie als Künstler, kennt noch nicht die Lehre von den drei sogenannten Grundfarben, er nennt ausser Schwarz und Weiss, welche jedoch nicht im eigentlichen Sinne Farben wären, vier, nämlich Gelb, Grün, Blau und Roth. Die nachher allgemein angenommenen drei Grundfarben, Roth, Gelb und Blau, finden sich, und zwar, wie es scheint, als eine damals allgemein anerkannte wissenschaftliche Thatsache, einem Versuch zur Classification der Farben und Farbstoffe von Waller zu Grunde gelegt in den Philosophical Transactions des Jahres 1686, also noch vor Newton's Untersuchungen über die Zerlegung des weissen Lichts durch das Prisma, zu einer Zeit, wo man eben noch keine andere Methode Farben zusammenzusetzen kannte, als die Mischung der Farbstoffe. Auch in den späteren Versuchen, die natürlichen Farben nach ihrer Zusammensetzung aus den genannten drei Grundfarben zu classificiren, von Castell, dem Astronomen Mayer, Lambert, Hay, Forbes') wird überall die Mischung der Farbstoffe zu Grunde gelegt. Als Repräsentanten der Grundfarben und zur Darstellung der zusammengesetzten Mischfarben gebraucht Mayer Zinnober, Königsgelb, Bergblau, Lambert Carmin, Gummi-Gutti und Berliner-Blau, welche schon reinere

1) P. Castell, Farbenclavier. Mayer, in Göttinger gel. Anzeigen. 1758. St. 147 J. H. Lambert, Beschreibung einer Farbenpyramide. Berlin, 1772. (Darin ist auch die ältere Literatur zusammengestellt.) D. R. Hay, Nomenclature of Colours. J. D. Forbes in Philosophical Magazine Vol. XXXIV. p. 161.

Mischungen geben, und Hay, dessen Geschicklichkeit in der Wahl und dem Gebrauche der Farben für diesen Zweck 47 Forbes besonders rühmt, Carmin, Chromgelb und französisches Ultramarin.

Einige Physiker versuchten es auch, den drei Grundfarben eine objective Existenz anzuweisen. Es war zuerst Mayer, der die Ansicht aufstellte, den drei Grundfarben könnten wohl dreierlei verschiedene Arten Licht, ein rothes, ein gelbes und ein blaues entsprechen, deren jedes Strahlen von allen Abstufungen der Brechbarkeit lieferte. Es wäre demnach an jeder Stelle des Spectrums rothes, gelbes und blaues Licht gemischt, die sich aber nicht durch ihre Brechbarkeit unterschieden und sich deshalb durch das Prisma nicht trennen liessen.

Am rothen Ende des Spectrums sollte das rothe Licht überwiegen, am blauen das blaue, in der Mitte das gelbe. Dieselbe Ansicht wurde später von D. Brewster aufgestellt, und dieser berühmte Physiker glaubte durch Absorption in gefärbten durchsichtigen Mitteln die Trennung der verschiedenen Arten des Lichtes in allen Theilen des Spectrums wirklich bewerkstelligen zu können.

Newton hatte, nach seiner Entdeckung der Zusammensetzung des weissen Lichtes aus farbigem, sieben Hauptfarben im Spectrum angenommen: Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett. Er wählte diese Zahl wahrscheinlich wegen der Analogie, die er zwischen den Farben und den musikalischen Intervallen der Durtonleiter suchte, und die er auch der bekannten Eintheilung seiner siebenfarbigen Scheibe zu Grunde legte. Wohl nur deshalb hat er Blau und Indigoblau unterschieden. Dass er diese Unterscheidung gerade in den blauen Farbentönen vornahm, liegt wohl daran, dass die meisten Prismen die blaue Hälfte des Spectrums unverhältnissmässig ausdehnen, und Newton die Breite der Farbenstreifen unmittelbar mit den musikalischen Intervallen vergleichen wollte. Uebrigens musste er sich mit sehr unvollkommenen Apparaten behelfen, und konnte deshalb auch nur wenige Beobachtungen über die Resultate künstlicher Vereinigung von zwei oder mehreren prismatischen Farben anstellen, welche im Ganzen mit den aus der Mischung von Farbstoffen entnommenen übereinzu- 48

stimmen schienen. Auch er benutzt daneben die Resultate der Vermischung farbiger Pulver.

Newton hat seine Spectra stets mit Sonnenlicht dargestellt und nicht die Methoden angewendet, welche nöthig sind um ganz vollständige Trennung der verschiedenfarbigen Strahlen zu erhalten, deshalb auch nicht die Fraunhofer'schen Linien im Sonnenlichte gesehen. Wollaston1) stellte zuerst ein so reines Spectrum dar, dass einige dieser Linien darin gesehen werden konnten. Er blickte nach einer feinen Spalte, welche Tageslicht einfallen liess, durch ein sehr gutes Flintglasprisma mit unbewaffnetem Auge hin, und sah, wie es unter diesen Umständen in der That der Fall ist, vier gut abgegrenzte Farbenstreifen im Spectrum: Roth, Gelbgrün, Blau und Violett. Es ist nämlich der Uebergang yon röthlichem Orange durch Orange und Gelb in Gelbgrün, der von Grün in Blau und von Blau in Violett im Flintglasspectrum so schnell, dass er ohne Anwendung eines vergrössernden Fernrohres dem Auge fast verschwindet. Dabei begrenzen die Fraunhofer'schen Linien Gund H das Violett auf beiden Seiten sehr scharf, der Uebergang von Grün in Blau wird durch die Linien b und Fmarkirt, und der an sich schon sehr schmale Streifen des reinen Gelb ist im reflectirten Himmelslichte verhältnissmässig lichtschwach, sodass es gegen das stärkere Roth und Grün zurücktritt, und diese beiden Farben unmittelbar aneinander zu grenzen scheinen. Wollaston nimmt deshalb vier Grundfarben an: Roth, Grün, Blau, Violett.

Thomas Young tritt Wollaston's Beschreibung des Spectrums bei und verändert darnach seine Theorie des Farbensehens, welche er zuerst auf die gewöhnlich angenommenen drei Grundfarben: Roth, Gelb und Blau gegründet hatte, indem er dafür jetzt Roth, Grün und Violett setzt, wobei man voraussetzen muss, dass er gewusst habe, aus prismatischem 49 Roth und Grün lasse sich Gelb, aus prismatischem Grün und Violett Blau mischen. Die erwähnte Theorie von Young ist wichtig, weil darin den drei Grundfarben eine bestimmte physiologische Bedeutung untergelegt wird. Er nimmt an, dass die

1) Philos. Transact. 1802. P. II. p. 378.

an der Oberfläche der Retina gelegenen Theilchen eigenthümlicher Schwingungen fähig wären, und dass an jeder Stelle Theilchen von dreierlei verschiedener Schwingungsdauer sich neben einander vorfänden, entsprechend den Oscillationsgeschwindigkeiten der drei Grundfarben, Violett, Grün und Roth, welche im Verhältniss wie 7, 6 und 5 ständen. Wäre die Schwingungszahl eines Lichtstrahls 5, so würde er bloss auf die rothempfindenden Nervenenden wirken; wäre sie 51/2, so würde er gleichzeitig die roth- und die grünempfindenden anregen und dadurch die gemischte Empfindung des Gelb hervorbringen u. s. w.

Uebrigens habe ich ebenso wenig wie Forbes, bei Newton's Nachfolgern bis in die neueste Zeit Versuche über die Mischung einzelner prismatischer Farben gefunden. Es scheint, dass man die Sache stets durch die Mischversuche mit farbigen Pulvern als vollständig erledigt angesehen hat. Ja, man hat sich sogar durch abweichende Resultate, welche der Farbenkreisel gab, nicht darauf aufmerksam machen lassen, dass hier Schwierigkeiten verborgen liegen.

Die Zurückführung der Farben auf drei Grundfarben hat bei den verschiedenen Beobachtern dreierlei verschiedenen Sinn:

1) entweder, dass die Grundfarben solche seien, aus denen alle möglichen anderen zusammengesetzt seien, oder sich mindestens zusammensetzen liessen;

2) oder, wie bei Mayer und Brewster, dass die Grundfarben dreierlei objectiven Arten des Lichtes entsprächen;

3) oder, dass sie, wie bei Thomas Young, dreierlei verschiedenen Grundempfindungsarten der Sehnervenfasern entsprächen, aus denen die übrigen Farbenempfindungen sich zusammensetzten.

Auf die zweite Ansicht und die Gründe, wodurch Brewster 50 sie zu stützen versucht hat, werde ich an einem anderen Orte zurückkommen, und glaube im Stande zu sein diese Gründe zu widerlegen. Die beiden anderen Ansichten müssen aber jedenfalls an den prismatischen Farben, als den reinsten und gesättigtesten, welche wir kennen, geprüft werden. Das soll die Aufgabe vorliegenden Aufsatzes sein.

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