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Augen an gerade entgegengesetzten Seiten des Gesichtsfeldes erscheinen.

Was nun in dem speciellen Falle von dem genannten Bogen des Müller'schen Kreises gilt, gilt in dem allgemeineren Falle, wie leicht ersichtlich, gerade ebenso von demjenigen Stücke der Curve, welches zwischen den beiden Knotenpunkten liegt. In diesem Stücke der Curve schneiden sich zwar auch identische Richtungslinien, aber es ist das nach hinten über die Netzhaut hinaus verlängerte Stück der einen, welches das vordere Stück der entsprechenden Richtungslinie im anderen Auge schneidet, während ein reelles Object, das einfach gesehen werden soll, im Schnittpunkte der vor dem Auge gelegenen Theile identischer Richtungslinien sich befinden muss.

Ich will nun deshalb, weil Hr. Hering diesen Punkt übersehen hat, ihm nicht nachsagen, wie er es mir im entsprechenden Falle gethan hat, dass das Allgemeinergebniss seiner Rechnung über den Horopter unrichtig sei. Im Gegentheile kann ich seine Behandlung des Problems meinen Lesern nur als sehr elegant, übersichtlich und vollständig anempfehlen; freilich ist die Assymmetrie der beiden Netzhäute, welche einen sehr wichtigen Einfluss auf die Gestaltung des Horopters hat, nur sehr nebenbei berücksichtigt worden.

Auch muss ich einräumen, dass in der ersten vorläufigen Notiz, die ich in den Verhandlungen des hiesigen naturwissenschaftlichen Vereins1) über meine Untersuchungen, den Horopter betreffend, gegeben habe, derselbe gegeben ist durch eine Gleichung vierten und eine zweiten Grades. Ich hatte damals noch nicht bemerkt, dass zwei Gleichungen nur zweiten Grades 161 genügend seien. In der schliesslichen ausführlichen Redaction meiner Untersuchungen habe ich diese vereinfachte Darstellung noch vor Hrn. Hering's entsprechenden Untersuchungen gegeben und veröffentlicht.

Was die vielen anderen Ausstellungen betrifft, die Hr. Hering an meinen Arbeiten über Augenbewegungen und Ho

1) Sitzung vom 24. October 1862, abgedruckt in den Heidelberger Jahrbüchern.

ropter zu machen findet, so behalte ich mir vor, diejenigen, wo sachliche Erläuterungen oder die Beseitigung von Missverständnissen nöthig erscheinen, in meinem nun bald vollendeten Handbuch der Optik zu berücksichtigen.

Nur einen Punkt noch muss ich gleich erörtern. Ich habe in meinem Aufsatze über die Augenbewegungen1) gesagt, Hr. Hering habe die richtige Behauptung aufgestellt, dass der Horopter immer linienförmig sei". In diesen Worten findet Hr. Hering die Insinuation, er habe es zwar behauptet, aber nicht erwiesen, und vertheidigt sich dagegen. Ich bedaure sehr, dass meine in ganz unverfänglicher und wohlmeinender Absicht geschriebenen Worte eine solche Deutung erleiden konnten, und erkläre daher hier ausdrücklich, dass auch meiner Meinung nach Hr. Hering im dritten Hefte seiner Beiträge einen vollkommen genügenden Beweis für diesen von ihm selbstständig und unabhängig von meiner gleichzeitigen Arbeit gefundenen Satz gegeben habe.

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Zusatz (1882). Wenn durch einen Raumpunkt zwei verschieden gerichtete einfach gesehene Linien gehen, so gehört er nothwendig dem Punkthoropter an (S. 448). Wenn aber die verschiedenen Werthen von und 1 [Gleichung (4) und (4a)] entsprechenden Schnittlinien alle zusammenfallen, ist dies nicht mehr nothwendig. Dies geschieht aber für den Werth == 0. Die entsprechende Schnittlinie ist die der n 1 beiden Aequatorialebenen, und diese ist also nicht Horopter, selbst abgesehen von den physiologischen Gründen, die eine Bestimmung über Identität der Netzhautpunkte für die Aequatorialebenen des Auges unmöglich machen.

1) Archiv für Ophthalmologie. Bd. IX. 2. S. 159.

Helmholtz, wissensch. Abhandlungen. II.

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LXIX.

Ueber den Einfluss der Raddrehung der Augen auf die Projection der Retinalbilder nach Aussen.

Aus den Verhandlungen des naturhistorisch-medicinischen Vereins zu
Heidelberg. Bd. III. S. 170-171. Vom 25. November 1864.

(Das Manuscript wurde am 10. März 1865 eingereicht.

Die Regel, dass die gesehenen Objecte in Richtung der Visirlinien des Auges nach Aussen projicirt werden, erleidet gewisse Ausnahmen. Wenn man bei parallel gestellten Gesichtslinien ein nicht unendlich weit entferntes Object betrachtet, so sieht man dieses in Doppelbildern, und doch, wie namentlich Hr. E. Hering neuerlich mit Recht hervorgehoben hat, in natürlicher Grösse und Entfernung vom Auge, woraus nothwendig folgt, dass diese Doppelbilder in falscher Richtung projicirt werden. Wenn man ein entferntes Object mit einem Auge fixirt, während das andere geschlossen ist, und man dann ohne die Fixationsrichtung des offenen Auges zu verändern, die Convergenz beider Augen vermehrt, so tritt eine Scheinbewegung der fixirten Objecte nach der Seite des offenen Auges hin ein. Hr. E. Hering hat den hierher gehörigen Erscheinungen den empirischen Ausdruck gegeben, dass wir die Objecte so projiciren, als wenn die Netzhautbilder sich in einem in der Mitte zwischen beiden wirklichen. Augen gelegenen ideellen Auge befänden, dessen Gesichtslinie nach dem Convergenzpunkte der beiden wirklichen Gesichtslinien gerichtet wäre.

Der Vortragende glaubt, dass diese Erscheinungen zu erklären sind daraus, dass wir beim gewöhnlichen Sehen keine bewusste Trennung der Eindrücke beider Augen vollziehen und die Richtung der Gegenstände daher auch nicht auf je ein oder das andere Auge, sondern auf den Kopf und dessen Mittelebene beziehen lernen.

In Beziehung dagegen auf die Raddrehungen der Augen geht Hr. E. Hering von der Annahme aus, dass die Projection der Objecte immer so vollführt wird, als ob gar keine Raddrehung da wäre. In dieser Beziehung verhält es sich indessen ganz ähnlich wie bei den Seitenbewegungen der Augen. Der Vortragende hat gefunden, dass wenn er mit parallelen Gesichtslinien durch schwarze Röhren sieht und einen bezeichneten Durchmesser derselben vertical zu stellen sucht, er ihn auch bei secundären und tertiären Stellungen der Gesichtslinien so stellt, dass er einen verticalen Faden deckt; nicht aber, wenn er dasselbe mit convergenten Gesichtslinien thut. Auch hier tritt eine auffallende scheinbare Lagenänderung eines solchen Durchmessers ein, wenn man mit einem Auge durch die Röhre bei parallelen Gesichtslinien blickt und den Durchmesser horizontal oder vertical stellt, dann die Augen bei ungeänderter Richtung des fixirenden Auges zur Convergenz bringt. Es lassen sich auch hier die 171 Erscheinungen im Ganzen so beschreiben, dass man die Objecte so sieht, wie das Hering'sche ideelle Cyklopenauge sie sehen würde, wenn es die normalen Drehungen eines Auges mitmachte, welches auf den Convergenzpunkt der beiden Gesichtslinien gerichtet ist, und dessen Drehung also immer nahehin dem Mittel aus den Raddrehungen beider Augen zusammen genommen entsprechen würde.

Der Vortragende hatte früher diesen Einfluss der Convergenz nicht bemerkt. Der Versuch über die scheinbare Concavität von geraden Linien, die mit stark seitlich gewendetem oder stark gehobenem oder gesenktem Blicke durchlaufen werden, gelingt desto besser, je näher sie dem Beobachter sind. je grössere Convergenz sie also fordern, während bei sehr weit entfernten geraden Linien die Täuschung schwindet.

Der Inhalt der vorstehenden Aufsätze LXIV. bis LXIX. ist in der vom Verfasser am 14. April 1864 vor der Royal Society zu London gehaltenen Croonian Lecture zusammengefasst; diese hier in Uebersetzung wiederzugeben erschien deshalb unnöthig. Eine weitere Ausarbeitung derselben Gegenstände giebt sein,,Handbuch der Physiologischen Optik".

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LXX.

Das Telestereoskop.

Aus Poggendorf's Annalen der Physik und Chemie.
Bd. 102. S. 167-175. 1857.1)

Das Netzhautbild jedes einzelnen menschlichen Auges stellt eine perspectivische Projection der im Gesichtsfelde befindlichen Gegenstände dar. Da der Standpunkt, von welchem diese Projection aufgenommen ist, für beide Augen desselben Individuum etwas verschieden ist, sind auch die beiden perspectivischen Bilder selbst nicht ganz identisch, und ihre Verschiedenheiten benutzen wir, wie die stereoskopischen Versuche lehren, um uns daraus ein Urtheil über die verschiedene Entfernung der dargestellten Objecte vom Auge zu bilden. Nun sind die Abbildungen desselben Gegenstandes auf beiden Netzhäuten desto mehr von einander verschieden, je näher der Gegenstand den Augen steht. Bei sehr entfernten Gegenständen, gegen deren Entfernung die Distanz der Augen ver169 schwindend klein ist, verschwindet auch der Unterschied der Bilder, und für solche geht uns also dieses Hülfsmittel, die Entfernungen der Gegenstände zu schätzen und ihre körperliche Gestalt zu erkennen, verloren.

Man kann sich davon namentlich an fernen Gegenständen von unregelmässiger Form, z. B. den die Aussicht begrenzenden Bergzügen, überzeugen. Die letzteren erscheinen stets wie eine uns kreisförmig umgebende, am Horizont gerade aufsteigende Wand; wir erkennen nichts von den Wölbungen,

1) Eine vorläufige Notiz gab schon Pogg. Ann. Bd. 101. S. 494.

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