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IV. Untersuchungen über den Elektrophor; von Wilhelm von Bezold.

Die folgenden Zeilen enthalten eine Untersuchung, welche

ihrem Hauptinhalte nach bereits in zwei Abhandlungen in den Sitzungsberichten der k. bayer. Akad. d. Wiss. veröffentlicht wurde 1) und welche ich hier mit Zusätzen besonders auch mit sorgfältigerer Berücksichtigung der Literatur, wiedergebe. Die ganze Arbeit verdankt ihren Ursprung einer gelegentlichen Aeufserung meines Collegen Beetz, welcher mich gesprächsweise darauf aufmerksam machte, dafs die Versuche über das elektrische Verhalten eines Elektrophorkuchens nicht immer mit jener Sicherheit gelingen, welche man bei einem Apparate erwarten sollte, dessen Functionen man vollkommen zu kennen glaubt. Da ich damals gerade mit meinen vor Kurzem beschriebenen Versuchen über die elektrische Entladung beschäftigt war, und deshalb das empfindliche Pulvergemisch aus Schwefel und Mennige bei der Hand hatte, so lag es mir nahe, dieses Gemisch sofort zur Prüfung des Elektrophorkuchens anzuwenden. Ich kam dabei nicht nur zu der Ueberzeugung, dafs man in diesem Pulvergemische wirklich ein vortreffliches Mittel besitzt, um das Spiel dieses Apparates zu erforschen, sondern auch zu der anderen, dafs dieses Spiel noch lange nicht so vollständig ergründet ist, als man im Allgemeinen annimmt.

Die heut zu Tage herrschende Theorie des Elektrophors stammt bekanntlich von Riefs her, und sie ist es, welche man in allen Lehrbüchern wiederfindet.

Diese Theorie besteht im Wesentlichen darin, dafs sich in dem Elektrophorkuchen während des Reibens drei Schichten bilden: zwei gleichnamige an den beiden Oberflächen und eine entgegengesetzt elektrische im Innern. Von diesen drei Schichten soll die eine auf die Bodenplatte über1) Sitzung vom 2. Juni 1870 und vom 7. Januar 1871.

gehen, so dafs nun mehr zwei ungleichnamige auf dem Kuchen zurückbleiben, durch deren Zusammenwirken sich alsdann sämmtliche Erscheinungen nach bekannten Gesetzen erklären lassen. Zwischen Kuchen und Schild soll im Allgemeinen kein Uebergang von Elektricität stattfinden, ausgenommen den Fall, in welchem die Elektrisirung des Kuchens eine bestimmte Gränze überschreitet.

Diese Theorie enthält zwei sehr bedenkliche Punkte: Erstens lässt sich der Versuch, auf welchen Riefs seine Annahme von den drei Schichten stützt, eben so gut anders und zwar einfacher erklären, als es von ihm geschehen ist, und

zweitens sieht man ohne besondere Begründung durchaus nicht ein, weshalb ein Uebergang von Elektricität nur zwischen Kuchen und Bodenplatte nicht aber zwischen Schild und Kuchen stattfinden soll.

Im Folgenden soll nun zuerst gezeigt werden, dafs der ersterwähnte Versuch wirklich anders erklärt werden mufs. Dann aber soll an der Hand der Thatsachen eine möglichs vollständige Theorie aufgestellt werden, wobei dann auch der zweite Punkt eine einfache Erledigung finden wird.

Es liegt in der Natur der Sache, dafs hiebei auch die bereits bekannten Fundamentalversuche an diesem Apparate abermals, wenn auch mit einigen Abänderungen, wiederholt und im Zusammenhange vorgetragen werden mussten, um für die theoretische Behandlung eine ausreichende Basis zu gewinnen. Ganz neu und für die Theorie von höchster Bedeutung scheinen mir jedoch die als dritter und vierter aufgeführten Versuche.

Ehe jedoch von diesen Versuchen selbst gesprochen wird, mufs ich eine kurze Erörterung über die Methoden vorausschicken, welche man bei derartigen Untersuchungen anwenden kann, um Klarheit zu gewinnen über die Bedeutung, welche das Pulvergemisch für diesen Zweck besitzt.

Diese Betrachtung soll deshalb als erster einleitender Abschnitt den beiden anderen eben bezeichneten vorangehen.

I.

§. I. Um das Verhalten der einzelnen Theile eines elektrisirten Isolators zu untersuchen, hat man bisher vorzugsweise zwei Hülfsmittel angewendet. Man hat nämlich entweder den Körper direct an ein Elektroskop angelegt, oder wenn diefs unthunlich war, eine Probescheibe zur Uebertragung benutzt.

Die Angaben, welche man auf diese Weise erhält, müssen mit grofser Vorsicht benutzt werden, wenn sie nicht zu Fehlschlüssen führen sollen.

Gesetzt man erhalte nach Anlegen eines elektrisirten Körpers (etwa eines Elektrophorkuchens) an den Knopf eines Elektroskopes einen positiven Ausschlag, so darf man daraus noch durchaus nicht den Schlufs ziehen, dafs sich an der untersuchten Stelle des betreffenden Körpers wirklich positive Elektricität befinde.

Ein solcher Ausschlag lehrt nur, dafs an der betreffenden Stelle negative Elektricität angezogen und positive abgestofsen wird. Bleibt der Ausschlag bestehen auch nach Entfernung des Körpers, so ist zugleich entweder positive Elektricität auf das Elektroskop oder negative auf den Körper übergegangen.

Man erfährt demnach durch das Elektroskop nur den Sinn der an dem betreffenden Punkte wirkenden Kraftcomponente.

Zu noch viel gröfseren Fehlschlüssen kann die Anwendung der Probescheibe führen. Eine solche kann bekanntlich auf zweierlei Weise benutzt werden, entweder berührt. man mit der beständig isolirten Scheibe zuerst den zu prüfenden Körper und dann das Elektroskop, oder man verbindet dieselbe während der ersten Berührung einen Augenblick leitend mit der Erde. Im ersteren Falle kann es eintreten, dafs die abgehobene Scheibe gar keine Eletricität besitzt, selbst wenn an der berührten Stelle solche vorhanden, oder anderweitig vertheilte Mengen wirklich eine Scheidungskraft an der fraglichen Stelle ausgeübt hätten. Es handelt sich nämlich hiebei einzig und allein darum,

ob die Kraft, welche zwischen dem Isolator und der Probescheibe thätig ist, hinreichende Stärke besitzt, um einen Uebergang von Elektricität zwischen beiden zu gestatten. Nur wenn diefs der Fall ist, kann man auf diesem Wege überhaupt eine elektroskopische Anzeige erhalten, welche aber alsdann wiederum nichts anderes angiebt als die Richtung der Kraft, welche normal zur Probescheibe wirk

sanı war.

Die Prüfung mit Hülfe des momentan abgeleiteten Scheibchens ist vorzugsweise dann anwendbar, wenn die wirkenden Kräfte zu klein sind, um einen Uebergang zwischen Körper und Scheibe zu gestatten. Dann wird die abgestofsene Elektricität durch die mit der Erde verbundene Leitung entfernt, und nur die angezogene bleibt zurück, und giebt alsdann einen Ausschlag am Elektroskope. War hingegen die Wirkung auf das Scheibchen zu stark, so wird. die dünne Luftschicht zwischen dem zu prüfenden Körper und der Probescheibe von Funken durchbrochen, und man erhält nachher keine oder zu schwache Anzeigen von Elektricität. Selbstverständlich erhält man auch hiebei nur Angaben über den Sinn der wirkenden Kraft ohne irgend welche Andeutung über den Sitz derselben. Rückschlüsse auf die Gröfse dieser Kraft sind vollkommen unzulässig, da man nur selten mit Sicherheit wissen kann, ob in dem betreffenden Falle die dünne trennende Luftschicht als vollkommener Isolator gewirkt hat oder ob sie von Funken durchbrochen wurde.

Riefs legt den Angaben der auf die zuletzt beschriebene Weise benutzten Probescheibe eine ganz andere Bedeutung bei. In seiner Abhandlung über die Doppelinfluenz usw.) sagt er (S. 218) bei Gelegenheit der Untersuchung einer einseitig mit Stanniol belegten Paraffinscheibe: »Auf ihre Paraffinfläche wurde eine Probescheibe (von 10 Lin. Durchmesser aus dem dünnsten Kupferblech, das an einem Glasstabe befestigt war) gesetzt, ableitend berührt, isolirt abgehoben und an einem Säulenelektroskope 1) Diese Annalen Bd. CXXXI, S. 215 bis 236.

geprüft. Gab das Elektroskop negative Elektricität an, so war die untersuchte Stelle der Paraffinscheibe positiv elektrisch, und negativ, wenn das Elektroskop positive Elektricität angab.

Bedenkt man jedoch, dafs eine solche Scheibe auch negative Elektricität angeben würde, wenn man sie nur in der Luft einem positiv geladenen Körper mehr oder weniger nähern, einen Augenblick ableitend berühren, und dann in grofse Entfernung von diesem Körper bringen würde, so sieht man sofort ein, dafs diese Auffassung unhaltbar ist.

Gerade der Versuch I, den Riefs a. a. O. beschreibt, müfste genau ebenso ausfallen, wenn man sich die Paraffinplatte durch eine Luftplatte ersetzt dächte, d. h. wenn man das Paraflin ganz aufser Spiel liefse und nur der vorher durch Influenz geladenen Stanniolfläche die Probescheibe bis auf gewisse Entfernung nahe brächte, sie momentan ableitend berührte und dann an das Elektroskop anlegte.

Durch eine an einem isolirenden Stabe befestigte nur im Augenblicke der Untersuchung ableitend berührte Probescheibe erfährt man demnach nur den Sinn der in die Normale des Scheibchens fallenden Componente der elektrischen Gesammtkraft, vorausgesetzt, dafs sämmtliche wirkenden Elektricitätsmengen auf ein und derselben Seite der erweiterten Ebene des Probescheibchens liegen. Hat man mit einem solchen Scheibchen eine Fläche berührt, und findet man alsdann nach dem Abheben das Scheibchen positiv elektrisch, so weifs man, wenn alle wirkenden Elektricitätsmengen sich auf der der Fläche zugewandten Seite des Scheibchens befanden, dafs senkrecht zu dieser Fläche eine Kraft thätig war, welche positive Elektricität in dem Sinne der nach einwärts gerichteten Normalen der Fläche zu bewegen suchte.

Die unrichtige Deutung der Angaben einer solchen Probescheibe wurde die Veranlassung, dafs man eine Reihe von Erscheinungen als Influenzerscheinungen (sogenannte Doppelinfluenz) aufgefafst hat, welche im Grunde nichts ande

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