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nem Urtheil nach ) schuldlos von ihnen zum Töde verurtheilt worden war →→→ hinzuseßt: „er glaube alles dieß eben so zu hören, wie Personen, die mit der kory: bantischen Buth befallen seyen, ein Getön von Fisten zu hören glauben; und der Laut dieser Reden halle so stark in ihm, daß er nichts anders davor hören könne." Uebrigens war's nicht wohl möglich, weder die Schönheit des Worts personare, noch das Scherzhafte, das (wie ich vermuthe) in dem Beywort purgatam aurem liegt, im Deutschen schicklich auszudrücken. Denn ich glaube nicht, daß Horaz · bey seinem gereinigten Ihr an die philosophische Reinigung der Seele, qua proprio et innato nobis vigore ad similitudinem Dei traducimur, wovon Cruquius hier träumt, gedacht habe: sondern daß er nur einem etwa zu besorgenden glatten Spaß des Macenas auf eine gleich scherzhafte Art habe zuvorkommen wollen.

(4) Man würde unrecht haben, wenn man dieses vers meintliche eigne Geständniß unsers Dichters für die Meinung derjenigen anführen wollte, welche die Poesie für bloßes Spielwerk, und eines weisen Mannes, besonders in einem gewissen Alter, unwürdig halten. Denn daß Horaz die Uę? bung der Dichtkunft mit dem Quid Verum atque Decens curare sehr wohl habe zusammenreimen können, sieht man ́aus seiner Epistel an den Lollius, aus der Sokratischen Philosophie, die er den jungen Dichtern in der Epistel an die Pisoneu empfiehlt, und aus vielen andern Stellen seiner Werke. Die meisten Ausleger fehlen darin, daß fie ihm alles, was er sagt, immer zu ernsthaft, zu dogmatisch nehmen, und oft ganz zu vergessen scheinen, zu wem, un ter welchen Umständen, in welcher Stimmung, und € 3

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in welcher Absicht er etwas sagt. Hier war's ihm haupt fächlich darum zu thun, sich von den Zudringlichkeiten eines römischen Großen loszumachen, der zwar sein Freund, aber doch zugleich ein Mann war, welcher Ansprüche an ihn zu has ben glaubte. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Måcenas den Ruhm, den sich Horaz durch seine lyrischen Gedichte err worben, als einen Beweggrund bey ihm geltend machen wollte, in dieser Laufbahn fortzufahren; und er mag sich leicht so ausgedrückt haben, als ob aus diesem Beyfall eine Art von Berbindlichkeit erwachse, die Erwartung des Pus blikums und seiner Freunde durch neue Werke zu befriedigen. Horaz liebte seine Freyheit und das sacrosanto far niente zu sehr, um sich nicht gegen so beschwerliche, An maßungen auf alle Weise sicher zu stellen. Er spricht also von feinen Poesien mit einer Berachtung, die ihm eben nicht sehr von Herzen ging, als von bloßer Versemacherey, von Spiels werk (was sie denn auch zum Theil waren) und behauptet, daß es sich für sein Alter nicht mehr schicken wolle, sich damit abzugeben. Wir werden aus andern Briefen, und besonders aus dem zweyten an seinen Freund Julius Florus, sehen, wie viel Ursache ein Mann von seiner feinen Sinnesart hatte, tein Bel-Esprit von Profession nach damaligem Schnitt seyn zu wollen; und je mehr wir ihn kennen lernen, je weniger' werden wir auffallend finden, wenn er, ungeachtet er feiren Ruhm, die Gunst, des Måcenas, und die glückliche Muße seiz nes Lebens hauptsächlich seinen poetischen Talente zu danken hatte, doch so ungern für ein ordentliches Mitglied der Dichterzunft seiner Zeit angesehen seyn wollte, daß er sogar kein Bedenken trägt zu versichern, die bloße Noth habe ihn angetrieben Verse zu machen; und nun, da er ju effen habe, würde ihn alle Niesewurz der Welt nicht genug ausreinigen können, wenn er sein Leben nicht lieber mit schlas

schlafen als Verse machen zubringen wollte *). Daß übriz gens in dergleichen Stellen mehr Laune des Augen: blicks als Ernst und Wahrheit gewesen sey, zeigt sich schon genugsam daraus, weil mitten unter seinen ewigen Versiche rungen, daß er keine Verse mache, die Liebhaberey gleichs wohl stärker war, als sein Vorfah:

Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior etc.

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(5) Die Philosophie, als die Kunst zu leben, wurz de bey den Griechen gleich andern schönen Künsten behandelt; fie hatte ihre Meister und Schulen wie die Bildnerey und Mahlerey. Sokrates machte zwar selbst keine Secte → eben weil er Sokrates war: aber alle nach ihm entstandene philosophische Schulen und Secten wurden von irgend einem der Seinigen gestiftet oder veranlaßt. Plato, der be: rühmteste unter seinen Anhängern, stiftete die Akademie, Aristoteles, der größte Kopf unter Platons Schülern, das Lyceum. Aristipp machte sich zwar sein eignes System, aber kann, so wenig als Sokrates, für das Haupt einer Schule gehalten werden, wiewohl man ihn dazu gemacht hat. Antisthenes wurde der Vater einer Secte, die mit wenig rühmlichen Nahmen der Cynischen, d. i. der Húng difchen, sich gleichwohl in Ansehen zu sehen wußte, und unter den Philosophen das war, was die Söhne des heiligen Franz von Assisi unter den Mönchen. Hundert Jahre nach Sokrates Tode wurden Zeno und Epikur, indem jener die Weltbürgerschaft des Antisthenes, dieser den Egois. € 4

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*),,Sag', was ich thun foll? Nichts! das Versemachen aufgeben. Nun, ich will gehangen seyn, wofern

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mus des Aristippus zu läutern suchte, die Stifter zweyer neuer Schulen, welche in kurzem über alle übrigen hervorz ragten, aber in allen ihren Begriffen und Grundfäßen Gez genfüßler waren.· ́ ́ Die Epikurische empfahl sich durch die größte Freyheit im Denken, durch den offnen Krieg, den sie dem Aberglauben, dem Fanatismus und allen Vorurtheilen ankündigte, und durch eine Sittenlehre, die den meisten ein. leuchten mußte, weil sie, mit dem wenigsten Aufwand von Anstrengung, ein heitres und schmerzenfreyes Leben versprach. Jene erhielt, von der größen Stoa oder Halle zu Athen, wo the Stifter und seine Nachfolger zu lehren pflegten, den Nahmen der Stoischen. Sie zeichnete sich auf der einen Seite durch eine Naturlehre aus, die sich mit der herrschenden Rez ligion weit beffer vertrag, als die der übrigen Secten: auf der andern durch eine Moral, die den Menschen veredelte, indem sie die vollkommenste Ausübung der Tugend, und die angestrengteste Thätigkeit zum Besten des Vaterlandes und der allgemeinen menschlichen Gesellschaft zur einzigen Bedins gung der Glückseligkeit machte. Sollte man nicht denken, die tugendhaftesten Männer, besonders diejenigen, die den im mer zunehmenden Verfall der griechischen Freystaaten noch aufzuhalten suchten, müßten sich in der Stoa gebildet haben? Gleichwohl weiß man davon nichts; vielmehr macht ihr Pluz tarch in einem eignen Tractat den Vorwurf, daß sie die Thaz tigkeit zum Besten des Staats zwar in ihren Schulen und Schriften lehre, die Ausübung ihrer Grundsäße aber andern überlasse ein Vorwurf, der gewissermaßen allen andern Secten gilt. Zwischen diesen angesehenern Familien der griechischen Philosophie erhielt sich die Cynische, als die Mutter der Stoischen, oder vielmehr als eine Art von philo: sophischem Orden, der in der Freyheit von allen ge sellschaftlichen Banden die höchste Glückseligkeit,

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und in der Entbehrung aller Dinge, die nicht schlechter: dings zum Daseyn unentbehrlich sind, die höchste Bollkom's. menheit des Menschen feßte. Mit der Folge der Zeit nahm auch die Akademie verschiedene neue Gestalten an, welche ihr unter einem so müßigen, neugierigen, und alles schöne Ge schwäge so sehr liebenden Volke, wie die Griechen waren, wie: der Zulauf verschafften. Sie empfahl sich durch die Scharf: sinnigkeit und Beredsamkeit ihrer Lehrer, und durch den groz ßen Grundsaß der Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß, der ihnen Gelegenheit gab, 'über alles für und wider zu reden; und da die Kunst zu reden, und eine Sache von allen ihren Seiten, oder von welcher Seite man es zu seiner Absicht nöthig fand, zu zeigen, in den damaligen Freystaaten das unentbehrlichste Werkzeug des Staatsmanns war': so wurde es zur guten Erziehung eines jungen Menschen von Stande für eben so nothwendig gehalten, sich in der neuen Akademie zum Redner als in der Stoa zu einem wohlge: sitteten und rechtschaffnen Mann bilden zu lassen.

In dieser Verfassung befanden sich die philosophischen Schulen der Griechen, als die ungelehrten Römer mit ihnen bekannter zu werden anfingen. Nichts kann wohl ungleich: artiger seyn, als der Geist und Charakter der Römer und der Griechen, selbst noch um die Zeit der berühmten Gesandtschaft des Karneades *), welche die Epoke ist, da die griechische ·Philofophie und Redekunst, die nur wenige Jahre zuvor durch ein Edict des Senats aus Rom verwiesen worden war, mit dem Ansehen einer öffentlichen Gesandtschaft bekleidet zurückkam, um eine Art von Triumph über die Beherrscher der hal

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*) Des Stifters der sogenannten Neu en Akademie. Er wurde zua gleich mit dem Stoiker Diogenes und dem Peripatetiker Kritoa Taus in Angelegenheiten der Stakt Athen nach Rom abgeschict.

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