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VII. Die Schwingungs-Erregung und die Bewegung der Luftsäule in offenen und gedeckten

Pfeifen;

von Fr. W. Sonreck,
Orgelbaumeister in Cöln.

In

den physikalischen und akustischen Lehrbüchern wird der Process, welcher sich beim Anblasen einer offenen oder gedeckten Pfeife vollzieht, bisher noch so dargestellt, als ob der Luftstrom, welcher aus der Kernspalte des Pfeifenfusses hervordringt und sich gegen die obere Kante der Anblaseöffnung bricht, auf die Luftsäule der Pfeife Stöfse ausübte. Diese Stöfse sollen dann die Ursache seyn, aus welcher die Luftsäule in Schwingung geräth. Einige Physiker nehmen an, dafs die Stöfse anfangs unregelmässig seyn könnten; sie würden aber sehr bald bei einer gut ansprechenden Pfeife, durch den Einfluss der reflectirten Wellen, regulirt. Alsdann sollen sich regelmälsige stehende Schwingungen bilden, durch welche die Luftsäule in der Pfeife selbsttönend wird.

Seit zehn Jahren mit einer Reihe von Untersuchungen physikalischer und akustischer Erscheinungen im Gebiete der Orgelbaukunst beschäftigt, hat diese Darstellung stets grofsen Zweifel an ihrer Richtigkeit in mir erregt. Es war mir undenkbar, dass ein ruhiger, im Druck stets gleichmässiger Luftstrom dadurch, dafs ein Theil desselben gegen die Oberlippe der Mundöffnung gebrochen wird, in eine stofsende Bewegung übergehen sollte. Beide Ströme, sowohl derjenige, welcher an der Mund öffnung vorbei eilt, wie auch der andere Strom, welcher in die Pfeife gelangt, müssen in der gleichmässigen Bewegung verharren, weil sich keine Ursache auffinden lässt, welche diese Bewegung, an und für sich genommen, in eine stofsende umändern kann. Da diese Stöfse die Luft

Poggendorff's Annal. Bd. CLVIII.

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säule in der Pfeife zum Schwingen anregen sollen, so müssen sie also vor der eintretenden Schwingung schon existiren. Wenn nun auch die Ursache ihrer Entstehung damit noch nicht nachgewiesen ist, indem man sagt: der Anblasestrom bricht sich am Labium der Pfeife, so müfste doch wenigstens diese ihre Existenz nachweisbar seyn. Die Annahme, dafs diese Stöfse anfangs unregelmässig seyn können (die regelmässigen werden also nicht ausgeschlossen), erfordert ebenfalls eine Untersuchung, aus welcher Ursache die Regelmässigkeit oder die Unregelmäfsigkeit herzuleiten wäre. Im Falle der Regelmässigkeit der Stöfse müfsten sich dieselben mit jedem beliebigen Ton, den man z. B. auf einer Flöte anbläst, und den sie erregen sollen, vorher in ein gleiches Schwingungsverhältnifs gesetzt haben! Nehmen wir auch einmal an, dass bei der Theilung des Anblasestromes am Oberlabium sich unregelmässige Stöfse entwickelten, so würden diese am wenigsten im Stande seyn, die Luftsäule in Vibration zu bringen. Es würde sich nur ein Geräusch entwickeln, und im Inneren der Pfeife eine klanglose Luftströmung oder eine kräuselnde Bewegung der vom Strom abgerissenen Lufttheile entstehen.

Von diesen Erwägungen geleitet, habe ich mir viele Mühe gegeben die vermeintlichen Stöfse wenigstens aufzufinden. Alsdann hätte sich auch ihre Entstehung nachweisen lassen. Für experimentirende Physiker möchte ich einen meiner Versuche zur Controle empfehlen.

Man bediene sich einer cylindrischen Pfeife von 2 Meter Länge und einem Durchmesser von 12 Centimeter, welche gut anspricht und deren Rohr sich 2 bis 3 Centimeter über der Anblaseöffnung (der Oberlippe) abnehmen läfst. Nachdem die Luftsäule schwingt, resp. die Pfeife tönt, hebt man das Rohr ab. Man wird in dem noch stehenden Körperstück nur noch ein Geräusch wahrnehmen, welches der Anblasestrom am Rande der Oberlippe verursacht. Untersucht man dieses Geräusch mittels einer Membrane, dann wird man auf derselben keine anderen

Erscheinungen wahrnehmen, als die, welche ein gewöhnlicher Luftstrom gegen die Membrane erzeugt.

Man stelle jetzt die Pfeife wieder her und sperre den Wind mittels eines unter dem Fulse der Pfeife befindlichen Schiebers ab. Oeffnet man den Schieber um ein ganz Geringes und allmählig mehr, bis der Anblasestrom die Oberlippe der Mundöffnung erreicht, dann wird man wieder nur ein Geräusch wahrnehmen, welches mit der Membrane untersucht, weder Stöfse noch Schwingungen anzeigt. Bei langsam fortschreitendem Oeffnen des Schiebers werden sich Schwingungsbewegungen auf der Membrane zeigen, und bald darauf wird auch der Grundton der Pfeife dem Ohr vernehmbar. Diefs letztere beruht meines Erachtens darauf, dafs unser Ohr die Schwingungsbewegungen von schwachen und tiefen Tönen etwas später empfindet. Dafs die ersten Bewegungen auf der Membrane aber Schwingungsbewegungen des entstandenen Klanges, und keine denselben vorbereitenden oder erregenden Stöfse des Anblasestromes sind, zeigt deutlich die Configuration auf der Membrane, weil sie bis zum vollen Erklingen des Tones dieselbe bleibt.

Ob sich durch ein anderes Verfahren die Stöfse wirklich noch auffinden lassen, bezweifle ich sehr. Dagegen glaube ich, das Verhalten des Anblasestromes als Erreger der Schwingungen und seine unbedingte Abhängigkeit von den Schwingungsgesetzen der jedesmaligen Luftsäule nach folgender Darstellung richtig aufgefunden zu haben.

a) Schwingungs-Erregung des Grundtones bei offenen Pfeifen. Wenn eine Pfeife intonirt, und der Anblasestrom so gestellt ist, dafs er das Oberlabium der Pfeife streift, dann reifst dieser Strom fortwährend Lufttheile aus dem Innern der Pfeife mit sich fort, und zwar die ihm zunächst liegenden. Obgleich ein kleiner Theil des Stromes beim Streifen an das Labium in die Pfeife hineingelangt, so ist das Quantum Luft, welches der Strom herausreifst, bedeutend grösser. Es entsteht in Folge dessen zunächst

in der unteren Luftschicht der Pfeife eine Verdünnung. Die äussere Luft hat zwar das Bestreben, diese Verdünnung auszugleichen, aber sie kann weder an der oberen, noch an der unteren Oeffnung der Pfeife sofort dazu gelangen. Die in der Pfeife ruhende Luftsäule giebt dem äufseren atmosphärischen Druck erst dann nach, wenn die Verdünnung so weit fortgeschritten ist, dafs sie die Mitte des Pfeifenrohres (wo sich der Schwingungsknoten bildet) erreicht hat. An der unteren Oeffnung der Pfeife hindert der Anblasestrom, welcher diese Oeffnung gleichsam verschliefst, ebenfalls die sofortige Ausgleichung.

In dem Augenblick nun, in welchem die Verdünnung in dem unteren Theile der Pfeife einen so hohen Grad erreicht hat, dafs der Druck der äusseren Luft den Anblasestrom nach einwärts zu drücken vermag, schneidet sich am Oberlabium eine Luftwelle von dem Anblasestrom ab, welche die vorhandene Verdünnung aufhebt, und eine momentane kleine Verdichtung zur Folge hat. Dieser Rückschlag pflanzt sich der Länge des Rohrs nach fort und stöfst in der Mitte desselben mit dem Druck zusammen, welchen die äufsere Luft gleichzeitig auf die obere Oeffnung der Pfeife resp. auf die Luftsäule ausgeübt hat. Es hat sich also in der Mitte des Rohres die starke Verdichtung gebildet, welche wir den Wellenberg, oder die akustische Welle nennen wollen. Ich sage mit Absicht ,,akustische Welle", denn, nachdem bisher die mechanische Erregung allein thätig war, tritt von jetzt an das der Luftsäule eigenthümliche Schwingungsgesetz und die Schallwirkung mit ein.

Es ist einleuchtend, dafs in dem Augenblick, in welchem sich eine Luftwelle von dem Anblasestrom abgeschnitten und die Verdünnung in dem unteren Theile der Pfeife aufgehoben hat, der Anblasestrom in seine vorige Lage resp. Richtung zurückkehrt. Hiermit beginnt aber auch wieder das Evacuiren. Es tritt also wieder eine Verdünnung ein; der Anblasestrom wird abermals einwärts gedrückt und mit dieser dann wieder eintretenden

Verdichtung fällt die Rückkehr der akustischen Welle des Schwingungsknotens zusammen.

Es mufs vor Allem darauf hingewiesen werden, dafs die von dem Anblasestrom abgerissene Luftwelle nicht durch ihr Volumen, sondern mehr durch ihren Rückschlag auf die Verdünnung, resp. durch die Unterbrechung derselben wirkt. Ich will versuchen, für Nichtphysiker dieses in einem Bilde zu veranschaulichen.

Man stelle sich die Luftsäule der Pfeife als eine ziemlich enge, aber nicht dicht gewundene Spiralfeder vor, die in der Mitte der Pfeife befestigt und um ein Drittheil kürzer als die Hälfte der unteren Pfeifenlänge ist. Man ziehe das freie Ende der Spiralfeder an einem Faden bis auf den Boden der Pfeife herunter und nehme an, dass nach dieser Spannung der Faden reifst, sobald die Feder an dem Boden der Pfeife angelangt ist. Die Feder wird zurückschnellen und ihre Ringe werden gegen einander schlagen. Denken wir uns dieses in mehrmaliger Aufeinanderfolge, so haben wir ein annähernd richtiges Bild von der Schwingungserregung. Das Herunterziehen der Spirale stellt die Verdünnung vor, welche der Anblasestrom auf die untere Luftsäule der Pfeife ausübt; das Abreifsen des Fadens stellt den Moment dar, in welchem die äufsere Luft den Anblasestrom nach Innen drückt, und die am Labium abgerissene Luftwelle die Verdünnung wieder aufhebt. Der Anblasestrom tritt hierauf in seine vorige Richtung zurück und beginnt wieder mit der Verdünnung der Luftsäule u. s. w.

Die bisher gedachten und hypothetisch angenommenen Stöfse lösen sich also in eine pendelartige Hin- und Herbewegung des Anblasestromes auf, welche am Rande des Oberlabiums die weiteste Amplitüde hat, von der Elasticität der Luftsäule der Pfeife und dem Druck der äusseren Luft abhängig, und somit den Schwingungsgesetzen der Luftsäule unterworfen ist.

Sehen wir nun, was sich gleichzeitig in der oberen Hälfte des Pfeifenkörpers begiebt, nachdem die erste Ver

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