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in welche an dem unteren offenen Ende die verdichtete Luft aus dem Gebläse eintritt. Beim Anblasen der Pfeife wird das untere freie Ende der Zunge, welche mit einer Biegung nach Aufsen die Oeffnung des Mundstückes etwas frei läfst, von dem Luftstrom gegen das Mundstück gedrückt. Die elastische Zunge giebt dem Druck bei diesem ersten Niedergange nicht so weit nach, dass die Oeffnung des Mundstückes ganz bedeckt wird. Die Zunge schwingt zurück, und erst nach diesem zweiten Gange wird die Amplitude so gross, dass sie beim Niederschlagen die Oeffnung des Mundstückes ganz verschliefst und dann wieder zurückschnellt. Es werden also hierdurch ähnlich wie bei der Sirene, von dem continuirlich wirkenden Strom Luftwellen abgeschnitten, und zwar pro Secunde so viele, als die Zunge vermöge ihrer Länge und Dicke Schwingungen zu machen, geeignet ist.

Bei freischwingenden Zungen, welche in der Oeffnung einer Platte schwingen, wird sowohl beim Hingange, wie auch beim Hergange eine Luftwelle abgeschnitten, weil sie bei jedem Gange die Oeffnung passiren und momentan verschliessen. Es mufs also eine aufschlagende Zunge bei der gleichen Anzahl von Luftwellen pro Secunde die doppelte Zahl der Vibrationen machen.

Diese mittels Schwingung der Zunge formirten Luftoder Schallwellen gelangen aus dem Mundstück in das Schallrohr und theilen ihre Schwingungen der darin stehenden Luftsäule mit. Die Verstärkung, welche sie hierdurch erhalten, ist abhängig von der passenden Divergenz des Schallrohres.

So einfach wie bei diesen so wie bei den freischwingenden Zungenstimmen die Bildung der Schallwellen auch ist, so complicirt gestaltet sich bei denselben die Mitwirkung der Luftsäule in der Schallröhre und des die Zunge umgebenden abgeschlossenen Raumes. Ich übergehe dieses, weil es in die gegenwärtige Besprechung nicht hineingehört.

d. Gedeckte und halbgedeckte Pfeifen.

Die Schwingungs-Erregung bei gedeckten Pfeifen ist analog der Erregung bei den offenen, jedoch mit dem Unterschiede, dafs der Anblasestrom zumeist nur verdünnend auf die innere Luftsäule wirkt. Wendet man die figürliche Bewewegung der Spiralfeder hier wieder an, dann mufs man sich den festen Punkt der Feder an dem oberen geschlossenen Ende der Pfeife denken. Im Uebrigen bleibt das Bild dasselbe, denn, sobald die Verdünnung einen so hohen Grad erreicht hat, dafs die äufsere Luft auf den Anblasestrom wirkt, schneidet sich eine Luftwelle nach innen ab, und somit ist die erste Schwingung der Luftsäule eingeleitet. Die von dem oberen geschlossenen Ende zurückkommende Verdichtungswelle fällt mit der zweiten abgeschnittenen Luftwelle zusammen, nachdem die Verdünnung ihr vorhergegangen ist.

Die Schallwellen dieser Schwingungen können sich der äufseren Luft nur durch den Anblasestrom mittheilen. Ihre Intensität wird durch denselben abgeschwächt. Will man den Ton einer gedeckten Pfeife auf dieselbe Entfernung hörbar machen, wie den gleichnamigen Ton einer offenen Pfeife, dann mufs der Anblasestrom verstärkt und der Aufschnitt resp. die Mundöffnung erweitert werden.

Die Signalpfeife unserer Locomotive ist eine gedeckte Pfeife. Da die Aufschnittsöffnung rings um den Pfeifenkörper geführt ist, und der Anblasestrom in entsprechender Kraft vorhanden ist, so lässt sich mit dieser Pfeife ein gellender und sehr intensiver Klang erreichen.

Unter halbgedeckten Pleifen versteht man solche, die an dem oberen geschlossenen Ende eine kleine Oeffnung haben. Bei diesen Pfeifen tritt die Schwingungs-Amplitude je nach der Gröfse der Oeffnung von dem geschlossenen Ende zurück. Sie wird also kürzer und der Ton höher. Mit diesen Oeffnungen, welche den Klang selbstverständlich auch heller machen, lässt sich nur in der zwei- und dreigestrichenen Octave der achtfüfsigen Tonlage operiren. In den gröfseren Pfeifen richtet die Oeffnung,

gleichviel ob gröfser oder kleiner, eine Störung der einfachen Schwingung an. Setzt man aber ein Röhrchen in die Oeffnung, welches auch nur die Länge des Durchmessers der Pfeife hat, dann ist die allerdings etwas verkürzte Schwingung wieder möglich. Der Grund dieser Erscheinung ist leicht zu erkennen. Da die gedeckten und halbgedeckten Pfeifen in der ersten Schwingung (Grundton) keinen Schwingungsknoten haben, so mufs eine Oeffnung am oberen Ende der Pfeife der Verdichtung und der Verdünnung der Luftsäule nachtheilig seyn und ihre erste Schwingung unmöglich machen, wenn die Oeffnung so grofs ist, dafs die Ausgleichung sofort stattfinden kann. Der Reibungswiderstand im Röhrchen verhindert dieses, und selbstverständlich um so mehr, je länger das Röhrchen genommen wird; aber es geht hiermit auch der beabsichtigte Zweck: die Klangfarbe zu ändern verloren.

In gedeckten und halbgedeckten Pfeifen kann die Schwingungs-Erregung auch stattfinden, wenn der Anblasestrom in die Pfeife geleitet wird und (wie bei den offenen Pfeifen schon bemerkt wurde) die Luftwelle sich nach Aufsen abschneidet. Ueberhaupt ist bei gedeckten Pfeifen, sobald sie die doppelte Weite des offenen Pfeifenrohres haben, die Ansprache des Grundtones in Bezug auf die Richtung des Anblasestromes nicht schwierig.

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e. Weitere Bemerkungen und practische Nachweise. Da gegenwärtige Abhandlung nur den Zweck hat, die Erregung des Grundtones als erste Schwingungsart einer Luftsäule darzustellen, so habe ich alles das umgehen müssen, was in das Gebiet der Obertöne, der Doppeltöne und der weiteren akustischen Erscheinungen gehört. Was die Schwingungs-Erregung anbetrifft, so bleibt diese in allen Formen der Theilbarkeit der Schwingungen dieselbe, und es tritt bei den Labialpfeifen nur der Wechsel in Bezug auf die Verdichtungen und Verdünnungen ein, welcher durch verstärktes Anblasen, oder durch eine veränderte Richtung des Anblasestromes hervorgerufen wird.

Es erübrigt nur, noch weitere Beweise für die Richtigkeit meiner aufgestellten Sätze hier mitzutheilen.

Das Experiment mit gefärbter Luft ist beweisend 1) für das Einströmen der atmosphärischen Luft in das obere Ende einer offenen Pfeife, wenn der Anblasestrom vor dem Labium herstreicht und die Verdünnung durch das Abgeben einer Luftwelle nach Innen nur momentan unterbricht; 2) für das Ausströmen von Luft aus dem oberen Ende der Pfeife, wenn der Anblasestrom stark nach dem Inneren der Pfeife gerichtet wird, und die entstehende Verdichtung durch das Abgeben einer Luftwelle nach Aufsen momentan unterbrochen wird; 3) für das relative Stillstehen der Luftsäule, wenn der Anblasestrom um so viel wieder nach Aufsen dirigirt wird, dass die abgerissene Luftwelle die vorhergegangene Verdünnung auch im Volumen aufhebt; 4) dafs bei der akustischen Schwingung der Luftsäule ihre Lufttheile sich nicht verschieben und nur in der Nähe des Anblasestromes an dessen mechanischer Bewegung theilnehmen.

Bei der Ansprache gedeckter Pfeifen kann der Anblasestrom dieselben drei Richtungen haben, und es muss die Beschaffenheit der schwingenden Luftsäule bezüglich ihrer Dichte der jedesmaligen Richtung entsprechen. Der demonstrative Beweis hierfür ist am leichtesten mit einer manometrischen Vorrichtung zu liefern. Um die Beobachtung recht auffallend zu machen, fülle man die Glasröhren des Manometers mit Weingeist an, und neige dieselben aus der Verticalstellung in einem Winkel von 30° bis 25° herunter. Bei der vorhin erwähnten ersten Richtung des Anblasestromes wird die Flüssigkeitssäule beim Ansprechen der Pfeife um 4 bis. 5mm zurückgehen und in dieser Lage so lange verbleiben als die Pfeife tönt.

Die Verdünnung der Luftsäule ist hierdurch also constatirt.

Bei der zweiten Richtung des Stromes wird die Säule in demselben Maafse steigen und in ihrer Lage ebenfalls

so lange verharren als das Tönen der Pfeife dauert, und hiermit ist die Verdichtung bewiesen.

Bei der dritten Richtung des Stromes wird die Flüssigkeitssäule stehen bleiben, also weder eine Verdichtung noch eine Verdünnung anzeigen.

Ich bediente mich zu diesem Versuche einer gedeckten Pfeife von 70 Centimeter Länge und 10 Centimeter Querschnitt. Der Druck im Gebläse war der bei der Orgel gebräuchliche 9 Kilo auf den Quadrat - Fufs der Oberplatte = 35° der Orgelbauer - Windwaage.

Bei diesem Experiment, sowohl mit der gefärbten Luft in offenen Pfeifen, wie bei Anwendung des Manometers bei gedeckten Pfeifen, erscheint die Bewegung der Ersteren oder auch die Ruhe derselben, und ebenso der Rand der Flüssigkeitssäule ohne Vibration. Es ist aber anzunehmen, dass die Luftsäule der Pfeife nicht so ruhig fortschreitet, wie es der Rauch für das Auge erkennen lässt, sondern dafs sie sowohl in der Bewegung wie im Stillstande dieselbe Anzahl von Vibrationen zeigt; hat man aber günstig formirte Rauchwölkchen in der Glaspfeife stehen, welche mit einem scharfen Lichtstrahl beleuchtet sind, dann müsste sich das Phasenverhältnifs in einem rotirenden Spiegel wahrnehmen lassen.

Eine interessante, wenn auch nicht zulängliche Erscheinung bietet sich dem Auge dar, wenn man ein dünnes Stückchen Wachslicht anzündet und dasselbe an einem Draht in eine offene Glaspfeife einsenkt. Der Anblasestrom muls hierbei aber so gerichtet seyn, dass die Luftsäule der Pfeife sich aufwärts bewegt. Im anderen Falle drückt die von Oben eindringende atmosphärische Luft auf die Flamme so stark, dafs sie schwalgt, sich um den Rand der Kerze legt und in der Mitte des oberen Schwingungsbauches schon erstickt. Bei der stehenden oder aufwärts gehenden Luftsäule brennt die Flamme so ruhig wie aufserhalb der Pfeife, sobald sie sich in einem der Schwingungsbäuche befindet. Am oberen Ende der Pfeife,

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