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Der Vorgang bei der Entladung dürfte nach meiner Ansicht im Anschluss an die Ausführungen in der ersten Abhandlung etwa in folgender Art aufzufassen seyn. Zunächst können wir nicht annehmen, dafs der Uebergang der Elektricität in Gasen nur durch den Aether stattfindet, denn sonst müfste in einem möglichst vollkommenen Vacuum ebenfalls ein solcher eintreten, was nicht der Fall ist. Die Gasmolecüle selbst müssen sich also bei der elektrischen Fortführung betheiligen.

Ueberschreitet dann die Ladung der Elektroden an einer Stelle eine bestimmte Gränze und werden die der Elektrode zunächst liegenden, zwischen derselben und den ferneren Gastheilen hin und her geschleuderten Gasmolecüle genügend stark gleichnamig geladen, so wird die ganze elektrisirte Gasmasse daselbst abgehoben, ähnlich dem Vorgang beim Sieden einer Flüssigkeit. Da selbst bei ziemlich starker Erhitzung der Elektroden die Entladungszahl bei gleicher Elektricitätszufuhr sich nicht ändert, wenn der Druck dabei constant bleibt (vgl. S. 66), so dürfte die Ueberwindung der Anziehung der auf den Elektroden condensirten Gasschicht, die dabei sicherlich geändert wird, eine geringere Rolle spielen.

Die an der Elektrode elektrisirte Gasmenge bewegt sich dann in der Richtung der schnellsten Abnahme der Spannung mit einer Geschwindigkeit von den Elektroden fort, die der unmittelbar vorher die Gastheile auf die Elektrode festdrückenden Kraft direct proportional ist.

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Hiebei findet der ursprüngliche Antrieb nur an den Elektroden selbst statt. Stehen also zwei derselben in einem freien Gasraume einander gegenüber, so ist derselbe nur von der auf den einzelnen Stellen beider Elektroden vorhandenen Spannung abhängig. Sind die Elektroden in Entladungsröhren eingeschlossen, so ist derselbe und entsprechend die für eine Entladung erforderliche Elektricitätsmenge eben deshalb unabhängig von der Weite und Länge des die Räume um die Elektroden verbindenden Rohres, so weit dabei die Wechselwirkung der Elektri

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citäten auf beiden Elektroden und die Verschiedenheit der Wirkung der in den Röhren vertheilten freien Elektricitäten auf die Elektroden selbst vernachlässigt werden kann. Auch von der Erhitzung des Gases im Capillarrohr ist entsprechend die zu einer Entladung erforderliche Spannung unabhängig, wenn nicht durch die Erwärmung das Glas zersetzt und metallisch leitend wird, somit also gewissermassen zwischen die Elektroden des Rohres eine neue Elektrode eingeführt wird.

Die bei verschiedenen Gasen zum Beginn der Entladung erforderliche Spannung kann unter sonst gleichen Umständen auch von der Natur des Gases selbst, von der Ladungsfähigkeit seiner einzelnen Molecüle u. s. f. bedingt seyn.

Die Gasmolecule fliegen bei der reinen Gasentladung nicht von der einen Elektrode bis zur anderen, wie diefs auch nach der neueren Gastheorie nicht zu erwarten wäre. Hiergegen spricht das Verweilen des glühenden Natriumdampfes in einem von den Entladungen durchströmten, erhitzten Capillarrohre an der Erwärmungsstelle, sey es an den Elektroden, sey es im Capillarrohre selbst, von der er sich im gegentheiligen Fall durch das ganze Rohr bei jeder Entladung in einer geringeren oder gröfseren Menge ausbreiten müsste. Auch wenn bei stärkeren Drucken und gröfseren Ladungen Metallentladungen zu den Gasentladungen zwischen zwei, sey es in einem freien Gasraume, sey es in einem Entladungsrohr befindlichen Elektroden, hinzutreten, so bilden sich, wie in der ersten Abhandlung erwähnt wurde, an den Elektroden kleine, bei höheren Drucken sich nur allmählich weiter ausbreitende Büschel von glühenden, durch das Spectroskop erkennbaren Metalltheilchen, die erst bei relativ hohen Drucken die gegenüberliegende Elektrode erreichen.

Hiernach dürfte der Uebergang der Elektricität zwischen den Gastheilchen, zunächst im freien Raum, sich in ganz ähnlicher Weise gestalten, wie in einer Reihe nebeneinander aufgehängter elastischer Kugeln. Treffen

die von der Elektrode fliehenden, geladenen Gasmolecule A auf fernere B, so vertheilen sie deren Elektricität, ziehen sie an und gleichen einen Theil ihrer Elektricität mit der ungleichnamigen von B aus, so dass beide Molecüle gleichnamig geladen erscheinen. Die hieraus hervorgehende Abstofsung treibt A der ursprünglichen Bewegungsrichtung entgegen zurück, B vorwärts. A nimmt entweder von neu entgegenkommenden Molecülen oder von der Elektrode wiederum Elektricität an und bewegt sich wieder vorwärts, während B, angetrieben durch die elektrische Abstofsung und die von A ihm mitgetheilte Bewegung, einen Theil seiner Elektricität an ein drittes Theilchen C abgiebt und zurückprallend wieder mit A mit A zusammentrifft u. s. f. Die von beiden Elektroden ausgehenden derartigen Bewegungen treffen an einer Stelle zusammen, wo die Ausgleichung der entgegengesetzten Elektricitäten der sich nunmehr anziehenden letzten Molecüle eintritt. Hiebei kann die Geschwindigkeit der einzelnen Gasmolecüle so groís seyn, dafs sie sich bis zum Erglühen des Gases steigert. Indefs wird die bei der Vereinigung der entgegengesetzten Elektricitäten zweier aufeinander folgender Molecule geleistete Arbeit bei der Scheidung der Elektricitäten in jedem Molecüle selbst compensirt.

Ist das Gas elektrolytisch zerlegbar, so kann die Bewegung der Gasmolecule, wie sie oben beschrieben ist, auch mit einer Trennung, Fortbewegung und Wiedervereinigung ihrer Ionen verbunden seyn, ähnlich wie bei den übrigen elektrolytischen Processen, wie diefs die Versuche von Perrot1) anzeigen.

Sind die Elektroden in einem Entladungsrohr von Glas so weit von einander entfernt, dafs ihre gegenseitige Influenzwirkung zu vernachlässigen ist, so complicirt sich die Erscheinung, indem sich auch die Wände des Rohres von den Elektroden aus laden können. Obgleich bei den oben beschriebenen Apparaten das Capillarrohr in allen Fällen in seiner ganzen Länge von der sogenannten „po1) Perrot, vgl. Galvanismus, 2. Aufl. Bd. II. (2), S. 412.

sitiven Entladung" (s. w. u.) durchzogen ist, ist doch nur bei Ableitung der negativen Elektrode das ganze Rohr, wenn auch in abnehmender Stärke von der positiven Elektrode an positiv geladen, während es bei isolirten Elektroden nur theilweise positiv, bei Ableitung der positiven Elektrode aber auf der ganzen Länge mit abnehmender Intensität von der negativen Elektrode an negativ geladen ist. Diese freie Elektricität bindet, wie bekannt, die entgegengesetzte auf der äufseren Oberfläche der Glaswand, während sich die gleichnamige mehr oder weniger zerstreut. Die auf der Innenwand der Glasröhre vertheilte Elektricität kann auf die Spannung an den Elektroden von Einflufs seyn, wie wir schon S. 51 erwähnt haben. Sie hat ferner auf die Beschleunigung und die Richtung der Bewegung der Gasmoleküle einen Einfluís, wie z. B. sehr deutlich aus den S. 63 erwähnten Versuchen mit der weiteren Glasröhre hervorgeht. Indefs scheint der Hauptantrieb, wie im freien Raum, doch von den Elektroden selbst auszugehen, da z. B. bei Ableitung der positiven Elektrode in einem doppelt so langen Rohr zwar der Elektricitätsabfall von der negativen Elektrode an nur halb so grofs ist, als in einem Rohr von einfacher Länge, aber doch die Wärmeerzeugung auf der Längeneinheit beider Röhren nahezu die gleiche ist.

Die durch die elektrische Vertheilung vermittelte Fortpflanzung der Bewegung von Gasmolekül zu Gasmolekül dürfte auch in den Entladungsröhren, wenn zunächst die Wärmeabgabe an die Wände vernachlässigt wird, ganz ähnlich, wie bei den Gesetzen des elastischen Stofses stattfinden. Tritt dabei die Entladung aus einem weiteren in ein engeres Rohr ein, in dessen Querschnitt die Anzahl der Gasmoleküle die nfache ist, so bleibt dennoch die gesammte lebendige Kraft in jedem Querschnitt dieselbe, da in gleichen Zeiten in beiden Röhren ein bewegtes Molekül gleich viele relativ ruhende trifft, obgleich bei dem schiefen Auftreffen der zuerst elektrisch bewegten Gastheile auf andere sich die Bewe

gung theils in radialer, theils in axialer Richtung über den ganzen Querschnitt verbreitet.

Zu dieser einfachen Uebertragung der Bewegung tritt eine partielle Abgabe derselben an die Wände der Röhren, wodurch die lebendige Kraft der Gasmoleküle, also auch die Temperatur des Gases sich von den der Ausgangsstelle der Entladung zunächst liegenden Theilen der Röhren bis zu den entfernteren vermindert. Da aber die seitliche Ausbreitung der lebendigen Kraft in Folge der excentrischen Stöfse der Moleküle aufeinander im engen und weiten Rohr, sei es durch mehr oder weniger concentrische Molekularschichten, bis zu der Peripherie in gleichem Maasse vor sich geht, so mufs auch die Abgabe der Bewegung an die Wände, die der Zahl der dieselben treffenden Moleküle und dem Quadrat ihrer Geschwindigkeit proportional ist, mithin die Wärmeabgabe an dieselben, im weiten und engen Rohr die gleiche seyn.

Da diese Abgabe der Wärme bei den meisten Versuchen eine nur geringe ist, so erweisen sich die von der Ausgangsstelle der Entladung entfernteren Stellen kürzerer Röhren nur wenig kälter, als die ihr zunächst liegenden Stellen, obgleich bei längeren Röhren diese Abkühlung an der geringeren Helligkeit der Entladung daselbst sehr deutlich zu erkennen ist. Dafs hiebei der Uebergang von den hell leuchtenden Stellen des Rohres zu den dunkleren ziemlich schnell erfolgt, dürfte darin liegen, dafs die Helligkeit des Erglühens der verschiedenen Körper, so z. B. auch galvanisch glühender Drähte mit steigender Temperatur sehr schnell zunimmt.

Die eben mitgetheilten Ansichten stimmen mit unseren jetzigen Annahmen über die Constitution der Körper und die Elektricitätsleitung in ihnen im Wesentlichen überein.

Es sey mir erlaubt, hierauf ein wenig näher einzugehen, da mir einige, in der neueren Zeit aufgestellte, dar

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