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bei schräger Haltung ganz nahe vor dem Hause zu liegen, und so fort. Auch die kleinen Unebenheiten der Strasse vor mir waren in der natürlichen Haltung des Kopfes viel plastischer.

Alle diese Erscheinungen treten eben so ein, wenn man, statt den Kopf umzudrehen, das Bild umdreht. Am vortheilhaftesten sind dazu rechtwinkelige Prismen zu gebrauchen. Ich habe zwei derselben mit ihrer Hypotenusenfläche, wie Fig. 48 35 zeigt, auf eine ebene Holzfläche gekittet, in solcher Entfernung von einander, dass ich mit jedem Auge durch eines hindurchsehen konnte. Man sieht in solchen Prismen, wenn man parallel der horizontal gerichteten Hypotenusenfläche hindurchblickt,

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bekanntlich die in Richtung der Gesichtslinien liegenden Objecte durch die innere Spiegelung an der genannten Fläche des Prisma auf den Kopf gestellt, das Obere nach unten gekehrt. Wenn man durch solche Prismen nach der Landschaft blickt, tritt dieselbe Unvollkommenheit in der Wahrnehmung der Form der Bodenfläche und der Entfernungen ihrer einzelnen Punkte vom Auge und von einander ein, als wenn man mit umgekehrtem Kopfe hinsieht. Andererseits habe ich zuweilen, durch die Prismen blickend, an der unteren Fläche niedriger und scharf gezeichneter Wolkenschichten deutlicher die Formen erkannt, als wenn ich sie im gewöhnlichen aufrechten Bilde betrachtete. Dies erklärt sich dadurch, dass in dem umgekehrten Bilde die Wolken an Stelle des Fussbodens zu liegen

kommen, wenn auch viel tiefer als dieser. Wenn der Beob achter einen Theil des Wolkenhimmels fixirt, so liegt ihre Fläche dann dem Horopter näher, als dies sonst der Fall ist.

Endlich kann man auch beide Arten der Umkehrung combiniren, das heisst mit dem Kopf zwischen den Beinen durch und gleichzeitig durch die Prismen sehen, sodass Kopf und Bild zusammen umgekehrt werden. Dann kommt die Boderfläche der Landschaft wieder in die Horopterfläche, und ma erhält wieder die genaue Anschauung ihrer Gestalt.

Es geht aus diesem letzten Versuche hervor, dass weder die ungewölnliche Stellung des Kopfes, noch die ungewohnte Stellung des Bildes Schuld sind an der mangelhaften Genauigkeit des 36 körperlichen Bildes, sondern nur die relative Lage des Bildes der Fus-bodenfläche zum Auge.

Es ist diese eigenthümliche Lage der Horopterfläche offenbar von grosser Bedeutung für den Gebrauch unserer Augen beim Gehen. Wenn wir uns im Freien bewegen. blicken wir meist nach etwas entfernteren Gegenständen in nahehin horizontaler Richtung. Der Fussboden ist dann unsere Horopterfläche; wir erkennen seine Gestalt verhältnissmässig genau auch im indirecten Sehen, und wissen unsere Schritte danach einzurichten. Es ist dies offenbar eine wesentliche Belingung, wenn wir beim Gehen unsere Augen frei gebrauchen sollen. Nur bei ganz unregelmässigem, z. B. aus grobem Steingerōll bestehendem Boden sind wir gezwungen, den Boden bei jedem Schritte zu betrachten. Ferner ist die Bodenfläche auch ge wöhnlich die einzige Fläche, welche in weite Entfernunger hinausläuft und an der wir diese Entfernungen abmessen können. Bei den vorher beschriebenen Versuchen überzeugt man sich, wie ich schon erwähnt habe, leicht, dass man die Entfernungen von entfernten Objecten viel besser erkennt. wenn die Fussbodenfläche im Horopter liegt, als sonst. Es hängt also die Ausmessung der Landschaft, so weit dies durch das stereoskopische Sehen geschehen kann, wesentlich da von ab.

Hiermit scheint mir nun auch das veränderte Aussehen

der Landschaft erklärt zu werden, welches eintritt, wenn man unter dem Arm oder zwischen den Beinen durchsieht. Bekanntlich treten dabei die Farben der Ferne so sehr viel lebendiger hervor, und die ganze Landschaft sieht mehr einem Gemälde gleich; dieser letztere Umstand lässt schon erkennen, dass wir ihre Tiefendimensionen schlechter als beim gewöhnlichen Sehen erkennen. Die Farben, welche die Luftperspective fernen Gegenständen giebt, sind für unser durch die tägliche Erfahrung geübtes Auge einmal Zubehör der Ferne und fallen uns deshalb an Gegenständen, die wir als fern erkennen, nicht als Körperfarben auf. Wenn wir aber durch Umkehrung 37 des Bildes oder des Kopfes die fernen Gegenstände scheinbar näher rücken, so sind die Farben uns ungewöhnlich, und fallen als solche auf.

Es ist auffallend bei diesen Versuchen, wie weit der Bereich der binocularen Raumprojection in die Ferne hinausrückt. Denn bei richtiger Lage der Fussbodenebene im Horopter bemerkt man noch die räumliche Trennung von Baumgruppen, die tausend und mehr Schritt von uns entfernt sind, vom Horizonte dadurch, dass ein hinter ihnen sich ausbreitendes Feld noch ben hingestreckt erscheint. Bei der Umkehr des Bildes tritt auch in solchen Fällen ein deutlicher Unterschied ein, indem lann die genannten Baumgruppen und das dahinter liegende Feld mit den Objecten des Horizonts in ein ebenes, scheinbar senkrechtes Bild verschmelzen. Dove hat schon eine Reihe interessanter Beweise für die erstaunliche Genauigkeit des stereoskopischen Sehens gegeben. Ich erinnere an die Vergleichung von echten und unechten Geldpapieren, an die Untercheidung von Abdrücken desselben Buchstabensatzes von denen einer zweiten Auflage, an die stereoskopische Combination von Medaillen, die aus verschiedenen Metallen mit demselben Stempel geprägt sind u. s. w., in welchen Fällen man stereoskopische Reliefbilder statt ebener Bilder erhält, weil es unmöglich ist mit der menschlichen Hand die Copien absolut gleich in der Grösse und den Abständen der einzelnen Theile mit den Originalen zu machen, und weil selbst so minutiöse Unterschiede der Grösse, wie sie zwei Medaillen aus verschiedenem Metall und von ungleicher Elasticität unter dem

Drucke des Stempels annehmen, hinreichen, bei der binocularen Vergleichung der Bilder bemerkt zu werden.

Es ist schwer, theoretisch zu bestimmen, welches di Grenze für die stereoskopische Trennung ferner Gegenstände 38 von ihrem unendlich entfernten Hintergrunde ist. Darauf muss nämlich die Art der Beleuchtung und Zeichnung dieses Hintergrundes einen hervorragenden Einfluss haben. Denken wir einen feststehenden Fixstern, z. B. den Polarstern hinter dem Rande eines festen Objectes, einer Bergspitze zum Beispiel, befindlich, so wird ein solches Object so weit entfernt sein könner. als irdische Verhältnisse es nur immer zulassen, und doch wird der Beobachter eine Stellung einnehmen können, dass er mit dem einen Auge den Stern sieht, mit dem anderen nicht wobei also ein solcher Unterschied der beiden Bilder vorhanden wäre, wie er zur stereoskopischen Projection gehört.

Volkmann und Appel) haben Versuche gemacht mi drei feinen Mikrometerfäden, von denen der eine verstellbar war und vom Beobachter nach dem Augenmaass so gestelt wurde, dass der mittlere gleich weit von den beiden seitlicher abstand. Der mittlere Fehler der Einstellung betrug bei Versuchen, wo die seitlichen Fäden vom mittleren 0.2 mm entfernt waren, nur 0,012 mm bei einer Sehweite von 300 m Diese Grösse des mittleren Fehlers entspricht einem Gesichtswinkel von 8, Secunde. Wenn ein Baumstamm in der Ett fernung von einer Viertelmeile steht, und hinter ihm in grosser Entfernung zwei andere in dem scheinbaren Abstande von zwei Winkelminuten jederseits, so würde ein ähnliches Bild vorhanden sein, wie die drei Mikrometerfäden darboten, und de Grösse des Unterschiedes in der Stellung des mittleren Baumes würde für die beiden Netzhautbilder so viel betragen, als der mittlere Fehler in den Versuchen von Appel bei der Vergleichung der beiden Distanzen betrug. Unter diesen Umständen würde also ein stereoskopischer Effect noch möglich sein; es würde noch erkannt werden können, dass jener mittlere 39 sich vor der Ebene der beiden anderen Bäume befindet. Ueberhaupt wird ein fein vertical gestreifter Hintergrund, wie ihn

1) Fechner's Psychophysik. Bd. 1. S. 222.

der Wuchs der meisten Pflanzen gewährt, im allgemeinen am vortheilhaftesten für die Wahrnehmung der Tiefendimensionen sein.

Auch für nähere Theile der Bodenfläche ist eine punktförmige Zeichnung oder eine solche mit Linien, die vom Beobachter aus in die Ferne laufen, nothwendig, wenn die Ferne durch das binoculare Sehen sicher wahrgenommen werden soll. Horizontale Linien, die quer vor dem Beobachter von rechts nach links laufen, können nichts helfen, denn die Bodenfläche ist Punkthoropter oder Verticalhoropter, aber nicht Horizontalhoropter. Man erkennt dies deutlich an Treppenstufen. Wenn sie blos dem Rande der Stufe parallel gestreift oder beschattet sind, so fühlt man sich unsicher, wenn man bei schwacher Beleuchtung hinabsteigt, wo man die kleinen Fleckchen und Ungleichheiten des Materials nicht erkennen kann. Wenn aber ein Teppich mit Längsstreifen die Treppe binabgelegt ist, oder dunkle Streifen gemalt sind, parallel der Länge der Treppe, dann hat derjenige, der hinabsteigt, eine deutliche stereoskopische Wahrnehmung der Stufen, und tritt sicher.

Bei veränderter Richtung der Visirebene können nun auch Flächen von nicht horizontaler Richtung in den Horopter kommen und so deutlich modellirt erscheinen, wie es im Horopter geschieht. Wenn ich an den Bergabhängen hier bei Heidelberg, lie nach der Rheinebene abfallen, eine Stelle suche, welche in ziemlich gleich bleibender Neigung sich gegen die Ebene senkt, und aus einer Höhe von 200 bis 300 Fuss längs des Abhanges herabsehe, so erscheint der Bergabhang deutlich und bestimmt modellirt, so weit er der Visirebene parallel läuft; ler Anfang der Ebene unten aber, den die Gesichtslinien unter einem Winkel von 30-40 Grad treffen, sieht ziemlich wie ein benes Bild aus. Andererseits wenn ich den Blick nach den 40 entfernteren Theilen der Ebene richte, welche dann zwar nicht ganz im Horopter liegen, aber doch den Horopter unter einem ehr kleinen Winkel schneiden, so erscheinen diese wieder deutlicher in ihrer wahren Form. Die Ebene, so gesehen, macht ungefähr den Eindruck, als wenn sie vom Fuss des Berges aus eine Strecke lang anstiege, um sich dann weiter gegen den Horizont zu in horizontaler Richtung fortzusetzen. Es entsteht dadurch scheinbar eine Art flachen Thales längs

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