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Das Netzhautbild jedes einzelnen menschlichen Augs stellt eine perspectivische Projection der im Gesichtsfelde be findlichen Gegenstände dar. Da der Standpunkt, von welch diese Projection aufgenommen ist, für beide Augen desselber Individuum etwas verschieden ist, sind auch die beiden pr spectivischen Bilder selbst nicht ganz identisch, und ihre Ver schiedenheiten benutzen wir, wie die stereoskopischen Versuchlehren, um uns daraus ein Urtheil über die verschiedene Efernung der dargestellten Objecte vom Auge zu bilden. N: sind die Abbildungen desselben Gegenstandes auf beiden Net häuten desto mehr von einander verschieden, je näher dr Gegenstand den Augen steht. Bei sehr entfernten Getständen, gegen deren Entfernung die Distanz der Augen ver 169 schwindend klein ist, verschwindet auch der Unterschied Bilder, und für solche geht uns also dieses Hülfsmittel, & Entfernungen der Gegenstände zu schätzen und ihre k liche Gestalt zu erkennen, verloren.

Man kann sich davon namentlich an fernen Gegenständ von unregelmässiger Form, z. B. den die Aussicht begr den Bergzügen, überzeugen. Die letzteren erscheinen s wie eine uns kreisförmig umgebende, am Horizont gerale steigende Wand; wir erkennen nichts von den Woburg

1) Eine vorläufige Notiz gab schon Pogg. Ann. Bd. 101. S. 44

Einschnitten, verschiedenen hinter einander liegenden Ketten der Berge, wenn uns nicht Schlagschatten, Luftperspective oder eine genaue schon früher erworbene Kenntniss ihrer

Form zu Hülfe kommen. Bei Gegenständen von regelmässiger Form, Gebäuden u. s. w. genügt dem Vorstellungsvermögen schon eher eine einzige perspectivische Ansicht, um sich die nach der Tiefe des Bildes gerichteten Dimensionen ziemlich gut zu ergänzen.

Bei den stereoskopischen Landschaftsbildern, welche jetzt viel durch Photographie erzeugt werden, ist nun diesem Mangel dadurch abgeholfen dass der Photograph für die zweifache Aufnahme der Landschaft, sich zwei beliebig weit von einander entfernte Standorte wählen, und daher jedenfalls zwei hinreichend von einander verschiedene perspectivische Projectionen der Gegend verschaffen kann. Der Beschauer glaubt dann im Stereoskope ein verkleinertes Modell der Landschaft zu sehen, dessen Dimensionen sich zu denen der Landschaft verhalten, wie die Augendistanz des Beobachters zur Distanz der beiden Standorte der photographirenden Camera obscura.

Daher erklärt sich, dass diese stereoskopischen Bilder eine viel deutlichere Vorstellung von der Form der Landschaft geben, als die Betrachtung der wirklichen Landschaft wenigstens einem durchreisenden Fremden gewährt, der die einzelnen Objecte der Landschaft nicht schon so genau kennt wie die Einwohner. Städte, welche von einem hohen Punkte aus dem Beschauer als ein wüster Haufen von Dächern erscheinen, lösen sich im stereoskopischen Bilde auf in die einzelnen, durch die Strassen 160 abgetrennten Vierecke; man erkennt die relative Höhe der Häuser, die Breite der Strassen u. s. w. Dem entsprechend finde ich, dass man von den riesigen Dimensionen der Hochalpen im Stereoskop oft einen besseren Begriff bekommt als auf einer Alpenreise, weil derjenige, welcher solcher Bergreisen und Bergansichten ungewohnt ist, die Berge sich meist zu nahe und demgemäss zu klein vorstellt, theils wegen des Mangels der Luftperspective, theils weil er so grosse Dimensionen zu beurtheilen nicht geübt ist. Nur indem er die Mühseligkeit des Steigens durchmacht und nacheinander dieselben Berge von verschiedenen Standpunkten aus sieht, bildet er

sich eine Art von unvollkommenem Urtheil über ihre Grüsse. Noch sind offenbar die Vortheile, welche das Stereoskop in dieser Beziehung gewähren kann, wenig ausgebeutet, weil die Photographen im Ganzen eine grössere Distanz der Aufnahmepunkte mit Unrecht zu scheuen scheinen. Es lässt sich einsehen, dass man z. B. genaue körperliche Bilder der unnalbarsten Theile der Hochalpen wird erhalten können, wel man sich für die photographische Aufnahme passende Standpunkte sucht, welche einige tausend Fuss aus einander liege Bei der Betrachtung guter Modelle dieser Berge habe ic immer gefunden, dass ich mir durch die landschaftlichen Ansichten auf Reisen sehr ungenügende Vorstellungen von der Berggruppen gemacht hatte. Ich hatte sie mir im AllgemeineL zu nah aneinander gedrängt und ihre Grundflächen zu schm vorgestellt. Darin liegt auch wohl der Grund, warum Bergmodelle mit übertriebenen Höhen meist besser gefalle als solche mit richtigem Höhenverhältnisse. Erstere sind der falschen Vorstellung, die wir uns bei flüchtigen Reisen dur die Gebirge zu bilden pflegen, mehr entsprechend als letzter

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Fig. 49.

Einen Theil der Vortheile, welche die stereoskopisc Photographien gewähren, kann man sich auch bei der directe. Beschauung einer Landschaft verschaffen, mittels eines e170 fachen Instrumentes, welches ich Telestereoskop gen habe. Der Zweck desselben ist, dem Beschauer zwei Ber der Landschaft stereoskopisch vereinigt zu zeigen, welche Standpunkten entsprechen, deren Distanz die der menschlic Augen beträchtlich übertrifft. Die beistehende Figur 49

einen mittleren horizontalen Durchschnitt des Instrumentes in 11 seiner natürlichen Grösse.

Die wesentlichen Theile davon sind vier Spiegel b, b und c, c, welche senkrecht in einem gemeinsamen hölzernen Kasten und unter 45o gegen die längsten Kanten desselben geneigt befestigt sind. Die äusseren Spiegel b müssen gross, die inneren c können klein sein, alle müssen von den best geschliffenen dicken Platten genommen sein, die man unter den käuflichen Spiegeln findet, damit sie nicht verzerrte Bilder geben. Das von dem fernen Objecte kommende Licht wird auf den Wegen abcd zwei Mal unter rechten Winkeln reflectirt, und fällt bei dd in die beiden Augen des Beobachters. Bei ff sind Diaphragmen angebracht, um zu verhindern, dass anderes Licht in die Augen des Beobachters gelange, als was zweimal reflectirt ist. In den Oeffnungen des Kastens, durch welche der Beobachter hineinblickt, ist es zweckmässig zwei ganz schwache Concavgläser von 30-40 Zoll Brennweite einzusetzen, weil die meisten Augen sehr entfernte Gegenstände nicht ganz deutlich sehen, worauf es hier gerade ankommt. So schwache Gläser hindern auch normalsichtige Augen nicht, deutlich zu sehen.

Für Laien ist es wohl rathsamer die Spiegel festzustellen, wie es in der Zeichnung angenommen ist; für gewisse physi- 171 kalische Versuche, namentlich um nahe Gegenstände beobachten zu können, ist es nützlich, die vier Spiegel um senkrechte Axen drehbar zu machen.

Jedes Auge des Beobachters sieht in dem kleinen Spiegel seiner Seite den grossen, und in dem grossen die Landschaft gespiegelt; letztere aber erblickt er in einer solchen perspectivischen Projection, wie sie von den beiden grossen Spiegeln bb aus erscheint, wodurch natürlich viel grössere Verschiedenheiten der beiden perspectivischen Ansichten hervorgebracht werden, als die beiden Augen des Beobachters bei unmittelbarer Betrachtung der Landschaft gewähren. Um den Standpunkt genau zu bestimmen, von dem die Landschaft hierbei betrachtet wird, muss man sich die von den zwei Spiegelpaaren entworfenen Bilder der Augen des Beobachters suchen, welche in der Figur in der Verlängerung der Linien ab liegen wür

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den, über hinaus, und zwar von b um be+cd entfernt. Durch das Instrument wird also die Augendistanz des Beobachters bis zur Grösse bb künstlich vergrössert.

Dem Beobachter erscheint die Landschaft durch das Telestereoskop wie ein verkleinertes Modell. Es ist daber einerlei, ob in dem Instrumente Concavgläser angebracht sind oder nicht. Alle nicht zu entfernten Theile der Landschaft bekommen dasselbe körperliche Ansehen wie im Stereoskop. und behalten dabei den ganzen Reichthum ihrer natürlichen Farben, sodass Bilder von überraschender Zierlichkeit und Eleganz entstehen.

Fernere Gegenstände erscheinen allerdings platt, lösen sich aber doch noch von ihrem Hintergrunde ab, so z. B. Berze. die eine halbe Meile entfernt sind, vom Himmel. Wie auf den stereoskopischen Photographien, ist auch im Telestereoskop der Anblick von Baumgruppen sehr überraschend, weil sich die einzelnen Wipfel und in jedem Wipfel die einzelner Zweige vollständig von einander lösen. Auch niedrig ziehendWolken scheinen in dem Instrumente häufig viel körperlicher und mehr von einander getrennt als dem freien Auge.

Je grösser der Abstand der beiden grösseren Spiegel ist. desto weiter hinaus in die Ferne zeigt das Instrument die körperlichen Formen der Objecte. Grössere Spiegel geben ei grösseres Gesichtsfeld. Will man daher auf irgend einem Aussichtspunkte das Instrument feststehend anbringen, um die Aussicht dadurch betrachten zu lassen, so wird es vor theilhaft sein, die Dimensionen der Spiegel und ihren Abstand möglichst zu vergrössern und das Ganze auf einen drehbare Tisch zu stellen. Für gewöhnlich ist es bequem die grösste Länge des Instrumentes nicht grösser als die Breite eines Fensters zu machen, damit man es vom Zimmer aus gebrauchen könne. Uebrigens erhält man einen grossen Theil der Effecte auch mit kleineren Instrumenten, in denen der gegenseitige Abstand der Spiegel viel geringer ist.

Physiker, welche in Anstellung optischer Versuche geübt sind, können sich übrigens eine telestereoskopische Ansicht der Landschaft verschaffen, ohne eines weiteren Apparates bedürfen als eines grossen und eines kleinen Spiegels. Den

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