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Nun ist mir ein Phänomen aufgefallen, welches denn doch zeigt, dass in anderer Beziehung die Convergenz ziemlich sicher ihre Rolle spielt zur Beurtheilung der Entfernung. Es betrifft dies die sogenannten Tapetenbilder. Wenn wir ein Tapeten-Muster vor Augen haben, und unsere Augenaxen nicht auf dasselbe Stück, sondern auf benachbarte identische Stücke des Musters gerichtet sind, so entsteht bekanntlich eine stereoskopische Täuschung: nämlich die stereoskopische Erscheinung eines Tapeten-Musters, das in anderer Entfernung liegt. Ich habe gewöhnlich die Augen auf einen Punkt convergiren lassen, der weiter von mir entfernt war als die Ebene der Tapete. Es muss dazu eine Tapete benutzt werden, deren identische Partien nicht weiter von einander abstehen, als die Drehpunkte der beiden Augen von einander entfernt sind; dann kann man convergirende (oder allenfalls schwach divergirende) Augenaxen anwenden. Dasselbe Phänomen kann man aber auch hervorbringen durch Convergenz der beiden Augenaxen nach einer Ebene, die uns näher steht als die des Tapeten-Musters.

Die Vorstellung von der Entfernung des so gesehenen Tapeten-Musters hat etwas Unbestimmtes; sie ist nicht sehr 59 deutlich und wird geändert, sowie noch andere Gegenstände auf der Tapete vorhanden - Bilder, Nägel u. s. w. - welche die regelmässige Periodicität des Musters stören.

Wenn man sich nun ein solches Tapetenbild entwirft und dann den Kopf etwas von rechts nach links. oder von oben nach unten oder von vorn nach hinten verschiebt, so tritt eine scheinbare Bewegung des Tapetenbildes ein. Hingegen macht das reelle Object, welches man mit richtig gestellten Augenaxen binocular anschaut, keine derartige Bewegung; bei diesem sind wir darauf eingerichtet, wir erwarten die Winkelverschiebung, welche dasselbe erleidet, wenn wir unseren Kopf willkürlich verschieben. So lange hierbei die scheinbaren Bewegungen des reellen Objectes die uns gewohnten Grenzen und Verbindungen einhalten, beurtheilen wir das Object als ruhend. Bei den Tapetenbildern wird die Combination gelöst. Also selbst eine ruhende Convergenz, welche eingerichtet ist auf eine bestimmte Entfernung, wird hierbei deutlich und fein

unterschieden von dem anderen Grade der Convergenz, der der wirklichen Lage des Objectes entsprechen würde. Ich habe hierbei gefunden, dass in diesem Falle in der That die vorhandene Convergenz mit recht grosser Genauigkeit den Efolg bestimmt, und dass mit recht grosser Sicherheit die nicht objective Natur des Tapetenbildes sich verräth, indem jede Bewegung des Kopfes eine scheinbare Winkelbewegung des Bildes hervorruft. Die leicht zu machende Beobachtung scheint mir von einiger Wichtigkeit zu sein, um die Schätzung derjenigen Momente zu geben, von denen die Beurtheilung der Entfernung gesehener Objecte abhängt. Ich entsinne mich nicht, dass der Versuch schon irgendwo angeführt ist.

Nachträglicher Zusatz. Bei Convergenz auf einer entfernteren Punkt bewegen sich die Tapetenbilder stets nach entgegengesetzter Richtung als der Kopf: bei Convergenz auf einen näheren Punkt in derselben Richtung. Ich sehe auch im letzteren Falle die Bewegung vollkommen deutlich.

Physiologische Akustik.

LXXIII.

Ueber die Mechanik der Gehörknöchelchen.

Aus den Verhandlungen des naturhist.-medic. Vereins zu Heidelberg.
Bd. IV. S. 153.-161. Vom 9. August 1867.

(Das Manuscript war bereits am 26. Juli überreicht worden, der Nachtrag dazu am 9. August.)

Die Aufgabe des Trommelhöhlenapparates kann so be- 153 zeichnet werden: Derselbe hat die Schallschwingungen der Luft, die mit relativ kleinen Druckkräften, aber in grossen Excursionen geschehen, zu übertragen auf das relativ schwere Labyrinthwasser, dessen Bewegung eben wegen seiner Schwere grössere Druckkräfte verlangt, während wegen der mikro- 154 skopischen Kleinheit der mitschwingenden Endapparate der Nerven, welche gleichsam die Reagentien für die Schallschwingungen des Labyrinthwassers bilden, sehr kleine Amplituden seiner Schwingungen genügen.

Um die nöthige mechanische Kraft für die Schwingungen der genannten Flüssigkeit zu gewinnen, wird der Druck der schwingenden Luft von der verhältnissmässig grossen Fläche des Trommelfelles gesammelt und durch die Reihe der Gehörknöchelchen innerhalb der sehr viel kleineren Fläche des ovalen Fensters auf das Labyrinthwasser übertragen. Die genaue Uebertragung so kleiner Bewegungen erfordert, wie Riemann in den von ihm nachgelassenen Papieren1) mit Recht hervorhebt, eine ausserordentlich grosse Präcision und Festigkeit in den Verbindungen der Gehörknöchelchen. Damit steht es

1) Zeitschrift für rationelle Medicin. 1867.

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