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elektrischen Strom eine Wasserzersetzung; aber auch hier war das entwickelte Sauerstoffgas nicht im Stande, Fäulniss oder Gährung hervorzubringen. Dieses Resultat widerspricht einem Versuche von Gay Lussac, welcher in unter Quecksilber ausgepresstem Traubensafte durch den elektrischen Strom Gährung hervorgerufen haben will; es kann aber auch bei der gewissenhaftesten Reinigung der Gefässe, des Quecksilbers etc., wie es sich bei den Untersuchungen über Generatio aequivoca zeigte, kein Experiment bindende Kraft haben, wobei irgend ein Theil des Apparates, oder irgend eine der angewendeten Substanzen nicht vorher bis zur Siedhitze erwärmt ist. Dasselbe lässt sich einwenden gegen die Versuche desselben ausgezeichneten Chemikers, bei denen nach der Einbringung einer geringen Quantität Sauerstoffes Gährung entstand, Versuche, auf welche Liebig ein besonderes Gewicht legt, weil sich nicht einsehen liesse, wie in das zur Gasentwickelung gebrauchte Manganhyperoxyd oder chlorsaure Kali organische Keime hineinkommen könnten.

Aus allen diesen Experimenten geht hervor, dass weder der Oxydationsprocess noch die der Fäulniss ähnliche frei- 459 willige Zersetzung des Harnstoffes, noch die mächtige, chemische Bewegung, welche durch den elektrischen Strom hervorgerufen wird, im Stande sind, die Fäulniss oder Gährung einzuleiten. Auch kann keiner der gewöhnlichen, durch Siedehitze nicht veränderlichen Bestandtheilen der Atmosphäre den Anstoss geben, weder Stickstoff noch Kohlensäure, noch Wasserstoff oder das neuerdings von Liebig nachgewiesene Ammoniak. Uebrig bleiben nur noch zwei Substrate, denen wir diese Wirkung zuschreiben können, nämlich die in der Luft verbreiteten Exhalationen fauliger Substanzen, wie sie von Liebig zugleich mit dem Ammoniak aus dem Regenwasser abgeschieden sind, oder die Keime organischer Wesen, auf deren allgemeine Verbreitung man aus den Erscheinungen scheinbarer generatio aequivoca schliessen muss. Die einwohnende Thätigkeit beider wird durch die Siedhitze aufgehoben, und beiden können wir die Fähigkeit zuschreiben, Fäulniss zu erregen, möglicherweise könnten die Anhänger der Generatio aequivoca auch den ersteren die Fähigkeit zuschreiben,

Organismen zu erzeugen, sie gleichsam als gasförmig verbreitete Zeugungsstoffe betrachten. Die Frage, welches dieser Agentien das wirksame sei, hat durch Liebig's geistvolle Deductions eine grosse Wichtigkeit nicht nur für die organische Chemie. sondern auch für die Lehre von den Contagien und Miasmer erlangt. Ich habe deshalb fäulnissfähige Stoffe so abzusperrer gesucht, dass der Zutritt auch noch so kleiner fester Körp chen, wie es die Keime mikroskopischer Organismen sind, verhindert werde, nicht aber der von flüssigen oder gasförmige Stoffen. Durch chemische Mittel konnte die Trennung beider Agentien nicht gelingen, weil dieselben stets Fäulniss : Leben zugleich zerstören; aber sie ist mir vollständig auf ne mechanischem Wege gelungen, indem ich in abgesperrte faal nissfähige Flüssigkeiten durch eine Blase hindurch mittelst de Endosmose faulende Flüssigkeiten oder reines Wasser eintrete 460 liess. Zu diesem Ende überband ich eine Oeffnung einer tubelirten Vorlage mit einem Stück Blase, und leitete aus der anderen eine Glasröhre mit ausgezogener Spitze his brachte die zu untersuchenden Substanzen in der Vorlage xx Sieden, erhitzte während der Abkühlung derselben das R schmolz es endlich zu, und setzte die Blase in eine fal fähige Flüssigkeit oder in Wasser. Oder noch einfacher: a füllte ein etwas weites Reagirgläschen mit der zu untersucher den Flüssigkeit ganz an, band eine Blase mit Einschluss lichst weniger Luft über, erhitzte es vorsichtig bis 100 wobei sich die kleinste Schadhaftigkeit der Blase durch Atritt der innen stark gepressten Flüssigkeit zu erkennen ga und stellte es nach vollendeter Abkühlung umgekehrt in e andere Flüssigkeit. Die Fäulniss trat in diesen Fällen in eingeschlossenen Substanz fast eben so schnell ein, wie in einer nicht abgesperrten, gab sich durch den bekannten wider.d Geruch und Geschmack, durch Entfärbung des Lackmus, Ewickelung von Gasarten aus Proteinverbindungen, durch Ver wandlung des Leims in extractive Materien zu erkennen; dag ist das Ansehen einer auf diese Weise faulenden Flüssigkeit t durchaus anderes; dieselbe bleibt nämlich vollkommen ka Fleischstücke zerfliessen nicht zu einem trüben Brei, sobr behalten trotz der von ihnen ausgehenden Gasentwick

vollständig ihre Structur, sogar bis zu den Querstreifen der Primitivbündel, werden consistenter, wie ganz hartgekochtes Eiweiss, und bei der mikroskopischen Untersuchung findet man nicht die geringste Spur von Infusorien oder regelmässigen feinen vegetabilischen Bildungen, die sich sonst in so grosser Menge zu zeigen pflegen. Dass hier nicht bloss eine Transfusion der Fäulnissproducte von aussen in den inneren Raum stattfindet, lässt sich am besten daran erkennen, dass die Gasentwickelung von Fleischstücken, sobald sie einmal angefangen hat, nicht aufhört, auch wenn man das Gefäss aus der äusseren Flüssigkeit herausnimmt und die Blase durch eine Schicht Siegellack vor der Berührung mit der Luft schützt. Das hierbei entwickelte Gas wird zu 2 von kaustischem Kali 461 absorbirt, und schwärzt schnell eine Bleisalzlösung. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Fäulniss unabhängig von dem Lebensprocesse bestehen kann und nur in der Form durch diesen geändert wird, dass zu ihrer Einleitung der Zutritt faulender Flüssigkeiten oder Dünste hinreicht, und dass organische Wesen nur dann entstehen, wenn die Möglichkeit des Zutrittes fester Körper (also auch organischer Keime) vorhanden ist.

Dieselben Versuche habe ich an Weinmost angestellt, wobei ich die den eingeschlossenen Most abschliessende Blase in eben solchen gleichfalls ausgekochten Most stellte. Letzterer ging in 36 bis 48 Stunden in heftige Gährung über, die in acht Tagen grösstentheils vollendet war, der abgesperrte Most dagegen zeigte durchaus keine Veränderung, keine Hefebildung und keine Gasentwickelung. Durch Endosmose vermehrte sich sein Volumen etwas, und er nahm einen leicht weinigen Geruch. und Geschmack an; entfernte man die äussere Flüssigkeit, so nahm sein Volumen nicht weiter zu, auch war im Verlaufe von acht Tagen durchaus keine weitere Veränderung zu bemerken. Wurde nach Ablauf dieser Zeit das Gefäss geöffnet, so trat lie Gährung später nicht so leicht ein wie in ganz frischem Most, entwickelte sich aber sehr schnell beim Zusatz der geringsten Menge gährender Flüssigkeit. Die weinige Gährung ist demnach an den Zutritt eines festen Körpers gebunden, der durch die Blase zurückgehalten wird, und unter welchem wir uns nur die Hefe denken können, deren vegetabilische Natur

nicht mehr zu bezweifeln ist. Dem Fäulnissprocesse entspricht in den Fruchtsäften die sogenannte schleimige Gährung, welche mit üblen Gerüchen und meist mit Schimmelbildung verbund ist, und unter solchen Umständen eintritt, welche die Ausdung der weinigen Gährung verhindern.

Die Ansicht, welche sich aus diesen Resultaten von der Fäulniss bildet, ist folgende:

1) Die Fäulniss ist ein Zersetzungsprocess der protez462 haltigen und leimartigen Materien, der sich von ähnliche: Zersetzungsprocessen anderer stickstoffhaltiger Verbindun z. B. derer des Cyans, durch die Fähigkeit unterscheidet. auf andere Massen derselben Stoffe fortzupflanzen, und anders als durch eine solche Fortpflanzung, vielleicht au aus dem Lebensprocess zu entstehen scheint. Von dieser pr mären Zersetzungen sind jedoch die secundären anderer ri fäulnissfähiger Stoffe, welche faulenden Flüssigkeiten zugemis sind, zu unterscheiden.

2) Sie kann unabhängig vom Leben bestehen, bietet aber den für die Entwickelung und Ernährung von lebenden Wese fruchtbarsten Boden dar, und wird dadurch in ihren Ersber nungen modificirt. Eine solche, durch Organismen modif und an diese gebundene Fäulniss ist die Gährung.

3) Sie gleicht dem Lebensprocesse auffallend durch Gleichheit der Stoffe, in denen sie ihren Sitz hat, durch i Fortpflanzungsfähigkeit, durch die Gleichheit der Bedingunge welche zu ihrer Erhaltung oder zu ihrer Zerstörung nöthig så

Zusatz (1882). Die neueren Untersuchungen über dieses Thema machen es wahrscheinlich, dass der Process, det a hier als reine Fäulniss behandelt habe, sich nur durch Art und Grösse der entstehenden Organismen untersch Die eindringenden Organismen müssen im Stande sein, gegen Wasserdruck standhaltende nasse Membran zu durbir gen, also actionsfähigen Zustand bei sehr geringer Grüsse habet oder sie müssen durch die Membran hindurch wachsen k Dadurch wird die Art der eindringenden Organismen erhebe beschränkt.

LXXXIII.

Ueber den Stoffverbrauch bei der Muskelaction.

Aus Joh. Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie.
Jahrgang 1845. S. 72-83.

Eine der höchsten, das Wesen der Lebenskraft selbst un- 72 nittelbar betreffenden Fragen der Physiologie, nämlich die, ob las Leben der organischen Körper die Wirkung sei einer eigeen, sich stets aus sich selbst erzeugenden, zweckmässig wirkenlen Kraft, oder das Resultat der auch in der leblosen Natur hätigen Kräfte, nur eigenthümlich modificirt durch die Art hres Zusammenwirkens, hat in neuerer Zeit, besonders klar in Liebig's Versuch, die physiologischen Thatsachen aus den becannten chemischen und physikalischen Gesetzen herzuleiten, ine viel concretere Form angenommen, nämlich die, ob die nechanische Kraft und die in den Organismen erzeugte Wärme us dem Stoffwechsel vollständig herzuleiten seien, oder nicht. Schon längst hatten die Physiologen aus den Erscheinungen der Ermüdung und der allmähligen Wiederherstellung der Kräfte lurch Ruhe gefolgert, dass zur Hervorrufung der mechanischen Effecte gewisse wägbare oder unwägbare Materien verbraucht vürden, welche fortwährend durch die vegetativen Lebensproesse neu erzeugt, sich in gewisser Quantität anhäuften; doch connten kaum Ahnungen über die Natur der verbrauchten Stoffe und über den Ort des Umsatzes aufgestellt werden; das inzige auf eine chemische Aenderung in den Muskeln selbst 73 inweisende Factum war die Erfahrung, dass das Fleisch zu Tode gehetzter Thiere sich im Geschmacke wesentlich von lem schneller getödteter unterscheidet. Einen genaueren Nach

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