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LXXXV.

Messungen über den zeitlichen Verlauf der Zuckung animalischer Muskeln und die Fortpflanzungsge

schwindigkeit der Reizung in den Nerven.

Aus Joh. Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrg. 183 S. 276-364. Der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin mitgethei am 19. Juli 1850.

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Die erste Abtheilung der vorliegenden Untersuchungen ist ein Theil einer. von mir nach weitläufigerem Plane begonne nen Arbeit. Ed. Weber hat die Gesetze ermittelt. nach welchen die Muskeln im ruhenden und im anhaltend erregter Zustande wirken, und dadurch die Grundlage für die Kennt niss ihrer mechanischen Wirkungen gelegt. Eine der Hauptfragen in diesem Gebiete kann aber nicht durch Untersuchung des continuirlich erregten Muskels erledigt werden, diejenige nämlich nach der mechanischen Arbeit, die er zu leisten ver mag. Der andauernd gleichmässig erregte Muskel bring durch die erschöpfendste Anstrengung keine Arbeit im Sinne der Mechanik hervor, er bewirkt nur, dass die Körperthele in einer neuen Gleichgewichtslage ruhend verweilen. Um eine Arbeit zu leisten, Bewegungen des eigenen Körpers oder Ver277 änderungen in der Aussenwelt hervorzubringen, muss de Muskel zwischen Ruhe und Erregung wechseln. und de Grösse seiner Arbeit wird wesentlich von der Geschwindig keit des Wechsels abhängen. Ich habe aus diesem Gesichtspunkte begonnen, die Vorgänge bei der einfachen Zuckung des Muskels zu studiren; unter einer solchen verstehe ich eine Zusammenziehung, welche auf eine Reizung von verschwindent

kleiner Dauer erfolgt. Ausserdem wird durch die elektrischen Erscheinungen bestätigt1), dass wahrscheinlich jede scheinbar continuirliche Zusammenziehung des Muskels kein wirklich continuirlicher Zustand sei, sondern auf einem schnellen Wechsel entgegengesetzter Molecularzustände beruhe. Wir dürfen also wohl andauernde Zusammenziehungen als eine Reihe so schnell sich folgender, einfacher Zuckungen betrachten, dass jede vorhergehende beim Eintritt der folgenden noch nicht merklich nachgelassen hat. Bei diesem Verhältniss wäre also die einfache Zuckung der elementare Vorgang, aus welchem sich die anderen zusammensetzen, und deshalb verspricht das Studium desselben, uns den leichtesten Zugang zu den hier vorliegenden Problemen zu eröffnen.

Meine Untersuchung der mechanischen Verhältnisse der einfachen Zuckung löst bisher nur einen Theil der zu stellenden Fragen, und ich würde ihre vollständigere Durchführung erwartet haben, ehe ich sie veröffentlichte, wenn nicht die darin ermittelten Thatsachen den Weg gebahnt hätten, die Frage über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven, welche im zweiten Theile der vorliegenden Abhandlung behandelt wird, zu entscheiden. Da die Resultate dieses letzteren nicht dargestellt werden können, ohne auf das, was ich über die Vorgänge der Zuckung ermittelt hatte, Bezug zu nehmen, und doch ein hinreichend grosses selbständiges Interesse haben, um eine Veröffentlichung auch dieser noch nicht vollendeten Untersuchungen zu rechtfertigen, wählte ich 278 den eingeschlagenen Weg. Eine kurze Andeutung der Methode und der Resultate der Untersuchung über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Nerven ist schon veröffentlicht in den Monatsberichten der Akademie der Wissensch. zu Berlin, 1850, Februarheft, und in den Comptes rendus de l'Acad. d. sc. T. XXX. p. 204.

1) S. E. du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elektricität. Bd. II. Absch. 3. Kap. IV. § 4.

§ 1.

Vorläufige Methode und ihre Resultate.

Die mechanischen Eigenschaften eines Muskels sind, nach den Untersuchungen von Ed. Weber, denen eines elastische Bandes von veränderlicher Elasticität gleich, und wie bei desem hängt der Zug, den er auf seine Befestigungspunkte a übt, oder seine Spannung, von seiner Länge ab. Wenn der Muskel sich im Zustande der Erregung befindet, ist die Spanung bei gleicher Länge eine andere, eine grössere, und den gemäss die Länge, welche demselben Grade der Spannung entspricht, eine kleinere. Ich beabsichtige im Folgeri namentlich zu untersuchen, in welchen Zeiträumen diese Ver änderungen nach der Einwirkung eines Reizes von verschwdend kleiner Dauer eintreten und wieder aufhören. Ed. Weber hat den Zustand, in welchen der Muskel durch Reiz versetzt wird, als den „,thätigen" bezeichnet. Da nun d Thätigkeit des Muskels in diesem Zustande nicht nur eie mechanische, sondern auch eine elektrische, thermische, che mische ist, und wir von vornherein nicht wissen, ob in jez Falle alle diese verschiedenen Richtungen gleichzeitig ver mehrt und vermindert werden, wollen wir die mechambe Aeusserung der Thätigkeit in dieser Abhandlung mit & 279 Namen der Energie des Muskels bezeichnen. Der Ge stand unserer nächsten Untersuchung ist also die Frage:

In welchen Zeiträumen und Stadien steigt und sinkt d Energie des Muskels nach momentaner Reizung?

Die Dauer der Zuckung eines animalischen Muskels gewöhnlich nur ein kleiner Bruchtheil einer Secunde, abe sehen von einer länger dauernden, schwachen Nachwirkung Da unsere Sinne zur unmittelbaren Wahrnehmung der zelnen Zeitmomente innerhalb einer so kleinen Dauer fähig sind, müssen wir künstlichere Methoden zu ihrer Bobachtung und Messung anwenden. Von solchen sind na lich zwei hier zu berücksichtigen. Bei der einen durch einen geeigneten Mechanismus die Vorgänge, &r Zwischenzeit man erfahren will, auf einer mit gleichmässigt

Geschwindigkeit fortbewegten Fläche notirt. Die Zeitunterschiede erscheinen auf dieser als proportionelle Raumunterschiede wieder und können durch letztere gemessen werden. Davon hat schon Ludwig für physiologische Zwecke Gebrauch gemacht, um die Schwankungen des Blutdruckes in den Arterien und des Luftdruckes in der Brusthöhle darzustellen. Die zweite davon wesentlich verschiedene Methode der Zeitmessung ist die von Pouillet vorgeschlagene.1) Die Zeitdauer wird hier durch die Wirkung bestimmt, welche während derselben eine Kraft von bekannter Intensität hervorgebracht hat. Pouillet lässt einen galvanischen Strom, dessen Anfang und Ende genau dem Anfang und Ende des zu messenden Zeitraumes entsprechen, auf einen ruhenden Magnet wirken; dann ist die Grösse des Bogens der Schwingungen, in welche der Magnet versetzt wird, der zu messenden Zeitdauer proportional.

Ich ging an die bezeichnete Untersuchung zunächst mit der ersten Methode. Mittels eines einfachen Apparates, der 280 vorläufig nur dazu dienen sollte, soviel von dem Verlaufe der einfachen Zuckung zu erfahren, als ich brauchte um den definitiven construiren zu können, liess ich in ganz ähnlicher Weise, wie es Ludwig mit den Höhen des Blutdruckmessers that, die Höhe aufzeichnen, bis zu welcher ein an den Muskel gehängtes Gewicht in den aufeinanderfolgenden Zeitpunkten der Zuckung erhoben wird. Die Versuche ergaben, dass eine genügende Vervollkommnung der Methode für die Zwecke der vorliegenden Frage durch die unvermeidliche Reibung der einzelnen Theile des Apparates vereitelt werde. Zugleich boten sich mir aber auch einige neue, den Verlauf der Zuckung betreffende Thatsachen dar, durch deren Kenntniss es möglich wurde, die zweite Methode der Zeitmessung auf die hier vorliegenden Verhältnisse anzuwenden. Da die Schilderung dieser zweiten, vollkommeneren Methode ohne die Kenntniss der erwähnten Thatsachen vielleicht grössere Schwierigkeiten darbieten würde, und da die erste Methode

1) Comptes rendus. T. XIX. p. 1384. Bd. LXIV. p. 452.

Poggend. Ann. d. Physik.

einen schnelleren, und durch einfachere Schlussfolgen zu er fassenden Ueberblick über den Verlauf der Zuckung gewährt. so halte ich es für geeignet, eine kurze Angabe ihrer Resultate hier herzusetzen, obgleich dieselben nur auf eine verhältniss mässig geringere Genauigkeit Anspruch machen können als die der zweiten.

An den ausgeschnittenen Wadenmuskel eines Frosches wurde vermittelst einiger festen Zwischenstücke ein Gewicht gehängt. Eines dieser Stücke war ein gut polirtes gerades Stahlstäbchen, welches durch zwei vertical übereinander befindliche Oeffnungen zweier Metallplättchen ging, in denen es keine beträchtliche Reibung erlitt, aber doch verhinder wurde, Seitenschwankungen zu machen. Das Stäbchen tra an einem Querarm eine feine Stahlspitze, die entweder af einer horizontal fortbewegten, leicht angerussten Glasplatte. oder auf einer rotirenden Cylinderfläche zeichnete. Die Be wegung wurde durch ein sinkendes Gewicht hervorgebracht und war vielleicht keine streng gleichmässige, sondern eine 281 leicht beschleunigte; jedenfalls war aber die Beschleunigung derselben innerhalb der hier in Betracht kommenden Zeträume von 10 bis 1/3 Secunde zu gering, um die Zeichnun wesentlich zu entstellen. Der zuckende Muskel zeichnete at diese Weise Curven, deren horizontale Abscissen der Ze proportional, deren verticale Ordinaten der Erhebung des Ge wichtes gleich waren. Diese Curven hatten im allgemein-t die Gestalt der in Taf. V Fig. 3 dargestellten, welche mit H des Mikroskopes nach einer der auf dem berussten Glasplätt be gezeichneten Linien copirt ist. AB ist die Horizontal. welche gezeichnet worden wäre, wenn man den Muskel nicht gereizt hätte. An ihr und an der Curve sind durch verticair Striche die Endpunkte von Abscissen angegeben, deren Astände einer gleichen Zeitdifferenz im Werthe von 0,03 s 0,04 Secunde entsprechen; die verticalen Erhebungen 62 mal vergrössert. Den Muskel reizte ein durch ih geleiteter, einzelner Oeffnungsschlag meines im Archiv, 1845 S. 154 (oben S. 754) beschriebenen Neef'schen Elektr motors, ebenso wie dort durch Einfügung grosser Leita widerstände in den Kreis des inducirten Stromes geschwis

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