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LXXXVII.

Ueber die Methoden, kleinste Zeittheile zu messen. und ihre Anwendung für physiologische Zwecke.

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Gelesen in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg am 13. December 1850. Abgedruckt in den Königsberger rat wissensch. Unterhaltungen. Bd. II. Heft 2. S. 1–24.

1 Ich beabsichtige heute die Aufmerksamkeit der geehrt:: Versammlung für eine Reihe von Versuchen in Ansprach ♫ nehmen, mit denen ich mich in letzter Zeit beschäftigt L Versuchen, deren Zweck es ist, die Dauer verschiedener sch vorübergehender Vorgänge des lebenden Körpers mittels ir verfeinerten Zeitmessungsmethoden der neueren Physik keri zu lernen. Zuvörderst sei es mir erlaubt, soweit es das V ständniss des Folgenden erfordert, und soweit es ohne Dez 2stration an den Apparaten selbst geschehen kann, das W der Methoden auseinander zu setzen, durch welche es m geworden ist, ebenso kleine Theile einer Zeitsecunde nicht Kbemerkbar zu machen, sondern sogar zu messen, als die in welche wir nur durch die mächtigsten Mikroskope kleinstes Längenmaass, die Linie, zerlegen können. 2 Die Wahrnehmung von Zeitunterschieden mittels un Sinne ohne Anwendung künstlicher Hülfsmittel ist keine se feine, namentlich dann nicht, wenn die beiden Vorgänge, de Zeitunterschied bestimmt werden soll, von verschiedenen S:organen, also z. B. der eine vom Auge, der andere vom ve oder selbst nur von verschiedenen Partien desselben Orris z. B. im Auge an verschiedenen Stellen des Gesichtsfeldes L

gefasst werden. Bekannt ist in dieser Hinsicht die von Bessel entdeckte merkwürdige Differenz verschiedener Individuen in Bezug auf die astronomische Zeitbestimmung der Sterndurchgänge. Der beobachtende Astronom vernimmt mit dem Ohre den Pendelschlag der Uhr, gleichzeitig sieht er den zu beobachtenden Stern durch das Gesichtsfeld des Fernrohres gegen den Faden rücken; er sucht sich zu merken, welche Stelle der Stern beim letzten Pendelschlage vor seinem Durchgange hinter dem Faden hatte, welche beim ersten nachher, um danach zu bestimmen, in welchem Zehntheil der durch die beiden Schallempfindungen begrenzten Zeitsecunde der Stern am Faden vorübergegangen sei. Jeder Beobachter, welcher sich auf diese Art zu messen einübt, liefert Reihen von Messungen, die unter sich sehr wohl übereinstimmen, aber um einen mehr oder weniger grossen constanten Unterschied von denen jedes anderen Beobachters abweichen, und die Erfahrung lehrt, dass eine Abweichung von mehr als einer ganzen Secunde zwischen verschiedenen Individuen möglich ist. Nehmen wir an, diese beiden wichen um gleich viel in entgegengesetztem Sinne von der Wahrheit ab, so folgt daraus, dass auch bei der sorgfältigsten Einübung und der grössten Aufmerksamkeit, der Mensch sich in der Bestimmung der Gleichzeitigkeit einer Gesichts- und einer Gehörwahrnehmung mindestens um eine halbe Secunde irren kann. Genauer unterrichten uns unsere Sinne, wenn wir Wahrnehmungen derselben Nervenfasern zu vergleichen haben. Sehen wir an einer und derselben Stelle des Gesichtsfeldes zweimal hintereinander dieselbe Lichterscheinung aufblitzen, so erkennen wir sie noch als doppelt, wenn die Zeit der Unterbrechung 1/10 Secunde beträgt; ist diese aber kleiner, 3 so verschmelzen beide Erscheinungen in eine, das beweisen uns, um an ein vulgäres Experiment zu erinnern, der continuirliche Feuerkreis, den eine glühende Kohle rasch im Kreise geführt hervorbringt, die Erscheinungen der schnell rotirenden Farbenkreisel und andere. Das Ohr vernimmt aufeinander folgende Stösse entweder als getrennte Geräusche oder, wenn die Zeitunterschiede kleiner werden als ein Schwirren, endlich wenn mehr als 32 auf die Secunde kommen, als einen gleichmässig anhaltenden Ton, diesen desto höher, je schneller die Stösse

sich folgen. Allerdings können wir aus der Höhe eines solchen Tones mit grösster Genauigkeit die Zahl der Stösse in der Secunde, also auch die Zwischenzeit von je zweien derselben berechnen; indessen dürfen wir diese Art der Wahrnehmung von Zeitunterschieden in der Qualität einer bestimmten Torempfindung nicht mit hierherziehen, da die Grösse der Zeitunterschiede dabei nicht unmittelbar wahrgenommen, sondera erst durch das wissenschaftliche Verständniss des Vorgangs erschlossen wird. Wir können dem Ohre nur soweit das Vermögen, Zeitunterschiede als solche wahrzunehmen, zuerkennen. als es fähig ist, die Zahl von etwa 3, 4, 5 oder 6 schnei hintereinander folgenden Stössen aufzufassen; das ist aber nur möglich, wenn die Zwischenzeiten nicht unter 1/10 Secunde betragen. Wir finden hier also ungefähr dieselbe Grenze wieder wie beim Auge.

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Die Unvollkommenheit in der zeitlichen Vergleichung ver Wahrnehmungen verschiedener empfindender Fasern scheint darauf zu beruhen, dass zwischen ihnen der Gedanke zum Bewusstsein kommen muss:,,Jetzt habe ich das erste empful aber noch nicht das zweite. Jetzt auch das zweite. D Schnelligkeit des Besinnens ist aber keineswegs eine so gross wie es das Sprichwort: ,,Schnell wie der Gedanke" vorat setzen scheint. Der grosse Unterschied in dem oben ange führten Beispiele betreffs der astronomischen Beobachtung: möchte sich dann darauf zurückführen, dass der eine B 4 achter zunächst auf die Schallempfindung reflectirt, und nsdem er sich diese zum Bewusstsein gebracht hat, seine A merksamkeit auf das Gesichtsbild wendet, der andere aber n sieht und dann hört, d. h. diejenige Gesichtserscheinung als de zusammentreffende nimmt, welche er sich zum Bewusstsein 2bracht hatte, als er durch den Schall gestört wurde. Fa= dagegen beide Wahrnehmungen auf dieselben empfinderd.: Nervenfasern, so verschmelzen sie zu einem Gesammtbilde: sinnlichen Wahrnehmung, welches wir im Gedächtniss beha und durch nachträgliches Besinnen in seine einzelnen Momente zerlegen. So machen wir es, wenn wir drei- oder viermali Aufblitzen eines Lichtes an ein und demselben Orte, ebensoviel Schallstösse vernehmen, die 1/10 bis 1, Secunde vo

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einander entfernt sind. Wir können sie nicht, während wir sie wahrnehmen, zählen, aber wohl in ihrem ruhenden Gedächtnissbilde.

Dadurch möchten die Grenzen bezeichnet sein, bis wie weit die Unterscheidung von Zeittheilen ohne künstliche Hülfsmittel gehen kann. Sobald 1/10 Secunde oder noch kleinere Theile mit Sicherheit beobachtet oder gar gemessen werden sollen, müssen wir künstliche Hülfsmittel anwenden. Den hierhergehörigen Methoden liegen zwei wesentlich voneinander verschiedene Principien zu Grunde; bei den einen verwandelt man die Zeitunterschiede in Raumunterschiede, bei den anderen misst man die mechanische Wirkung, welche während der zu messenden Zeit eine Kraft von bestimmter Intensität hervorgebracht hat, und berechnet aus dieser die Zeit. Die Erfindung oder wenigstens die fehlerfreie Ausführung dieser Methoden fällt fast ganz in die letzten 12 Jahre. Hauptsächlich war es das Bedürfniss der Artillerie, welches dergleichen zu suchen trieb. Um den Lauf der Geschützkugeln berechnen zu können, ist es wesentlich ihre Geschwindigkeit und die Zeit, welche die Pulvermasse zur Entzündung braucht, zu kennen. Die unvollkommenen Apparate, mit denen man früher diesen Zweck zu erreichen suchte, sind neuerdings bis zu einem solchen Grade von Genauigkeit gebracht worden, wie dieselbe 5 nur irgend bei dieser Art von Versuchen erfordert wird. Es liegt ihnen meistens das erste der vorher bezeichneten Principien zu Grunde, sie machen die Zeitunterschiede dadurch messbar, dass sie dieselben in Raumunterschiede verwandeln. Werner Siemens, damals Lieutenant der preussischen Artillerie, derselbe, welcher die gegenwärtig auf den elektrischen Telegraphenlinien des preussischen Staates und neuerlich auch von England für die ostindischen Linien angenommenen Constructionen ersonnen hat, ist auch der Erfinder eines zeitmessenden Instrumentes für artilleristische Zwecke, welches ich als geeignetstes Beispiel zur Erläuterung des Princips derartiger Instrumente hier seinen wesentlichen Theilen nach beschreiben will.

Denken wir uns einen sehr genau gearbeiteten stählernen Cylinder, der um seine Axe rotire (es braucht auch nur ein einzelner ringförmiger Streifen eines solchen Cylinders zu sein).

Helmholtz, wissensch. Abhandlungen. II.

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Die Oberfläche desselben sei in irgend eine Zahl gleicher Theile, etwa in Winkelgrade, also in 360 getheilt. Eine feine feststehende Spitze werde ihr genähert. Wenn der Cylinder i einer Secunde sich einmal umdreht, so gehen während dieser Zeit die 360 Theile in gleichmässiger Geschwindigkeit bei der Spitze vorüber, also jeder einzelne im 360sten Theile einer Secur de Siemens hat seinem Cylinder durch ein Uhrwerk mit Kel pendel eine Geschwindigkeit von 60 Umdrehungen in der Se cunde gegeben, etwas, was durch ein sorgfältig gearbeitetes Triebwerk nicht allzuschwer zu erreichen ist, da übrigens der cylindrische Streifen so leicht als möglich gearbeitet werde kann. Es gehen also dann 60 mal 360 d. h. 21600 Gradtheilin der Secunde an der Spitze vorüber, oder doppelt so viele in runder Zahl 40000 halbe Gradtheile, wie er sie ani dz Cylinder hat abtheilen lassen, also jeder einzelne in dem vierzigtausendsten Theile einer Secunde. Sie sehen nun ein, went d Spitze zweimal hintereinander eine Marke auf dem Cyler macht, so wird sich der Cylinder in der Zeit zwischen bed Markirungen um so viel Theilstriche fortbewegt haben. a • Vierzigtausendtheile einer Secunde inzwischen verflossen si: die zweite Marke wird also eine andere Stelle des Cylind treffen, und der Abstand der beiden Marken, längs der Cylines fläche nach Theilstrichen gezählt, wird unmittelbar die ZA.. dieser Zeittheilchen angeben. Bis so weit hatte man das Prie dieser Messungen schon früher auszuführen verstanden. d Hauptschwierigkeit aber, welche man lange vergebens zu versucht hatte, war, zu bewirken, dass die Augenblick & Markirungen auch genau mit Anfang und Ende desjiz Vorganges zusammenfielen, dessen Zeitdauer gemessen wersollte, also etwa mit denjenigen Augenblicken, wo die K zwei in ihrer Bahn aufgestellte Körper trifft. Man li Spitze sich an den Cylinder anlegen, ihn ritzen; das ge- -zuerst durch einen Beobachter, der einen Hebel bewegte. -> bald er das Treffen der Kugel vernommen hatte. Wie uz kommen dieses Mittel war, ergiebt sich aus dem, was ich ver! über die Ungenauigkeit unserer Sinne gesagt habe. Mechan Uebertragung des Stosses der Kugel gegen den getref. Körper ohne Vermittelung eines Beobachters, erfordert a

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