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dass die wirklich vorhandenen Zeitunterschiede in solchen Nervenvorgängen, welche wir als gleichzeitig vorauszusetzen gewöhnt sind, ganz nahe an jene Grenze heranstreifen, und dass uns wohl deshalb eben nicht feinere Unterscheidungen möglich sind, weil unsere Nerven nicht schneller arbeiten können. Die Astronomie lehrt uns, dass wir wegen der Fortpflanzungszeit des Lichtes jetzt sehen, was sich in der Fxsternwelt vor Reihen von Jahren zugetragen hat; dass wir wegen der Fortpflanzungszeit des Schalles später hören als 21 sehen, lehrt uns die tägliche Erfahrung. Glücklicherweise sind die Strecken kurz, welche unsere Sinneswahrnehmungen zu durchlaufen haben, ehe sie zum Gehirn kommen, soust würden wir mit unserem Bewusstsein weit hinter der Gegenwart und selbst hinter den Schallwahrnehmungen herhinken: glücklicherweise sind sie so kurz, dass wir die Verzögerung nicht bemerken und in unserem praktischen Interesse nicht dadurch berührt werden. Für einen ordentlichen Wallisch ist es vielleicht schlimmer; denn aller Wahrscheinlichkeit nach erfährt er vielleicht erst nach einer Secunde die Verletzung seines Schwanzes und braucht eine zweite Secunde um d Schwanz zu befehlen, er solle sich wehren.

LXXXVIII.

Ueber die Geschwindigkeit einiger Vorgänge in
Muskeln und Nerven.

Monatsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
15. Juni 1855.

Ich erlaube mir, der Akademie folgende Resultate weiterer 328 Untersuchungen über die Zeitverhältnisse bei der Thätigkeit der Muskeln und Nerven mitzutheilen, welche ich mittels der in J. Müller's Archiv für Anat. und Physiol. 1852. S. 199 beschriebenen Methode gewonnen habe, wobei der zuckende Muskel auf einem rotirenden Cylinder Curven verzeichnet, deren senkrechte Ordinaten der Grösse der Zusammenziehung proportional sind.

Ich erinnere daran, dass nach einer momentanen elektrischen Reizung des Muskels oder seines Nerven zunächst ein Zeitraum folgt, während dessen die mechanischen Eigenschaften des Muskels keine Veränderung zeigen, ein Zeitraum der latenten Reizung. Dann wächst die Spannung des Muskels eine Zeit lang, bis sie ein Maximum erreicht (Zeitraum der steigenden Energie) und sinkt wieder, erst schnell, später sehr allmählig, bis schliesslich der frühere Zustand der Ruhe wieder eingetreten ist. (Zeitraum der sinkenden Energie.)

aus.

1) Eintritt der secundären Zuckung vom Muskel 329 Der Hüftnerv eines Frosches wurde gereizt; an dem zugehörigen Wadenmuskel war ein künstlicher Querschnitt angelegt. Ueber diesen und den natürlichen Längsschnitt des Muskels war ein zweiter Nerv hingebreitet, dessen Muskel

Helmholtz, wissensch. Abhandlungen. II.

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secundär mitzuckte, und seine Zuckung auf dem Cylinder verzeichnete. Eine zweite Zuckung desselben Muskels wurde vOL seinem eigenen Nerven aus erregt. Dabei fielen vermöge einer schon früher beschriebenen Einrichtung des Apparates in den beiden gezeichneten Zuckungscurven die Punkte, welche de beiden Augenblicken der Reizung entsprechen, genau zusammen. Zu einem gelungenen Versuche gehört, dass beide Curven von gleicher Grösse und Form seien. Der horizontale Abstand zwischen beiden Curven entspricht dann dem Zeitraume, un welchen die secundäre Zuckung des Muskels später eintrat als die primäre. Dieser Zeitraum war in allen Fällen viel grösser als der Unterschied, der von der verschieden langen, von der Reizung durchlaufenen Nervenlänge abhängen würde; er we aber kleiner, etwa halb so gross als der der latenten Reizung des Muskels. Diese Grösse überstieg er übrigens in keinem Falle beträchtlich, auch dann nicht, wenn die secundäre Zuckung anfing schwächer zu werden als die primäre. Daraus folgt, das die negative Schwankung des Muskelstromes früher eintritt als die Zusammenziehung des Muskels Az schnellsten scheint der Muskelstrom seine Stärke zu änder etwa während der Mitte der Periode der latenten Reig Ueber Anfang und Ende der negativen Stromesschwankung lässt sich aber aus meinen Versuchen nichts bestimmen.

2) Eintritt der secundären Zuckung vom Nervez aus. Es gelang mir nur in wenigen Fällen, diese Art der secundären Zuckung bei einmaliger Reizung in gleicher Stark zu erhalten wie die primäre. Um die Unterschiede in der Länge der Nervenleitung zu eliminiren, wurde die dem zeich nenden Muskel nähere Hälfte seines Nerven in Berührung m der entsprechenden Hälfte eines zweiten Nerven gebracht, usi dann wurden nacheinander die peripherischen Enden belez Nerven gereizt und zwar, um unipolare Zuckungen zu verme den, durch den Strom einer kleinen Daniell'schen Batterie, fr 330 deren Strom die stromunterbrechenden Theile des Apparates b zum Augenblicke der Reizung eine Nebenschliessung bildetes Die Versuche ergaben, dass die secundäre Zuckung v. Nerven aus nicht merklich später eintritt als die primas. Daraus folgt, dass der elektrotonische Zustand des

Nerven nicht merklich später eintritt als der ihn erregende elektrische Strom.

3) Reizung durch zwei schnell aufeinander folgende elektrische Schläge. Zwei inducirende Drahtspiralen waren einer und derselben dritten inducirten Spirale genähert, deren Enden mit dem Nerven des zeichnenden Muskels verbunden waren. Die beiden Leitungen der inducirenden Spiralen wurden kurz nacheinander durch den zeichnenden Apparat und einen besonderen Hülfsapparat unterbrochen, welcher letztere die zweite Unterbrechung um eine genau bestimmte Zeit später als die erste ausführte. Die Dauer dieser Zwischenzeit konnte aber von einer Versuchsreihe zur anderen verändert werden. Ich liess den Muskel in der Regel drei Curven auf gleicher Abscissenlinie zeichnen, eine, wo nur die erste inducirende Spirale von einem Strome durchflossen war, Curve der ersten Reizung, eine, wo dies nur mit der zweiten der Fall war, Curve der zweiten Reizung, und eine, wo beide wirkten, Curve der doppelten Reizung.

Wenn beide elektrische Schläge stark genug sind, um jeder allein das Maximum momentaner Reizung im Muskel hervorzubringen, so sind die Curven der ersten und zweiten Reizung von congruenter Form und liegen nur über verschiedenen Theilen der Abscissenlinie. Die senkrechten Ordinaten der Curve der doppelten Reizung sind keineswegs, wie man vielleicht erwarten möchte, nahe gleich der Summe der betreffenden Ordinaten der Curven der einfachen Reizungen. Im Anfange fällt natürlich die Curve der doppelten Reizung mit der der ersten Reizung zusammen, bis die Periode der Latenz auch für die zweite Reizung vorübergegangen ist; dann erhebt sich die Curve der doppelten Reizung über die der ersten Reizung und verläuft von nun ab ziemlich parallel mit der sich unter ihr von der Abscissenlinie erhebenden Curve der zweiten Reizung bis zum Maximum, und kehrt dann erst im Stadium der 331 sinkenden Energie zur Curve der zweiten Reizung und zur Abscissenlinie zurück.

So lange also die zweite Reizung die beiden Vorgänge im Muskel nicht.

latent ist, stören sich Von da an aber, wo

die zweite Reizung wirksam wird, verläuft die Zuckung nahehin

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so, als wäre der in diesem Augenblicke stattfindende Contractionszustand des Muskels sein natürlicher Zustand, und die zweite Zuckung allein eingeleitet worden, bis im Stadium der sinkenden Energie der Muskel zu seinem früheren Ruhestande zurückkehrt.

Aus dieser Regel ergiebt sich in Uebereinstimmung mit den Versuchen, dass zwei momentane Reizungen die stärkste Zusammenziehung eines Muskels dann hervorbringen, wenn ihre Zwischenzeit gleich ist der Länge des Zeitraumes der steigenden Energie. Dann geht natürlich die zweite Zusammenziehung vom Maximum der ersten aus, und die stärkste Verkürzung des Muskels wird fast doppelt so gross als die Verkürzung nach einer einfachen Reizung. Auffallend ist dabei, was übrigens auch aus der aufgestellten Regel hervorgeht, dass diese stärkste Verkürzung zu einer Zeit eintritt, wo die Wirkung der ersten Reizung, wenn ihr keine zweite gefolgt wäre, fast ganz wieder verschwunden gewesen wäre.

Dagegen wirken zwei Reizungen nicht stärker als eine einzige Reizung, wenn ihre Zwischenzeit so klein ist, dass beim Anfange der zweiten Zuckung die erste noch keine merkliche Höhe erreicht hat. Dies findet statt, wenn die Zwischenzer beider Schläge kleiner ist als ungefähr 100 Secunde.

Sind die Schläge aber so schwach, dass jeder einzelne nicht das Maximum der Reizung hervorzubringen vermag, so verstärken sie sich auch bei der kleinsten Zwischenzeit.

Die Verkürzung des Muskels bei diesen zusammengesetzter Zuckungen kann, wie schon Ed. Weber gezeigt hat, nur ein gewisses Maximum erreichen, und wenn sie sich diesem nähert. fällt sie stets etwas kleiner aus, als die aufgestellte Regel for dern würde.

Uebrigens sah ich auch bei Hrn. Prof. Volkmann in vorigen Sommer Zeichnungen von Doppelzuckungen, die derselbe, ohne von meinen Untersuchungen zu wissen, hatte ausführen lassen.

4) Eintritt der reflectirten Zuckungen. Ich r Gefühlsnerven geköpfter oder strychninisirter Frösche und Les die Zuckung des Wadenmuskels aufzeichnen. Als vorlä Resultat hebe ich hervor, dass im Vergleich zur Fortpflanzung

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