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pfinde, wolle, denke: eine so handgreiflich verkehrte Lehre, dass La Mettrie behauptet, Descartes habe sie aufgestellt, damit man um so sicherer seine wahre Meinung errathe, dass Menschen- und Thierseele nur gradweise verschieden seien. Für La Mettrie giebt es nur Eine Substanz, das ewig räthselhafte Grundwesen von Materie und Geist, welches durch verschiedene Anordnung und Bewegung verschiedene Erscheinungsweisen annimmt. Die Seele ohne Leib sei undenkbar, ein wesenloser Begriff, daher ein guter Kopf sich des Wortes 'Seele' nur als kurzen Ausdruckes bedienen dürfe, um das unbekannte, in uns denkende Etwas zu bezeichnen. Auf diesem Standpunkte lacht er der abgeschmackten Vermuthungen, in welche Creatianer, Traducianer und Präexistianer über den Ursprung der einzelnen Menschenseele sich verloren. Er selber hat im Ganzen sehr verständige Ansichten über Zeugung. Trembley's damals neue Versuche über Theilbarkeit der Hydren sind Wasser auf seine Mühle. Übrigens schwebt ihm die organische Natur als ein durch Pflanze, Thier, Mensch zusammenhängendes einheitliches Ganze vor. Er wagt sogar den Versuch einer Schöpfungsgeschichte: Meer und Erde hätten ursprünglich minder, dann mehr vollkommene Wesen erzeugt.

Mit besonderem Nachdruck bekämpft La Mettrie die Lehre von den Endursachen. „Hören wir," heisst es bei ihm, „die Naturforscher: sie werden uns sagen, dass dieselben Ursachen, die in eines Chemikers Händen und durch zufällige Mischung den ersten Spiegel erzeugten, in den Händen der Natur auch den Wasserspiegel schufen, dessen sich die Schäferin bedient; dass die Be,wegung, welche die Welt erhält, auch die Ursach ihrer Entstehung sein konnte; dass jeder Körper den Platz einnahm, den seine Natur ihm anwies; dass die Luft mit derselben Nothwendigkeit die Erde umgeben musste, womit in deren Eingeweide Eisen und andere Metalle entstanden; dass die Sonne eine Naturerscheinung sei, wie die Elektricität; dass sie nicht mehr gemacht wurde, um die Erde zu erwärmen, welche sie manchmal verdorrt, als der Regen, um die Saat zu befruchten, welche er manchmal ersäuft; dass Spiegel und Wasser nicht mehr gemacht wurden, um sich darin zu spiegeln, als alle anderen polirten Körper, welche dieselbe Eigenschaft haben; dass zwar das Auge ein Spiegel ist, in welchem die Seele das Bild der Gegenstände betrachtet, dass es „aber unerwiesen sei, dass dies Organ wirklich zum Zweck dieser

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Betrachtung gemacht und seiner Höhle eingepflanzt wurde; dass es endlich wohl möglich wäre, dass Lucrez, der Arzt Lamy, und alle alten und neuen Epikuräer Recht hätten mit der Behauptung, ,dass das Auge nur sehe, weil es so gebaut und angebracht ist, wie es dies ist; und dass, wenn einmal die Bewegungsgesetze ge„geben sind, welche die Natur bei Erzeugung und Entwickelung „der Körper befolgt, es unmöglich war, dass dies wunderbare Organ anders gebaut und angebracht würde. "28

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Man sieht, dies sind dieselben Gedanken, die gerade jetzt die Wissenschaft lebhaft bewegen, und es bestätigt sich einmal wieder, dass in dem, was man eben brauchte, aber nicht weiss, die Denker jederzeit wesentlich gleich weit waren. Nach hundertzwanzig Jahren der tiefsten Forschungen können natürlich diese Gedanken in bessere Form gekleidet und auf breitere thatsächliche Grundlage gestellt werden. Hrn. Darwin's Genie ist eine Synthese gelungen, welche die Endursachen am sichersten beseitigen würde, indem sie sie entbehrlich machte. Um so entschiedener erscheint das Verdienst des Mannes, der zuerst nach langer kimmerischer Nacht der Scholastik auch mit deren letzten Ueberlieferungen brach, und es wagte, wie einst Demokrit, Epikur und Lucrez, sich die Welt rückhaltlos als System von Ewigkeit her bewegter Atome vorzustellen.

Der durch La Mettrie gemachte Fortschritt wird erst ganz einsichtlich, wenn man sich den Zustand der Metaphysik zur Zeit vergegenwärtigt, wo er auftrat. Halb theologischen Ursprunges, an die Voraussetzungen des Dogma's gebunden, wand sich diese Metaphysik hülflos in den Schlingen eines unlöslichen Widerspruchs. Seele und Leib mussten zwei verschiedene Substanzen sein, und die Mittel, welche, um dennoch deren Wechselwirkung zu erklären, Descartes, Malebranche und Leibniz folgweise vorschlugen, dienten nur, die verzweifelte Lage, in welche die dogmatisch-speculative Methode geführt hatte, um so klarer zu zeigen.29 Spinoza's erhabener Pantheismus liess die Forderungen des gemeinen Menschenverstandes unbefriedigt. Locke's und Condillac's Empirismus ruhte auf subjectiv-psychologischer Grundlage. Gassendi's und Hobbes' noch sehr verhüllte Versuche einer Wiederbelebung der antiken Weltweisheit waren wesentlich speculativer Natur, und bei mangelnder Entschiedenheit fruchtlos geblieben. Es fehlte eine neue Methode der Forschung über die Seele. Diese Methode

fand La Mettrie, man könnte sagen in der Einfalt seines Herzens, indem er, ein wahrer Naturforscher, inductiv zu Werke ging.

Die philosophischen Systeme, neuere wie ältere, insofern sie mit der Natur des Menschengeistes sich beschäftigen, leiden fast alle an dem Erbfehler, dass sie den Menschengeist nur aus ihm heraus, und nur in seiner höchsten Thätigkeitsform, als selbstbewusst denkendes Wesen, zu erkennen streben. Sie gehen aus von Thatsachen des inneren Sinnes, und berücksichtigen die Erscheinungswelt höchstens, um deren Dasein zuzugeben, um zu beweisen, dass die äusseren Sinne uns davon keine sichere Kunde bringen, und um zu erörtern, wie viel von seinen Einsichten der Geist dieser Kunde verdanke. Ohne die Wichtigkeit mancher auf diesem Weg erlangter Aufschlüsse zu verkennen, wird der Naturforscher sich nicht dabei beruhigen. Vielmehr wird er auch hier die Methoden anwenden, die sich ihm anderswo so fruchtbar erwiesen. Er wird die geistigen Erscheinungen wohl als ganz besondere Klasse der ihn umgebenden Erscheinungen auffassen, sonst aber bei deren Zergliederung und Ergründung so verfahren, wie gegenüber jeder anderen neu hervortretenden Thätigkeitsäusserung der Materie, z. B. der Elektricität. Er wird streben, durch Versuch und Beobachtung die Bedingungen dieser Aeusserung festzustellen, und wie er dabei dem ersten Dämmerschein geistiger Thätigkeit in der Thierreihe nachspüren wird, so wird er freilich auch, wiederum an der Hand der Erfahrung, in den Schacht des eigenen Bewusstseins niedersteigen. Nachdem er, wie Faust, die Reihe der Lebendigen an sich vorüberziehen sah, und seine Brüder in Luft und Wasser kennen lernte, öffnen sich ihm die geheimen, tiefen Wunder seiner eigenen Brust. Dies ist der dem subjectiven Idealismus gerade entgegengesetzte objectiv realistische Weg der Forschung über die Seele, der bisher viel zu wenig betreten wurde, der aber in der Gegenwart mehr und mehr zu Ehren kommt, und dem unstreitig die Zukunft gehört.

Fragen wir, wen man im Laufe der geschichtlichen Entwickelung an dessen Eingange zweifelnd sich umschauen, dann mit der freudigen Sicherheit des Pfadfinders vorangehen sieht, so ist es La Mettrie. Fort aus dem Studirzimmer, von den staubigen Pergamenten der Philosophen und Theologen (was konnten sie viel von der Seele wissen?) hat er die Forschung auf die Erfahrungen der Ärzte, die Entdeckungen der Naturforscher als auf den wahren

Quell der Erkenntniss in diesem Gebiete verwiesen. Mit einem Wort, in der Lehre von der Natur der Seele zuerst mit Bewusstsein und folgerecht auf objectiver Grundlage inductiv verfahren zu sein, das ist, wenn ich nicht irre, La Mettrie's bezeichnende That: eine so kühne That, dass sie vielleicht nur von einem so leichtsinnigen und übermüthigen Mann ausgehen konnte.

Dabei muss bemerkt werden, dass im Grunde La Mettrie sehr vorsichtig sich ausspricht. Keinesweges läugnet er ein höchstes Wesen, er giebt nur zu verstehen, dass mit dualistischer Auffassung der Welt auch nicht viel gewonnen sei. Mit der aufrichtigen Bescheidenheit des Naturforschers bezeichnet er die beiden Grenzen des menschlichen Erkennens. Nie werden wir, sagt er, das Wesen dessen begreifen, was wir Materie und Kraft nennen, und nie werden wir begreifen, wie Materie denkt. La Mettrie war also zurückhaltender in seinen Schlüssen, als z. B. in unseren Tagen David Friedrich Strauss, der an dereinstiger Lösung dieser Probleme keineswegs verzweifelte.30 Vollends Hr. Haeckel, für dessen jugendlich kühne Phantasie ja auch die Schöpfungsgeschichte kaum mehr ein Räthsel hat, kann nach einer neueren Äusserung, da La Mettrie Grenzen unseres Wissens anerkennt, folgerichtig in ihm, wie in mir, nur einen Finsterling und verkappten Jesuiten sehen.3: 31

La Mettrie's Lehren standen mit denen seiner Zeit in tieferem Widerspruch, als dass die in diesem Punkte bewiesene Mässigung ihm irgend hätte nützen können. Die protestantische Unduldsamkeit ging damals in mancher Beziehung vielleicht noch weiter als die katholische. Man kennt Wolf's Schicksale. Wurde nicht der grosse Johann Bernoulli von den Groninger Theologen als Socinianer verketzert, weil er durch Berechnung der Zeit, innerhalb welcher vermöge des Stoffwechsels die Materie des Körpers eine andere wird, der Lehre von der Auferstehung des Fleisches Schwierigkeiten bereitet hatte?32 Danach ist nicht zu verwundern, dass La Mettrie durch seine Untersuchungen über die Seele den Abscheu der Rechtgläubigen aller Bekenntnisse erregte. Ebenso leicht erklärt sich das Verdammungsurtheil, welches Deisten und Spiritualisten über ihn fällten. Voltaire insbesondere, als personificirter gemeiner Menschenverstand, legte das grösste Gewicht auf teleologische Betrachtungen, und sein Deismus ruhte vornehmlich auf dem bekannten Schluss aus der Uhr auf den Uhrmacher.

Man sah, wie La Mettrie dieser natürlichen Theologie den Boden unter den Füssen fortzuziehen strebte. Dagegen kann unbegreiflich scheinen, dass auch die Encyklopaedisten, Diderot, d'Alembert, Holbach, anstatt in La Mettrie einen Kampfgenossen und kühnen Plänkler zu begrüssen, ihn mit grösster Heftigkeit verläugneten, und jede Gemeinschaft mit ihm ablehnten; um so unbegreiflicher, als zwanzig Jahre später Holbach im Système de la Nature eigentlich nur La Mettrie's Lehre methodischer ausführte. Vielleicht verdross es sie, dass La Mettrie so früh und unumwunden die gefährlichen Meinungen aussprach, zu denen man im Stillen auch im Grandval und in der Chevrette sich bekannte, und sie mochten fürchten, dass sein anstössiges Benehmen auch ihnen das Spiel verderbe. Doch kommt, das Verhalten der Encyklopaedisten zu erklären, sicher noch etwas Anderes hinzu.

Man weiss, welchen übertriebenen Werth das vorige Jahrhundert, und in ihm besonders die französische philosophische Schule, der Moral beilegten. Dies hing zusammen mit der rationalistischen und radicalen Richtung, die nach Lösung der Glaubensfesseln durch einen natürlichen Rückschlag sich der Geister bemächtigt, und noch nicht gelernt hatte, gegenüber unerklärbaren, aber darum nicht minder unverbrüchlichen Naturgesetzen sich zu bescheiden. Wie man Schönheit, Liebe, Melodie und Dichtung auf rationelle Formeln zurückführen zu können glaubte,33 so meinte man auch im Leben, vom Staate bis zur Kinderstube, Alles nach Regeln des Verstandes ummodeln und bessern zu können, ohne auf die vielfach eigenthümliche Natur der Menschen und Dinge Rücksicht zu nehmen. Helvetius hielt die Erziehung für allmächtig. Man ahnte oder man gestand sich nicht, dass sie nichts vermag, als bestenfalls Maass und Verhältniss zu bestimmen, in welchem die in uns schlummernden Eigenschaften und Fähigkeiten sich entfalten; dass sie so wenig Neues in uns hineinträgt, wie sie in uns liegende Keime tilgt; dass übrigens alle wahre Erziehung und Besserung auf der natürlichen Macht von Gewohnheit und Beispiel ruht, und dass die herrlichsten Reden über Tugend aus einem geborenen Schurken nie einen edlen Menschen machen werden. Auch stand bei den verschiedenen Völkern jederzeit die Lasterhaftigkeit ziemlich im geraden Verhältniss zur Häufigkeit des Redens über Tugend. Das Tugendgeschwätz der Encyklopaedisten ertönte aus Frankreichs entsetzlicher Fäulniss unter Ludwig XV. hohl

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