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anomalen Dispersion die Berechtigung selbständiger Molecülschwingungen anerkannt wurde, erst da konnte die Frage aufgeworfen werden, ob denn auch die Molecüle parallel der sogenannten Wellebene oder in anderer Richtung ihre Schwingungen ausführen. Wird diese Frage in letzterem Sinne bejaht, so hört sofort die Wellebene auf, eine mathematische Ebene zu sein. Sofern nämlich selbst in durchsichtigen Medien die Aethertheilchen in der nächsten Umgebung der massigen Molecüle unmöglich geradlinige, sondern krummlinige Bahnen beschreiben, so ist es doch wahrscheinlich, wenn nicht sicher, dass ihre mittlere Schwingung geradlinig und der der Molecüle parallel ist. In diesem Sinn wird dann die Wellebene zu einem Aggregat unendlich vieler und unendlich kleiner Treppenflächen.

Das Incompressibilitätsprincip regulirt dann die Schwingungen jedes einzelnen Strahles für alle sich in dieser Richtung succedirende transversale Strahlwellen, und nichts steht im Wege, die allgemeinen Bewegungsgleichungen für diese Art der Fortpflanzung zu integriren. Man erhält so direct die Geschwindigkeitsfläche der Strahlen.

Das Huygens'sche Princip endlich, welches verlangt, dass auch die gesammte von aussen zugeführte Bewegungsquantität sich nach Ebenen gleicher Phase anordne, vereinigt die einzelnen Strahlwellen zu einer gemeinsamen Normalwelle. Diese Bedingung muss natürlich, völlig unabhängig von der molecularen Constitution, von jedem wellenfähigen Medium erfüllt werden, besteht sie ja doch ausschliesslich in der Statuirung der Solidarität der Schwingungen aller einzelnen Elemente desselben.

Die mathematische Formulirung des Huygens'schen Princips kann daher eine doppelte sein. Geometrisch folgt aus der Huygens'schen Construction die ebenso allgemeine wie einfache Gleichung:

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welche, nicht an die Schwingungsrichtung geknüpft, für alle denkbaren anisotropen Medien bestehen muss. Analytisch führt

andererseits Gleichung (b) für die normale Gesammtwelle zu den gleichen Gesetzen der Fortpflanzung wie Gleichung (a), und so wird denn begreiflich, dass dieselbe eine zweite Bedingung ist, welcher die Bewegungsgleichungen zu genügen haben. Auf dem einen oder anderen dieser Wege gelangt man zur Geschwindigkeitsfläche der Wellennormalen.

Münster i. W., im Juli 1895.

6. Zur Theorie der Verbreiterung der Spectral

linien; von B. Galitzin.

Zur Erklärung der Erscheinung, dass die charakteristischen Spectrallinien eines glühenden Gases bei Vermehrung der Dichte des ausstrahlenden Körpers und Steigerung der Temperatur etwas breiter werden (wenigstens eine Temperaturerhöhung diese Verbreiterung begünstigt) und zwar bei fortgesetztem Comprimiren in ein Banden- und schliesslich in ein continuirliches Spectrum übergehen sollen, sind verschiedene Theorien aufgestellt worden.

Lippich1) betrachtet das Molecül eines Gases als ein schwingungsfähiges System, und würde man weiter annehmen, dass der Bau desselben so beschaffen ist, dass ihm zwei oder mehrere, aber wenig von einander verschiedene Schwingungsdauern zukommen, so könnte die Breite einer Spectrallinie wohl erklärt werden, nicht aber die thatsächlich eintretende Verbreiterung derselben beim Variiren der Druck- und Temperaturverhältnisse. Deshalb und in Hinsicht auf das Spectrum eines ideellen Gases, in welchem die Molecüle vollkommen freie elastische Systeme sein sollen, weist Lippich diese Erklärung zurück und sucht die Verbreiterung der Linien auf die translatorischen Bewegungen der Molecüle unter Anwendung des Doppler- Fizeau'schen Princips zurückzuführen. Diese Annahme gibt, wie leicht einzusehen ist, eine gute, wenn auch nicht vollständige Erklärung von dem Einflusse der Temperatur. In der That, je höher die Temperatur ist, desto grösser wird die mittlere Geschwindigkeit der Molecüle und infolge dessen desto grösser auch die Aenderung der scheinbaren Wellenlänge des ausgestrahlten Lichtes. Es müsste aber die Ausbreitung einer Spectrallinie nach dieser Theorie auf beiden Seiten, zu grösseren und kleineren 2, gleichmässig erfolgen, was jedoch mit der Beobachtung nicht in vollem Einklange steht. Was den Einfluss des Druckes auf die Breite

1) Lippich, Pogg. Ann. 139. p. 465. 1870.

einer Spectrallinie betrifft, so weiss die Lippich'sche Theorie, wenigstens für ein ideelles Gas, keine befriedigende Erklärung zu geben, was wohl von Lippich selbst anerkannt wird.1) Freilich macht er am Schlusse seiner Abhandlung darauf aufmerksam, dass, wenn ein Gas in seinem Verhalten vom Mariotte-Gay-Lussac'schen Gesetz etwas abweicht, der Druck wohl einen Einfluss auf die Breite einer Spectrallinie ausüben kann.

Zöllner in seiner Abhandlung,,Ueber den Einfluss der Dichtigkeit und Temperatur auf die Spectra glühender Gase" 2) geht von der Betrachtung der Kirchhoff'schen Gesetze über Emission und Absorption aus. Seine Resultate können kurz folgendermassen zusammengefasst werden.

Bedeute E die zur Wellenlänge λ gehörige Lichtmenge, welche von einem Gase von der Dichte σ von der Flächeneinheit senkrecht ausgestrahlt wird, E, und 4, die entsprechenden auf die Einheit der Dichte bezogenen Emissions- und Absorptionsvermögen, so ist bekanntlich

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wo (EA) e das Emissionsvermögen eines absolut schwarzen Körpers bedeutet.

Ist σ 1, so haben wir einfach E

=

=

E, d. h. eine merkliche Emission kann nur an den Stellen vorhanden sein, wo E, folglich, da e als eine continuirliche Function von λ anzunehmen ist, auch A, merklich von Null verschieden ist. Dieser Fall entspricht einem stark ausgeprägten Linienspectrum.

Mit wachsendem o convergirt, da A, kleiner als 1 ist, der vorige Ausdruck gegen seinen Grenzwerth e, welchen er für σ = ∞ annehmen würde; d. h. das Linienspectrum würde allmählich in ein continuirliches Spectrum übergehen, was nöthiger Weise eine vorangehende Verbreiterung der einzelnen Spectrallinien voraussetzt. Je grösser der Absorptionscoefficient ist, desto rascher convergirt voriger Ausdruck, desto grösser wird auch die Verbreiterung der Linien.

1) Lippich, L. c. p. 476.

2) Zöllner, Pogg. Ann. 142. p. 88. 1871.

Diese letzte Bemerkung ist von besonderer Wichtigkeit, da sie uns sofort über eine Asymmetrie in der Verbreiterung der Spectrallinien Aufschluss geben kann. Es wird nämlich eine Spectrallinie auf der Seite hauptsächlich sich ausbreiten, zu welcher ein stärkeres Absorptionsvermögen gehört, was mit den Beobachtungen an Natronlinien in Uebereinstimmung steht. Ausserdem wird, da bei einer Steigerung der Temperatur das Emissions- und folglich im Allgemeinen auch das Absorptionsvermögen wächst, ein discontinuirliches Spectrum durch Steigerung der Dichtigkeit um so schneller sich in ein continuirliches verwandeln, je höher die Temperatur des glühenden Gases ist.

Der hier beschriebenen Theorie schliesst sich auch Wüllner unmittelbar an, dem wir noch sehr viele Beobachtungen auf diesem Gebiete zu verdanken haben.1)

Die erwähnte Theorie liefert also eine einfache Erklärung für die Verbreiterung der Spectrallinien bei Steigerung des Druckes und der Temperatur, sowie auch für eine etwaige Asymmetrie in den Hauptzügen der Erscheinung; es lassen sich jedoch Einwände gegen dieselbe erheben, welche weiter bei Besprechung der Kayser'schen Abhandlung näher erörtert werden mögen.

Lommel2) nimmt an, dass die Körperatome unter dem Einfluss einer periodisch erregenden Kraft bestimmte Schwingungen ausführen; die Kraft, welche ausserdem jedes Atom nach seiner Gleichgewichtslage zurückzieht, soll nach steigenden Potenzen der Verschiebung von der Gleichgewichtslage entwickelbar sein; weiter sollen die Körpertheilchen einen ihrer Geschwindigkeit proportionalen Widerstand erfahren. Integrirt man die Differentialgleichung, welche eine solche Bewegung darstellt, so gelangt man zu dem Resultat, dass die Körperatome theilweise gedämpfte Schwingungen ausführen und zwar dass die Eigenschwingung jedes Atoms sich durch folgende Function darstellen lässt:

Ne−kt. sin (rt + y).

1) Wüllner, Wied. Ann. 8. p. 590. 1879; 34. p. 647. 1888; 38. p. 619. 1889. Lehrbuch der Experimentalphysik. 4. Aufl. 2. §§ 48, 49 und 50.

2) Lommel, Wied. Ann. 3. p. 251. 1878.

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