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fallen, als die in Wirklichkeit beobachteten. Der Unterschied ist sogar so bedeutend, dass man mit Ebert gezwungen ist anzunehmen, dass obgleich das Doppler-Fizeau'sche Princip für die Bewegung ganzer leuchtender Massen sich als gültig erwiesen hat, sie doch nicht ohne weiteres auf die Bewegung der einzelnen Molecüle angewandt werden darf.

Dieses Resultat beweist also, dass die Anwendung des erwähnten Princips zur Erklärung der Verbreiterung der Spectrallinien unzulässig ist; auf andere mögliche Einwände habe ich schon bei der Betrachtung der Lippich'schen Theorie aufmerksam gemacht.

Kayser unterwirft in seiner Abhandlung 1) die ZöllnerWüllner'sche Theorie der Verbreiterung der Spectrallinien einer scharfen Kritik und stellt derselben die Moleculartheorie gegenüber, welche freilich nur angedeutet, aber noch keineswegs ausgebildet ist.

Der Haupteinwand Kayser's besteht darin, dass man das Entstehen eines Bandenspectrums aus einem Linienspectrum mit an anderen Stellen auftretenden Helligkeitsmaxima nur unter gewissen Annahmen bezüglich der Absorptionscoefficienten und des Einflusses der Temperatur aus der Zöllner-Wüllner'schen Theorie abzuleiten im Stande ist. Ohne solche Annahmen könnten, nach Kayser, Lichtmaxima bei zunehmender Dicke nie verschwinden. Diese Voraussetzungen würden jedoch bei constanter Dicke und Dichte der strahlenden Schicht und bei veränderlicher Temperatur zu solchen Resultaten führen, die man mit den Beobachtungsthatsachen wohl schwerlich in Einklang zu bringen vermöchte.

Was die Moleculartheorie betrifft, so führt sie die Verbreiterung der Spectrallinien unmittelbar auf die während des Stosses der Molecüle erzwungenen Schwingungen zurück. Bei zunehmender Dichte, wenn die Temperatur niedrig genug ist, können weiter die Molecule sich zu verschiedenen Complexen gruppiren und folglich complicirtere Schwingungen aussenden, wodurch eventuell neben dem Linienspectrum das Bandenspectrum auftreten kann. Das verschiedene Aussehen des Spectrums würde sich also durch eine gegenseitige Einwirkung

1) Kayser, Wied. Ann. 42. p. 310. 1891.

der Molecüle und durch eine Veränderung derselben erklären lassen.

Wir haben schon erwähnt, dass auch Ebert auf den Zusammenhang zwischen Spectralbreite und erzwungenen Schwingungen aufmerksam gemacht hat.

Einen wichtigen Beleg für diese Moleculartheorie sieht Kayser in den Versuchen von Jannsen1) über das Absorptionsspectrum von Sauerstoff. Jannsen untersucht nämlich den Einfluss von Dicke und Dichte auf das Aussehen des Absorptionsspectrums von Sauerstoff und findet, dass Dicke und Dichte nicht mehr unter allen Umständen äquivalent sind, was doch meistens in der Zöllner-Wüllner'schen Theorie vorausgesetzt wird. Nach der Moleculartheorie sollten bei zunehmender Dicke die Absorptionslinien dunkler werden, und zwar soll die Dunkelheit proportional der Dicke wachsen; bei zunehmender Dichte aber, wo also die Bildung von Molecularcomplexen begünstigt wird, muss die Dunkelheit rascher als die Dichte zunehmen, eine Thatsache, die an den Beobachtungen des Bandenspectrums des Sauerstoffs ihre volle Bestätigung findet. Die Beobachtungen von E. Wiedemann 2) über die Durchlässigkeit von Jodlösungen in Schwefelkohlenstoff und Alkohol für Licht deuten ebenfalls auf einen complicirteren Bau des Molecüls bei niedrigen Temperaturen hin. Die Möglichkeit des Auftretens von Molecularcomplexen wird auch kaum bestritten; dieselbe wird ja durch die zahlreichen Beobachtungen über die Veränderlichkeit der Dampfdichten in vollkommen genügender Weise bewiesen.

Die Moleculartheorie gibt also im grossen und ganzen in sehr einfacher und befriedigender Weise die Beobachtungsthatsachen wieder, ohne dass wir jedoch einen näheren Aufschluss über das Entstehen dieser erzwungenen Schwingungen erhalten.

Lockyer) führt das verschiedene Aussehen des Spectrums auf die Wechselwirkung und Dissociation der Elemente, also wieder auf ähnliche moleculare Vorgänge zurück.

1) Jannsen, Compt. rend. 102. p. 1352. 1886.

2) E. Wiedemann, Wied. Ann. 41. p. 299. 1890.

3) Lockyer, Studien zur Spectralanalyse p. 109. 157 u. ff. Leipzig 1879; Proc. Roy. Soc. 21. p. 287. 1873.

Fasst man das, was hier von den verschiedenen Theorien gesagt ist, zusammen, so sieht man, dass gegen die drei Theorien, welche die Verbreiterung der Spectrallinien auf: 1. die translatorischen Bewegungen der Molecüle (Lippich), 2. die Kirchhoff'schen Gesetze (Zöllner, Wüllner), 3. die Dämpfung beim Ausstrahlen (Lommel, Jaumann) zurückführen, beträchtliche Einwände erhoben werden können. Man wird deshalb auch wohl zugeben müssen, dass durch keine dieser drei Theorien die wahre und einzige Ursache der Verbreiterung der Spectrallinien angegeben wird; möglicherweise kann ein Zusammenwirken dieser Ursachen stattfinden und dadurch die etwaige Verbreiterung der Linien begünstigt werden, doch können sie nicht für sich die Hauptrolle in der Erklärung dieser Erscheinung beanspruchen. Ganz anders steht es mit der Moleculartheorie; diese könnte eventuell die verschiedenen Thatsachen in sehr einfacher und ungezwungener Weise darstellen, allein es ist diese Theorie noch gar nicht ausgebildet, obgleich sie höchst wahrscheinlich der Wirklichkeit viel mehr als die übrigen Theorien entspricht.

Im Folgenden sei der Versuch gemacht, die mathematischen Grundlagen dieser Moleculartheorie zu entwickeln, um alsdann die Ergebnisse derselben mit den Beobachtungen zu vergleichen.

Die Grundlage der hier darzulegenden Entwickelungen bildet die electromagnetische Lichttheorie.

Die Spectralanalyse lehrt uns unmittelbar, dass die Molecüle verschiedener Körper bestimmte Lichtschwingungen aussenden, welche durch die ihnen entsprechende Periode charakterisirt sind. Nun sind aber nach der electromagnetischen Lichttheorie Lichtschwingungen vollständig identisch mit electromagnetischen Schwingungen, folglich müssen die leuchtenden Molecule selbst als Erreger von solchen Schwingungen, nach Art eines Hertz'schen Vibrators oder Resonators, betrachtet werden, welchem also eine ganz bestimmte Periode zukommt, die von den charakteristischen Eigenschaften des Resonators selbst unmittelbar abhängt.1) Wir brauchen dabei keine besondere

1) Vgl. z. B. Garbasso u. Aschkinass, Wied. Ann. 53. p. 534. 1894; Lebedew, Wied. Ann. 52, p. 639. 1894.

Voraussetzung über die Gestalt eines solchen molecularen Resonators zu machen. Es handelt sich nur darum, bei Anwendung der Principien der electromagnetischen Lichttheorie auf moleculare Gebilde die bekannten Grundgleichungen der electromagnetischen Schwingungen auf die leuchtenden Molecüle selbst zu übertragen.

Bedeute nun C die Capacität unseres electromagnetischen Resonators, I seinen Selbstinductionscoefficienten, R seinen Widerstand, Q die zur Zeit t vorhandene Ladung und idQ/dt die zu diesem Zeitmoment gehörige Stromstärke, so wird bekanntlich zwischen diesen Grössen die folgende Gleichung bestehen:

[blocks in formation]

Integrirt man diese Gleichung, so erhält man, da I als constant anzusehen ist, unter einer gewissen Beschränkung bezüglich der Grösse von R gedämpfte Schwingungen sowohl für die Stromstärke i, wie auch für die Electricitätsmenge Q. 1) Diese Dämpfung, welche von dem Widerstand des Resonators unmittelbar abhängt, steht im inneren Zusammenhang mit der Joule'schen Wärme. Wir wissen freilich recht wenig von dem Bau und den charakteristischen Eigenschaften der Molecüle, doch müssen wir annehmen, dass in denselben keine Joule'sche Wärme auftreten kann, da nach der mechanischen Wärmetheorie die Wärme selbst als die mechanische Bewegung der kleinsten Theilchen der Materie aufzufassen ist. In den Molecülen, besser gesagt den Atomen, welche völlig unzerlegbar sein sollen, können also solche Wärmebewegungen gar nicht stattfinden, folglich kann auch in denselben keine Joule'sche Wärme sich entwickeln, und wir sind deshalb gezwungen für diesen Fall R einfach gleich Null zu setzen. Diese Annahme enthält nichts neues, sie ist nur eine Anwendung des Wärmebegriffes auf moleculare Gebilde und findet auch Platz in der Ampère'schen Theorie des Magnetismus. Der Umstand, dass R = 0 ist, bedeutet jedoch gar nicht, dass die electromagnetischen Schwingungen ganz ohne Dämpfung er

1) Vgl. z. B. Mascart et Joubert, Leçons sur l'électricité et le magnétisme. 1. p. 583. 1882.

folgen. Im Gegentheil, es muss nothwendigerweise, wenn ein solcher Resonator sich selbst überlassen wird, eine Dämpfung stattfinden, aber nicht wegen der Entwickelung von Joule'scher Wärme, sondern infolge der electromagnetischen Strahlung. Diese Art Dämpfung wird in der Gleichung (1) jedoch gar nicht berücksichtigt, und wir brauchen es auch gar nicht, da wir unsere Betrachtungen nur auf den Fall beschränken, wo das leuchtende Gas sich im thermischen Gleichgewicht befindet, wo also die Dämpfung infolge der Strahlung durch eine beständige Zufuhr von Energie von irgend einer Quelle, welche wir nicht näher zu untersuchen brauchen, vollständig compensirt wird, also die mittlere electromagnetische Energie der Molecüle selbst als constant betrachtet werden darf.

Aus diesem Grunde können und sogar müssen wir von einer Dämpfung vollständig absehen, worauf ich schon bei der Betrachtung der Lommel'schen Theorie aufmerksam gemacht habe. Die Annahme einer solchen Dämpfung ist ja auch gar nicht nothwendig, um eine etwaige Verbreiterung der Spectrallinien zu erklären; die electromagnetische Theorie schreibt in der That, wie wir gleich sehen werden, diese Verbreiterung ganz anderen Ursachen zu.

Setzen wir in der Gleichung (1) R 0 und integriren dieselbe, so erhalten wir für die Periode der electromagnetischen Schwingung die bekannte Thomson'sche Formel

T = 2 x √ CL.
2πVCL.

Wir haben die Grössen C als Capacität und Z als Selbstinductions coefficienten bezeichnet, um immer einen physikalischen Begriff vor Augen zu haben; hätte man aber irgend welche Zweifel bezüglich der Richtigkeit dieser Auffassung für sehr rasche electromagnetische Schwingungen 1), so könnte man C und Z einfach als zwei charakteristische Constanten des Resonators betrachten, die bei unserer Annahme bezüglich R die Periode der Schwingung vollständig bestimmen.

Da sehr klein ist, für die Natronlinie etwa gleich 2.10-15 Sec., so muss auch das Product CL sehr klein sein,

1) Vgl. Bjerknes, Wied. Ann. 44. p. 81. 1891; Vaschy, Compt. rend. 119. p. 1198. 1894.

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