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Wäre Platon nun wirklich der Ansicht gewesen, daß Aristophanes seinem Meister mit den Wolken einen tödlichen Schlag versetzt habe, so hätte er doch den Philosophen und den Komiker nicht zu gemütlichem Verkehr zusammengebracht. Der Dichter wird , ganz ohne Bosheit" vorgeführt. Ihn charakterisiert eine stille Drolligkeit", sagt J. Bruns (Lit. Portr. S. 266), - „aber er ist . . . keine komische Figur". In durchaus liebenswürdiger Weise zitiert Alkibiades, zu Aristophanes gewendet, den auf den gravitätischen Gang und den trotzigen Blick des Sokrates bezüglichen Vers 362 aus den Wolken. Am Ende des Symposions kann man noch Sokrates, Agathon und Aristophanes aus einer quán zechen sehen: sie unterhalten sich über den wahren Dichter". Die Rolle, die Platon dem Komiker im Symposion zuweist, ist schwer vereinbar mit der Annahme, daß er ihn in der Apologie als einen der Hauptschuldigen" hat brandmarken wollen.

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Von einer Feindschaft Platons gegen Arisrophanes weiß auch die antike Tradition nichts. Er hat den Komiker hoch geschätzt und überhaupt für die Komödie viel übrig gehabt. Vgl. F. Stählin, Die Stellung der Poesie in der platonischen Philosophie. Nördlingen 1901, S. 8 f.

Daß Aristophanes mit seinem Stück dem Sokrates habe schaden wollen, wird heute kaum jemand annehmen: die Wolken hatten gewiß keine persönliche Spitze gegen den Philosophen. Der Dichter hat im Wolkensokrates den Typus der neuen Jugendbildner und die Naturphilosophen lächerlich machen wollen.7) Eine sittliche Tendenz lag ihm dabei fern, die vis comica war ihm die suprema lex. Daß er das Bild des Sokrates fälschte, indem er es mit anderen Philosophen und „Professoren“ entliehenen Zügen ausstattetes), wußte er, machte sich aber nichts daraus, da er sich auf die Komödienfreiheit berufen konnte. Er hatte das Erziehungsproblem schon einmal mit Erfolg behandelt, als er im Jahre 427 die Schmausbrüder auf die Bühne brachte. Den Wolken blieb der Beifall versagt. Warum fielen sie durch? Nun, die beiden anderen Stücke gefielen besser. Merkwürdigerweise hat gerade damals.

7) Über den Versuch Horneffers S. 95 f. die Charakteristik des Sokrates in den Wolken als in gewissen Beziehungen berechtigt hinzustellen, s. Seeliger, Philol. Wochenschr. 1922, Sp. 317.

8) Vgl. auch Süß, Aristophanes u. d. Nachwelt, S. 207.

auch Ameipsias den Sokrates in seinem Konnos auftreten lassen. Vielleicht hat die harmlosere Darstellung des Sokrates durch Ameipsias das Zerrbild in der Aristophanischen Komödie noch greller hervortreten lassen und so zum Durchfall der Wolken beigetragen. Vgl. Kaibel, Pauly-Wissowa II 977. Auch mit der IПIvτivη des Kratinos hat es eine besondere Bewandtnis. Aristophanes hatte den alten Kollegen in den Rittern 531 ff. verspottet: er könne als Gewohnheitssäufer nichts Rechtes mehr leisten. Das Gegenteil bewies der Angegriffene durch seine Komödie, deren Inhalt Köchly (Akad. Vorträge und Reden I S. 229) nach den erhaltenen Fragmenten sehr hübsch erzählt hat. Die burleske Selbstverherrlichung des alten Zechers in maiorem gloriam dei Bacchi wird einen gewaltigen Beifallssturm entfesselt und vielleicht auf die Stimmung Aristophanes gegenüber, der den greisen Altmeister der Komödie verspottet hatte, gedrückt haben. Die Wolken fielen durch, wie der Dichter in der uns allein erhaltenen zweiten Bearbeitung behauptet, weil das Stück für das Publikum zu fein gewesen sei. Die Spuren der Umarbeitung lassen sich etwa bis zum Jahr 418 verfolgen. Dann hat Aristophanes die Arbeit ruhen lassen und nicht wieder aufgenommen.9) Auf die schweren Beschuldigungen der Wolken ist er in den späteren Komödien nie zurückgekommen. Vgl. auch Ritter, Platon I 501.

Der geschichtliche Sokrates wird den Angriffen der Lustspieldichter gegenüber gedacht haben: von allen Geistern, die vernei. nen, ist mir der Schalk am wenigsten verhaßt.

Schließlich noch ein Wort über die Wirkung, die die Wolken tatsächlich auf das Schicksal des Sokrates ausgeübt haben. Ich denke, im Jahre 399 hatten die Athener die Komödie so ziemlich vergessen. Sokrates hatte inzwischen vierundzwanzig Jahre lang seine Tätigkeit ungestört fortsetzen können. Er war auch unbehelligt geblieben, als die Religion in Gefahr" schien und der Fanatismus sich in einer Reihe von Asebieprozessen entlud (gegen Diagoras, Protagoras, die Hermokopiden und die Mysterienfrevler). Auch die Komiker wußten in dieser Zeit nichts über die Asebie des Sokrates zu berichten. Wenn aber der Siebzigjährige in einer

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9) Die Spätdatierung der uns erhaltenen zweiten Wolken, die Joël a. a. O. S. II 810 ff. (und in der Gesch. d. ant. Philos. I 750) versucht hat, lehne ich mit H. Gomperz, Arch. f. Gesch. d. Philos. (1906) XIX S. 264 ab.

Zeit der politischen und religiösen Reaktion schließlich doch angeklagt wurde, so geschah das nicht auf Grund des ihm in den Wolken zur Last gelegten Atheismus, sondern auf Grund des Daimonions und des Jugendverderbs. Platon aber hat sich der eigentlichen Widerlegung der wirklich gemachten Vorwürfe entzogen; er weist die gerichtliche Anklage zurück, indem er sie der Anklage der Komödie gleichstellt und auf Verleumdung durch unbekannte Gegner zurückführt. Er schafft sich auf diese Weise freie Bahn für die positive Aufgabe, die er sich gestellt hat, die Zeichnung des wahren Porträts seines Meisters.

Erlangen.

R. Frese.

XX.

Ciceros rhetorici libri und die Lehrschrift des auctor ad Herennium.

Im Jahre 1491 erschien in Venedig eine Untersuchung mit dem Titel Utrum ars rhetorica ad Herennium Ciceroni falso inscribatur, worin der Humanist Raphael Regius den Nachweis führte, daß die sog. Rhetorik ad Herennium nicht von Cicero verfaßt sein könne, unter dessen Namen sie im Mittelalter bekannt und geschätzt war. Mit dieser Feststellung entstanden zwei neue Fragen:

Die erste galt dem unbekannten Verfasser der Rhetorik ad Herennium. Raphael Regius hat bereits auf den bei Quintilian genannten Cornificius geraten; von neuem wurde diese Vermutung aufgegriffen von L. Kayser (Münch. Gel. Anz. 1852, 492 und Ausg. des auct. ad Her., Leipzig 1854) und herrschte seitdem in der wissenschaftlichen Welt über ein Menschenalter, bis F. Marx (Berl. Philol. Wochenschr. 1890, 1008 und in seiner Ausgabe: Incerti auctoris de ratione dicendi ad C. Herennium libri IV, Lpz. 1894, Proleg. 69 ff.) diese Hypothese endgültig widerlegt hat.

Die zweite Frage betrifft das Verhältnis dieser anonymen Lehrschrift zu Ciceros rhetorici libri II (de inventione), mit denen sie starke Ähnlichkeiten aufweist. Um diese zu erklären, sind folgende Ansichten aufgestellt worden:

1. Der auct. ad Her. habe die Schrift Ciceros benutzt, eine von älteren Gelehrten (z. B. P. Burmann, Ausg. Leyden 1761), aber auch von neuern (Osann, Giambelli, Weidner) vertretene, von Hoffmann (De verborum transpositionibus in Cornif. rhet. ad Her. libris, Progr. München 1879, 7 ff.) und Roch (De Cornif. et Ciceronis artis rhet. praeceptoribus. Progr. Baden (Öst.) 1884, 36 ff.) bekämpfte und heute allgemein aufgegebene Ansicht.

2. Die beiden Verfasser seien von demselben lateinischen Rhetor unterrichtet worden. So bereits Badius Ascensius (Ausg. Paris 1508) und neuerdings G. Thiele (Quaestiones de Cornifici et Ciceronis artibus rhetoricis, Diss. Greifswald 1889); widerlegt von F. Marx (Proleg. 128 ff.).

3. Cicero habe den auct. ad Her. benutzt, eine verbreitete, von Schütz, Kayser, zuletzt wieder trotz Marx' entschiedenem Widerspruch Proleg. 119 ff. von Schanz (Geschichte d. röm. Lit. I2 19093, 468 f.) vertretene Ansicht. Nun fällt aber die Entstehung der Lehrschrift ad Her. in die Jahre 86–82, wie allgemein angenommen wird. Ferner setzt Marx mit Recht Ciceros libri rhetorici unter Berufung auf dessen eigenes Zeugnis (de orat. 1, 5) um 91 an. Folglich ist Benutzung des auctor durch Cicero schon chronologisch unmöglich. Schanz hält sich an eine, wie wir glauben, ungenaue Interpretation einiger Stellen, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen.

4. Marx wendet sich gegen alle diese Erklärungsversuche und entwickelt eine neue, ziemlich komplizierte Hypothese, die er Prol. 161 f. folgendermaßen zusammenfaßt: Rhodi igitur duo exstiterunt rhetoricae praeceptores qui sese impugnarent in artibus suis, quorum vetustiore usus est praeceptor Latinus ille quem scriptor ad Her. sequi se ipse profitetur inter annos 668/86 et 672/82. Omnia praecepta a doctore suo dictata anonymum ad Her. descripsisse ad verbum additis perpaucis supplementis ex consensu operis Cornificiani qui ex eodem ludo profectus scripsit περὶ σχημάτων evincitur. Eodem modo Cicero auditas paulo ante bellum Marsicum praeceptoris sui scholas et in commentarios suos relatas adiectis prooemiis et epilogis edidit anno incerto homo praecocis ingenii doctus industrius: neutrum opus quae erat auctoris voluntas et consilium in multorum manus venire debebat. Usus est Ciceronis praeceptor recentiore illa arte Graeca: uterque doctor Latinus vetustioribus artibus Latinis qualis erat Antonii liber alii quorum memoria servata non est. Schon diesen Hauptpunkten der Marx'schen Hypothese gegenüber muß gesagt werden, daß sie durchaus nicht alle als gesichert gelten dürfen. Sie sind nicht einmal alle recht wahrscheinlich. Man wird doch fragen, ob nicht Schüler durch die Veröffentlichung solcher Diktate, ganz gleich, unter welchen näheren Umständen sie erfolgt

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