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kommneren aufsteigenden Stufenleiter mehr und mehr zur Anerkennung bringen, eine Erkenntniss, die in dem Mafse an Bedeutung gewann, als auch in der Entwicklung der einzelnen Pflanze ein Stufengang erkannt wurde, welcher eine Parallele zwischen der Entwicklung im Einzelnen und im Ganzen erlaubte. Den hauptsächlichsten Anstoss in dieser Richtung gab Goethe's Metamorphosenlehre, welche die Entwicklungsgeschichte in ihren grossen Zügen darzustellen suchte, und an welche sich die eingehendere bis auf die ersten Anfänge des Individuums und seiner successiv zur Erscheinung kommenden Theile zurückgreifende Erforschung des Bildungsganges der Pflanze, somit das, was wir jetzt Entwicklungsgeschichte zu nennen pflegen, allmälig anschloss. 1) Die durch das natürliche System geweckte Ahnung, dass auch der Stufenbau im Ganzen des Gewächsreichs das Ergebniss einer zusammenhängenden zeitlichen Entwicklungsgeschichte sein könne, wurde durch die Ergebnisse der Paläontologie mehr und mehr zur Gewissheit, indem sich allen Zweifeln gegenüber die Thatsache immer bestimmter herausstellte, dass die grossen Abtheilungen des Gewächsreichs in den Epochen der Vorwelt in derselben Reihenfolge auftreten, welche ihnen die systematische Rangordnung anweist.2) Die Dar

1) In der Pflanzenkunde nachdrücklich zur Geltung gebracht durch Schleiden seit 1837, indem für die Aufnahme der früheren Anfänge (C. Fr. Wolff, theoria generationis 1859) die Zeit noch nicht reif war. Goethe selbst beschliesst zwar den zweiten von einer französischen Übersetzung begleiteten Abdruck seines Versuches die Metamorphose der Pflanze zu erklären mit einem von Turpin entnommenen auf die Entwicklungsgeschichte passenden Motto: Voir venir les choses est le meilleur moyen de les expliquer", allein in Wirklichkeit war er weit entfernt, diesem Kommen auf den Grund zu gehen.

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2) Es ist bemerkenswerth, dass sich die erste richtig gefasste, morphologisch und geologisch zutreffende Darstellung der Abstufungen des Pflanzenreichs in einem paläontologischen Werke findet, in A. Brongniart's histoire des végét. fossiles, in der ersten Lief. (1828) S. 20, wo folgende Eintheilung gegeben wird: I. Agames, II. Cryptogames celluleuses, III. Cryptogames vasculaires, IV. Phanerogames gymnospermes, V. Phaner. angiospermes monocotyledones, VI. Phaner. angiosp. dicotyledones. Abgesehen von den veralteten Benennungen der ersten Abtheilungen ist gegen diese Eintheilung nur einzuwenden, dass I und II besser vereinigt werden, indem die

win'sche von der Beobachtung der Racenbildung unter dem Einfluss der künstlichen Züchtung ausgehende Lehre von der Entstehung der Arten machte endlich, was auch die Gegner derselben nicht ganz in Abrede stellen werden, den bisher räthselhaften Process des Übergangs von einer Form zur andern verständlicher. Das innere Band der natürlichen Verwandtschaft erschien nach dieser Lehre als äussere Gemeinschaft der Abstammung („Blutsverwandtschaft"), der Stufenbau des natürlichen Systems als lebendiger Stammbaum.

Es ist begreiflich, dass man, auf diesem Standpunkt angelangt, den grössten Werth auf die Erforschung der Abstammungsverhältnisse zu legen begann und durch dieselben dem Verständniss der organischen Formen eine neue, festere Grundlage zu geben suchte, aber es ist auch begreiflich, dass man, ebenso wie es früher mit der Erforschung der Entwicklungsgeschichte des Einzelwesens (der ontologischen Entwicklung) der Fall war und zum Theil noch ist, die Bedeutung des neuen Standpunktes überschätzte und von der Abstammungslehre mehr erwartete, als sie zu leisten fähig ist; dass man in ihrer Anwendung eine neue Methode gefunden zu haben glaubte, wo es sich in der That nur um ein Resultat der früheren Methode und einen dadurch erweiterten Gesichtspunkt handelte. Denn zunächst ist daran zu erinnern, dass wir von der Abstammung der Organismen der Jetztwelt so gut wie gar keine directe Kenntniss besitzen, indem die wirklichen Erfahrungen in diesem Gebiete sich lediglich auf die Entstehung von neueren Culturvarietäten und Bastarden beschränken. Die eigentlichen Ahnen unserer jetzigen Pflanzen und Thiere gehören der Vorwelt an, deren Geschichte uns dunkel ist, aus deren Gräbern die geologische Forschung zwar reiche Schätze zu Tage gefördert hat, die aber doch viel zu fragmentarisch sind, als dass sich aus denselben der Stammbaum der organischen Reiche construiren liesse. Nur in seltenen Fällen haben die fossilen Überreste der vergleichenden Morphologie hinreichende Anhaltspunkte geliefert, um die Abstam

Moose (II) als eine weitere und zwar, wie es scheint, geologisch späte Fortentwicklung der Thallophyten (I) zu betrachten sind, weshalb ich beide unter dem Namen Bryophyten (Pflanzen, welche die Keimgeneration höherer Gewächse repräsentiren) vereinigt habe.

mung einzelner Gattungen der Jetztwelt rückwärts eine Strecke weit zu verfolgen, wie es z. B. für das Pferd und Moschusthier gelungen ist. Aus dem Pflanzenreich weiss ich nicht ein einziges analoges Beispiel anzuführen, denn die Nachweisung, dass viele Gattungen der Jetztwelt, wie z. B. die der meisten Waldbäume Europas1), schon in der Tertiärzeit in mit den jetzigen mehr oder weniger übereinstimmenden Arten gelebt haben, giebt uns keinen Aufschluss über die Abstammung dieser Gattungen selbst, ebensowenig als die Nachweisung, dass die Ordnung der Farne schon in der Zeit der Steinkohlenbildung in reicher Fülle vorhanden war, uns eine Kunde giebt über die Art und Weise, wie etwa von den Farnen aus der Übergang zu Gewächsen höherer Ordnung gemacht wurde. Wenn uns aber auch die Abstammungslinien aller jetzigen und früheren Organismen bekannt wären, so würde diese Kenntniss doch völlig unfruchtbar sein, wenn uns nicht die Gesetze der organischen Entwicklung und Lebensgestaltung bekannt wären, welche eine solche Abstammungsgeschichte möglich machen, d. h. wenn uns der äussere Zusammenhang der Geschichte nicht durch den inneren verständlich wäre, ein Verständniss das nur durch die vergleichende Morphologie angebahnt werden kann. Denn Descendenz ist ein rein äusserliches Verhältniss, das erst Bedeutung erhält, wenn nachgewiesen wird, dass die durch Abstammung erzeugten Formen Glieder einer Reihe wesentlich zusammenhängender und gesetzlich möglicher Entwicklungszustände sind. Diesen inneren Zusammenhang nachzuweisen ist die wesentliche Aufgabe der Morphologie, deren Resultate auf einem äusseren Zusammenhang hinweisen können, aber selbst dann ihren Werth nicht verlieren würden, wenn ein solcher aus anderen Gründen unwahrscheinlich sein sollte. Wenn daher Strasburger behauptet, dass nur der phylogenetische Ursprung in morphologischen Fragen entscheide, so sucht er die Entscheidung in einem an sich unbekannten Verhältniss, welches selbst erst durch die Entscheidung morphologischer Fragen zugänglich wird. Nicht die Descendenz ist es, welche in der Morphologie entscheidet, sondern umgekehrt die

1) Vergl. Unger, Geologie der europäischen Waldbäume. 1869-70.

Morphologie hat über die Möglichkeit der Descendenz zu entscheiden. 1)

Dieselbe Verkennung der von der Abstammungslehre unabhängigen Bedeutung der Morphologie liegt in der Behauptung, dass von einer Homologie der Organe nur die Rede sein könne unter der Voraussetzung gemeinsamer Abstammung, oder, wie Strasburger sich ausdrückt, dass die Vergleichung selbst schon Phylogenese sei, da sie nur unter der Voraussetzung gelte, dass man es mit Dingen von gleichem Ursprung zu thun habe. Es kommt darauf an, was man unter gleichem Ursprung versteht. Den Würfeln, in welchen das Kochsalz krystallisirt, wird man einen gleichen Ursprung nicht absprechen, aber von einer gemeinsamen Abstammung derselben von einem Urwürfel des Kochsalzes wird man nicht reden können. So könnte man auch im Gebiete des Organischen eine gleiche Art des Ursprungs typisch übereinstimmender Formen sich denken ohne äusseren Zusammenhang der Entwicklung. lein was in der angeführten Behauptung gemeint ist, das ist eben der äussere Zusammenhang der Abstammung, was durch die Haeckel'sche Bemerkung erläutert wird, dass sich keine andere Ursache der typischen Übereinstimmung denken lasse, als die Ererbung von gemeinschaftlichen Stammältern. Die Richtigkeit der Annahme im Allgemeinen vorausgesetzt, dass die organische Natur in ihrer Entwicklung auf dem Wege der Abstammung fortschreite, werden wir, wenn wir weiter in diese Vorstellung eingehen wollen, nothwendig auf die Frage geführt, ob die Entwicklung als eine monophyletische oder als eine polyphyletische zu denken sei, eine Frage, welche nicht bloss für den Uranfang des Ganzen in Betracht kommt, sondern welche sich auf jeder Höhe der Entwicklung und bis in die äussersten Ausläufer derselben wiederholt. Haeckel behandelt diese Frage an verschiedenen Orten2) mit Vorsicht, aber mit entschiedener Vorliebe für das Monophyletische; man wird sich aber bei weiterer Erwägung leicht überzeugen, dass man damit nicht ausreicht. Im

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1) Wenn Celakovsky (1. c. S. 12) sagt durch die comparative von der Entwicklungsgeschichte unterstützte Methode ist der wissenschaftliche Beweis der Descendenzlehre vollkommen gültig hergestellt", so sagt er dasselbe, aber vielleicht etwas zu viel.

2) Z. B. in der natürlichen Schöpfungsgeschichte S. 321.

Allgemeinen wird man sich für das Polyphyletische entscheiden müssen, nicht bloss für den Ursprung der organischen Reiche im Ganzen, sondern auch stellenweise für den weiteren Verlauf der Entwicklung. Nach einer streng monophyletischen Auffassung würde nicht bloss ein Ausgang von einer einzigen Urform, sondern auch von einem einzigen Individuum dieser Urform angenommen werden müssen, was sicherlich eine der Urzeugung des Organischen wenig angemessene Vorstellung ist. Ebenso müsste die Bildung jeder neuen organischen Form mit einem einzigen Individuum oder höchstens einem Paar von Individuen beginnen. Die Erfahrungen der Racenbildung zeigen, dass beide Arten des Ursprungs stattfinden können. Viele Obst- und Blumensorten werden von einem einzigen Sämling abgeleitet, wie z. B. die Robinia Pseudacacia inermis1); von anderen Varietäten ist es bekannt, dass sie mehrmals und an verschiedenen Orten entstanden sind. So z. B. Fragaria vesca simplicifolia, welche Duchesne bei einer Aussaat von Fr. vesca im Jahre 1761 erhielt und welche später in Schweden wild gefunden wurde. Ein anderes Beispiel bietet nach Morren2) die gefüllte Form von Pelargonium zonale, welche, nachdem die Stammart bei mehr als hundertjähriger Cultur stets einfache Blüthen getragen, fast gleichzeitig in verschiedenen Gärten Frankreichs zum Vorschein kam. Was hier in den engsten Kreisen der Racenbildung sich zeigt, das kann sich auch in den grossen Wendepunkten der Entwicklung zugetragen haben. Was folgt hieraus in Beziehung auf die angebliche phylogenetische Begründung der Homolologie? Einige hypothetische Beispiele mögen zur Erläuterung dienen. Gesetzt, was nicht unwahrscheinlich ist, die blattbildenden Gewächse seien von verschiedenen Ausgangspunkten in getrennten Linien aus den blattlosen Thallophyten hervorgegangen, so dürfte man nach obiger Auffassung der Homologie, die Stengel und Blätter der den verschiedenen Linien angehörigen Gewächse nicht für homologe Theile, nicht in gleichem Sinne für Stengel und Blätter

1) Es sind dies jedoch meist rein individuelle Formen, die sich nur durch Sprossbildung vermehren. Entschiedenere Beispiele liefert das Thierreich, wie z. B. die kurz- und krummbeinige Otter-Race des Schafs (vergl. Darwin, das Variiren der Th. u. Pfl.,. Übersetzung I. 125).

2) Bibliothèque universelle. Juin 1867.

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