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Daniel Webbs

Persönlichkeit und Schriften.

I.

Name und Schriften Daniel Webbs waren mir zuerst in zwei Briefstellen der Percy-Shenstone-Korrespondenz entgegengetreten. Am 11. August 1760 empfiehlt Shenstone seinem Freunde, neben verschiedenen anderen Neuerscheinungen, Webbs Treatise on Painting als beachtenswerten Lesestoff. Und am 16. Mai 1762 schreibt er über Webbs nächste Arbeit, die Remarks on the Beauties of Poetry:

I have read Webb, who has something clever in his Essay upon Poetry; but he is too laconic and does not say enough for what his title implies. Besides, there are some of his Illustrations from Shakespeare that seem not greatly to his purpose. On the whole you must needs read it, but I think you will not esteem it equal to his treatise upon Painting. His account of the Distinction betwixt Wit, Taste, and Genius is very clear and satisfactory, and of these three accomplishments that of Taste seems to be the Author's Portion 1).

In diesem Zusammenhang nennt Shenstone die kurz vorher veröffentlichten Elements of Criticism von Henry Home. Büchererwähnungen in der Percy-Shenstone-Korrespondenz verdienen aber als Reflex der beginnenden Romantik immer einige Beachtung. Es scheint mir übrigens aus den angeführten Stellen hervorzugehen, daß Webb persönlich nicht eigentlich zu den Intimen des ShenstoneDodsleyschen Kreises gehört hat, wie er auch, soweit ich sehen kann, von Samuel Johnson und seinen zahlreichen

1) Siehe meine Ausgabe des Briefwechsels in Quellen und Forschungen CIII, S. 41 und 80 mit Anmerkungen.

Hecht, D. Webb.

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Satelliten niemals genannt wird. Er war offenbar eine einsiedlerische, sich selbst genügende Persönlichkeit. Auch eine weitere Umschau in der ihm zeitgenössischen Literatur Englands war enttäuschend. Ich vermag nur auf eine einzige Stelle in Farmers Essay on the Learning of Shakespeare (1767) hinzuweisen, der ihn zitiert, ihn einen sehr feinsinnigen Schriftsteller über die Beauties of Poetry nennt und nicht ohne Berechtigung von ihm sagt, er sei in der alten Literatur anderer Länder besser bewandert als in der seines eigenen Heimatlandes 1). Gelegentlich berufen sich Herausgeber und Kommentatoren auf sein Urteil 2): das ist alles.

Die spätere Geschichtschreibung der Ästhetik und der literarischen Kritik ist ebenfalls ziemlich gleichgültig an Webb vorübergegangen. H. v. Stein widmet ihm in seiner Entstehung der neueren Ästhetik ein paar anerkennende Seiten, auf denen er seine Abhängigkeit von Young und Home behauptet und die Frage einer Beeinflussung durch Rousseau und Winckelmann zwar berührt, aber unentschieden läßt 3). Er wird erwähnt in Hamelius' Kritik in der englischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts), in Ortlepps Abhandlung über Reynolds 5), in der Elsners über Francis Jeffrey 6). Seine Verdienste um die englische Metrik, insbesondere um eine künstlerischere Auslegung der inneren Harmonie des Versbaues, werden von T. S. Omond gebührend hervorgehoben und gewürdigt.

1) D. Nichol Smith, Eighteenth Century Essays on Shakespeare, Glasgow 1903, S. 185.

2) Siehe z. B. den Index zu Elwins, Whitwells und Courthopes PopeAusgabe, wo übrigens zwei verschiedene Webbs durcheinander geraten sind. 3) Siehe S. 213–216.

*) S. 158 und 178.

5) Straßburg 1907, S. 81 u. 82.

6) Berl. Dissert. 1908, S. 29.

Seine Behauptung: Webb's ideas seemed upsetting to his contemporaries, and are often animadverted on by later critics, will ich hier anführen, ohne sie bestätigen oder belegen zu können 1). Die Lessingforschung konnte an seiner Inquiry into the Beauties of Painting nicht vorübergehen. Danzel-Guhrauer 2), E. Schmidt3) und Dilthey *) nennen ihn, Blümner in seiner Laokoon-Ausgabe behandelt ihn ausführlicher, aber in unbefriedigender Weise 5). Dagegen ist ein kleiner Aufsatz des Amerikaners W. G. Howard über das Thema: Reiz ist Schönheit in Bewegung sehr aufschlußreich und für Webb auch deswegen wichtig, weil er seinen Beziehungen zu Joseph Spence nachgeht und Überzeugendes darüber zu sagen weiß 6). Aber mit Ausnahme von Omond und Howard leiden sämtliche genannten Verfasser an einem Grundübel: daß sie die Schriften Webbs entweder gar nicht, oder nur teilweise, oder nicht im Original kennen. Hieraus erwächst ihnen kein schwerer Vorwurf, denn seine Bücher sind, ebenso wie die Übersetzungen, recht selten geworden. Über der posthumen Gesamtausgabe waltete sogar ein eigentümlicher Unstern, worüber später zu sprechen sein wird.

Im Hinblick auf das eben Gesagte drängt sich vielleicht die Frage auf: Handelt es sich hier nicht um eine 1) English Metrists in the Eighteenth and Nineteenth Centuries, Oxford 1907, S. 29-32.

2) Lessing2 II, 14.

*) Lessing, 1919, I S. 544.

4) Erlebnis und Dichtung, 1913, S. 45.

5) Berlin 1880, S. 29—32, 640 u. 41; Vorwort S. XXI.

*) Publications of the Modern Language Association of America,

N. S. XVII (1909) S. 286-293.

Die Frage, ob Lessing Webb gekannt hat, möchte ich dahin beantworten: vor der Veröffentlichung des Laokoon (1766) nicht. Später hat er die Inquiry in der Übersetzung Vögelins gelesen. Vgl. den 11. Antiquarischen Brief letzten Satz und den 12. Anfang. Eine Beeinflussung Webbs durch Lessing hat nicht stattgefunden.

so ephemere Erscheinung, daß in der geringen Beachtung, die sie gefunden hat, schon ein Urteil über sie gefällt wurde? Die Frage ist zu verneinen, wenn auch nicht bestritten werden kann, daß größere Namen den Webbs überschattet, systematischere Werke seine mehr essayistischen Betrachtungen in den Hintergrund gedrängt haben. Dessenungeachtet steht fest, daß jedenfalls die Inquiry into the Beauties of Painting seinerzeit in England ein viel gelesenes, auf dem Kontinent ein berühmtes Buch war, in dessen Licht auch Webbs übrige Arbeiten und nicht zum wenigsten seine Persönlichkeit selbst unser nachprüfendes Interesse verdienen und belohnen. Gerade im 18. Jahrhundert läßt es sich durch zahlreiche Beispiele erhärten, wie nicht nur die anerkannten Führer der Literatur, sondern auch Geringere, Fernerstehende, Dilettanten Vergehendes und Werdendes im literarischen Leben ihrer Zeit geistvoll, klar und mit den Vorzügen einer hochentwickelten literarischen Tradition versehen zum Ausdruck bringen; wie vor allen Dingen das entstehende Neue zunächst geringere Schriftsteller bewegt und beschäftigt, ehe es von begnadeten Größen zum endgültigen Kunstwerk ausgestaltet wird1). Der literarhistorischen Forschung harren hier noch viele in sich selbst und für das Ganze bedeutungsvolle Aufgaben.

II.

Wer war Daniel Webb? Archivarische Forschung in England dürfte wohl das eine oder das andere über ihn zutage fördern. Möglicherweise nichts von Belang. Wie die Dinge liegen, müssen wir uns an zwei Quellen halten.

...

1) it should not be forgotten that the writings of more or less insignificant authors show the course of a literary movement better than the productions of great men. W. L. Phelps, The Beginnings of the English Romantic Movement S. 62.

Die eine ist das Dictionary of National Biography1), dem ich die folgenden Angaben entnehme: Webb wurde im Jahre 1718 oder 1719 in Maidstown, Limerick, geboren als ältester Sohn des David Webb von Maidstown Castle und seiner Gemahlin Dorothea Leake von Castle Leake, Tipperary, und am 13. Juni 1735 in Oxford, New College, immatrikuliert. Im späteren Leben wohnte er meist in Bath, war zweimal verheiratet und starb, ohne Nachkommenschaft zu hinterlassen, am 2. August 1798. Soweit das D.N.B., das an diese knappen Notizen die Aufzählung seiner Schriften anschließt. Der Bericht bleibt so gut wie farblos: Webb war Ire von seiten beider Eltern, stammte offenbar aus begüterter Familie, hat sich in Oxford, nach Ausweis seiner Veröffentlichungen, gute philologische Kenntnisse erworben und in dem in allen Farben geistiger Anregung schillernden Bath vermutlich das behagliche Dasein eines wohlhabenden, feinsinnigen, schriftstellernden Dilettanten geführt 2). Über seinen Freundeskreis, seinen Umgang ist wenig Bestimmtes auszusagen. Widmungen formaler Art wie die an den Herzog von Grafton oder an die Gräfin von Ilchester lassen keine Schlüsse zu; eher schon die seines Erstlingswerkes an Joseph Spence, den Verfasser des Crito, des Essays über Popes OdysseeÜbersetzung und der Polymetis, der ihn als Schriftsteller billige und als Freund anerkenne. Spence starb 1768, ist also noch als ein Gönner seiner Jugend zu betrachten 3). Ein paar dürftige Verse in Webbs Literary Amusements (s. u.) sind an William Melmoth den Jüngeren (1710—1799) gerichtet, der gleich ihm in Bath lebte und als vortreff

1) Bd. LX S. 69. Verfasser: E. Irving Carlyle.

2) Barbeau, Une ville d'eaux Anglaise au XVIIIe. Siècle, Paris 1904, erwähnt seinen Namen nicht.

3) Die Spence-Biographie von S. W. Singer in den Anecdotes gibt keinen Aufschluß.

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