Page images
PDF
EPUB

lichen Verhältnisse erkennbar und wirksam, und diese Einsicht bestimmt die letzten Untersuchungen des Essays, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Bedeutung der hochentwickelten klassischen Prosodie für die ursprüngliche Einheit von Musik und Dichtkunst steht.

Webb postuliert die Verbindung, die wechselseitige Befruchtung der beiden Künste, als naturgemäß und aus diesem Grunde als wünschenswert. Er behauptet, daß durch die Einführung schwieriger rhythmischer Gebilde in die Dichtung diese Einheit zerstört worden sei, wendet sich aber gegen Anschauungen wie die des Vossius, wonach moderne Sprache und moderne Dichtung sich überhaupt nicht zur Verbindung mit der Musik eigneten. Es entspricht Webbs Lehre von der Bedeutung der Bewegung für die Darstellung der Leidenschaften in der Kunst, wenn er nun ausführt, daß das gemeinsame Prinzip, das der Verbindung von Musik und Dichtung zugrunde liegt, ein dramatischer Geist (a dramatic spirit) sei, wobei sich der Begriff dramatisch natürlich nicht auf die Bühnendichtung beschränkt; er beherrscht vielmehr jede Form der dichterischen Darstellung,,,in der der Dichter einen Charakter annimmt und in Gemäßheit dieses Charakters spricht und handelt. Mit den Empfindungen, die dem Charakter und der Leidenschaft entspringen, sollte der lyrische Dichter Bilder verbinden, die Empfindung und Leidenschaft hervorrufen. Gegenstände in Ruhe oder die Schönheiten des Stillebens fallen dagegen nicht in den Bereich der musikalischen Nachahmung, auch vermag die Musik nicht, an der Färbung der Sprache teilzunehmen. Unsere moderne lyrische Poesie ist eine Schule für Maler, nicht für Musiker. Die Form der Anrufung, die Gliederung in Strophe, Antistrophe und Chorus sind nichts als Vorspiegelungen. Warum beschwören wir den Genius der Musik, wenn wir vorbehaltlos das Plektrum mit dem Zeichenstift vertauschen und

die Leier in die Ecke werfen wie ein Kind seine Rassel, in demselben Augenblick, in dem wir unsere Vorliebe für sie beteuern?" (S. 215 u. 216). In diesem Punkte enthüllen sich dem Kritiker die Grenzen zwischen der Malerei, die durch die Darstellung des Beharrenden, und der Musik, die durch die Mittel der Bewegung wirkt, auf das deutlichste, während die Dichtung befähigt ist, sowohl als Ausdruck wie als beschreibende Kunst zu wirken. Wollte sich aber die Musik mit der Dichtung in der Beschreibung messen, so geriete sie auf bedenkliche Abwege. Händel, sagt Webb, pflegt mit dem Worte rise in die Höhe zu gehen, mit dem Worte fall die Modulation zu senken; Purcell geht so weit — und man empfindet, daß sich Webb bei dieser Gepflogenheit eines gewissen Schauders schon nicht mehr erwehren kann, jeden Begriff der Rundung mit einem unendlichen Kreislauf von Noten (rotation of notes) zu begleiten.,,Was aber sollen wir zu dem Musiker sagen, der den Dichter schändet (disgraces), indem er seine Metaphern substantiiert und buchstäblich die Felder lachen und die Täler singen läßt?" (S. 219). Richard Strauß hätte in Webb einen bitteren Kritiker gefunden! Die Nachahmung soll Spielereien aus dem Wege gehen und nur das Bedeutsame zu ihrem Gegenstande machen. Zum Schlusse wird die Frage aufgeworfen, wie es komme, daß in der Poesie die berühmtesten Beispiele von Nachahmungen beschreibender Art sind. Die Antwort lautet: Sie sind die berühmtesten, weil sie, auf äußerlich wahrnehmbare Gegenstände und ihre Bewegungen bezogen, am leichtesten faßbar sind. Ahmt aber der Dichter die Bewegungen der Leidenschaften nach und gelingt ihm sein Werk, so schwingt unsere Seele instinktiv mit dem Rhythmus seiner Verse, und wir werden uns, in der Gewalt der Wirkung, der Tatsache der Nachahmung nicht bewußt. Daß wir in solchen Augenblicken des Künstlichen nicht

gewahr werden, beweist, wie enge in der Natur Bewegung und Leidenschaften miteinander verbunden sind.

Ein kurzer Anhang beschäftigt sich mit dem Einfluß der Leidenschaften auf die Einbildungskraft (imagination). Wie müssen die Bilder beschaffen sein, um den einzelnen Kategorien der Leidenschaften gerecht zu werden? Es entsprechen, sagt Webb, dem Zorn, der Rache und ähnlichem am zweckmäßigsten kühne, kurze, entschiedene Bilder; dem Stolz, dem Staunen, der Nacheiferung große und erhabene; die Sprache der Trauer und der Niedergeschlagenheit aber wird auf den Bildschmuck am besten ganz verzichten. Hier sollte es unser Ziel sein, unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, nicht aber, sie zu beschreiben. Indessen, so schließt Webb, wäre es ein eitles, schlecht beratenes Unterfangen, die Flüge der Phantasie unter die Herrschaft einer allzu gestrengen Philosophie zu stellen.,,Hier, wie bei einigen anderen ähnlichen Gegenständen, scheint die Natur unseres Verstandes zu spotten. Sie legt ihre Gesetze zur Seite, um sich an ihren eigenen Gebilden zu ergötzen" (S. 224).

V.

Die Gesamtleistung Webbs läßt sich kaum besser charakterisieren als durch den Satz, den Omond im Hinblick auf seine Gedanken zur Metrik niedergeschrieben hat: To us [his ideas] seem amateurish and tentative, yet possessed of a certain freshness and individuality 1). Seine Arbeiten, gefällig in der Form, tragen inhaltlich das Gepräge eines Geistes, dem die Künste wert und vertraut sind, der viel über sie gelesen und nachgedacht hat, der prinzipiellen Fragen mit erheblicher Unabhängigkeit gegenübertritt, ohne jedoch durchaus Neues nachhaltig ver

1) English Metrists S. 31.

künden zu wollen oder zu können. Sie gehören zu den Schriften, die von dem eigentümlich frischen Morgenhauch umwittert sind, der sich seit ungefähr 1760 mit wachsender Häufigkeit als belebendes Element in der englischen Literatur bemerkbar macht.

Über die allgemeine Richtung seiner Belesenheit kann kaum ein Zweifel herrschen, und es lohnt sich nicht, nach dem, was etwa Saudé über Addison 1) und Brandl über Young, On Original Composition 2) gesagt haben, erneut in eine erschöpfende Quellenuntersuchung einzutreten. Nur bei IBP ist aus besonderen Gründen größere Ausführlichkeit geboten.

Daß ein Mann von der geistigen Schulung, den Interessen und dem Umgang Webbs mit den kritischen Schriften der Franzosen, Drydens, Addisons, Popes und ihrer Nachfolger, Anhänger und Gegner vertraut war, daß er Shaftesbury, Harris, Burke, Gerard, Young, später auch Home gekannt hat, bedarf keines Beweises. Um falschen Verbindungen vorzubeugen, kann vielleicht hier gesagt werden, daß ein unmittelbarer Einfluß der Schrift Youngs auf Webb, trotz der Übereinstimmung der Temperamente in der Verherrlichung originaler Gestaltungskraft, nicht zutage tritt. Möglicherweise ist Webb allzu greifbaren Anklängen absichtlich aus dem Wege gegangen. Von besonderer Bedeutung dürften für ihn gewesen sein: Spence, Harris und Gerard. Durch Spences Polymetis (1747), zu dessen Subskribenten auch Daniel Webb Esq. gehört, mußten ihm auch Addisons Dialogues upon the Usefulness of Ancient Medals nahegerückt werden, auf die Spence in der Vorrede zu seinem Werk lobend Bezug nimmt. Über die Bedeutung Spences für gewisse Gedankenreihen in IBP hat Howard a. a. O. gehandelt. 1) Berl. Diss. 1906.

2) Shakespeare-Jahrbuch XXXIX S. 1 ff.

Howard verdanken wir auch eine gründliche Untersuchung über die Literaturgeschichte der zählebigen Formel: Ut pictura poesis 1), die Webb so wenig aus ihren Fängen ließ wie seine Vorgänger und Zeitgenossen.

Über die RP vermag ich nichts Neues beizubringen. In seinem Eintreten für den Blankvers gegen den Reimvers steht Webb auf seiten Miltons, Shaftesburys, Addisons, der Wartons und Youngs gegen die von dem engeren Johnsonschen Kreise vertretenen konservativeren Lehren 2). In seiner mutigen, fast uneingeschränkten Bewunderung der Kunst, nicht nur der genialen Naturkraft, Shakespeares geht er über die Auffassungen der zu seiner Zeit noch üblichen Grundsätze der Shakespeare-Beurteilung weit hinaus und stellt sich in dieser Beziehung neben Young. Nur läßt er es nicht bei allgemein enthusiastischen Aussprüchen sein Bewenden haben, sondern er belegt seine Behauptungen reichlich, und zwar charakteristischerweise mit Beispielen, die vorzugsweise den Romanzen entnommen werden. Hier möchte ich einen Satz aus seinem Essay On Manners and Language anführen, einem Aufsatz von erlesensten literarischen Qualitäten, den Webb selbst als eine Ergänzung zu den RP bezeichnet hat. Die Griechen, heißt es dort, haben die Persönlichkeit des Dichters aus dem Dialog fernzuhalten verstanden, im Chorus bricht sie dann durch wie unterdrücktes Feuer. Was aber sollen wir tun, die wir keinen Chorus haben? Write like Shakespear, and laugh at the critics 3). Es entspricht diesem

1) Publications of the Modern Language Association of America XXIV S. 40-123.

2) Vgl. F. Zschech, Die Kritik des Reims in England, Berlin 1917, SS 42-50, und J. W. Good, Studies in the Milton Tradition 1915 S. 160 -166 und S. 200-208, mit einer Fülle von Material, die für den fraglichen Zeitabschnitt das von Zschech Mitgeteilte übertrifft und in diesem Zusammenhang auch Webb berücksichtigt. Siehe oben S. 32 Anm. 1. 3) Miscellanies S. 240.

« ՆախորդըՇարունակել »