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Aber nur bei der mehrstimmigen Sirene fand ich bisher die Combinationstöne stark genug für diesen Zweck. Ich spannte über die eine Oeffnung einer cylindrischen Röhre von 13 Zoll Durchmesser eine dünne Kautschukmembran. Das andere Ende der Röhre war durch einen Deckel mit engerer Oeffnung verschlossen. Wenn man gegen die Ränder dieser Oeffnung blies, konnte man verschiedene Töne erzeugen, wobei die Membran aufgestreuten Sand in verschiedene Klangfiguren ordnete. Der Grundton war e; wenn er angegeben wurde, sammelte sich aller Sand am Rande der Membran. Ich brachte nun die Mündung des Rohres über die Scheibe der mehrstimmigen Sirene, während die Membran nach oben gewendet, und mit Sand bestreut war, und blies dann die Sirene an, sodass diese allmählig immer schneller rotirte und Töne von wachsender Höhe gab, wobei ich zwei Löcherreihen öffnete. Zuerst tritt alsdann eine Bewegung des Sandes ein, wenn der höhere der beiden gegebenen Töne bis e gestiegen ist, sodass der erste höhere Nebenton des e mit dem Tone der Membran zusammenstimmt. Bei weiter steigender Geschwindigkeit der Sirenenscheibe kam die Membran wieder zur Ruhe, und gerieth zum zweiten Male, und zwar in stärkere Bewegung, wenn der Summationston beider Töne bis e, gestiegen war. Vermittels der Sandfigur konnte man controliren, dass die Membran in der That im Tone e, mitschwang. Auch stimmt der Summationston niemals mit einem der höheren Nebentöne der primären Töne überein, wenn nicht der eine primäre Ton selbst ein höherer Nebenton des anderen ist. Es blieb also kein Zweifel, dass die Membran durch den Summationston in Schwingung versetzt wurde, und dass dieser Ton also objectiv vorhanden war.

Es möge hier genügen, durch einen Versuch das Factum festgestellt zu haben, dass Combinationstöne unabhängig vom menschlichen Ohre entstehen können. Einen anderen Nachweis derselben Thatsache der in mancher Beziehung noch lehrreicher ist, habe ich mittels einer eigenthümlichen Form der Sirene erhalten. Das neue Instrument und die damit auszuführenden Versuche behalte ich mir indessen vor in einem anderen Aufsatze im Zusammenhange zu schreiben.

XVI.

Theorie der Luftschwingungen in Röhren mit

offenen Enden.

Journal für reine und angewandte Mathematik. Bd. 57 S. 1-72. (1859.)

Die mathematische Theorie der Orgelpfeifen ist von den 1 bedeutendsten mathematischen Physikern vielfältig behandelt worden, aber seit den ersten Schritten, welche D. Bernoulli und Euler gethan haben, und durch welche die Hauptzüge der Erscheinung eine annähernde Erklärung fanden, um keinen wesentlichen Schritt vorgerückt. Der Grund davon hat hauptsächlich darin gelegen, dass die Mathematiker es nicht wagten die Annahme aufzugeben, dass die Bewegung der Lufttheilchen im Innern der Röhre überall ihrer Axe parallel gerichtet, und sowohl die Geschwindigkeit wie der Druck in allen Punkten desselben Querschnittes der Röhre gleich gross sei. Diese von den ersten Bearbeitern der Einfachheit wegen gemachte Annahme ist ganz unbedenklich für die von offenen Enden entfernteren Theile einer cylindrischen oder prismatischen Röhre, aber in der Nähe offener Enden, wo die ebenen Wellen der Röhre in den freien Raum überzugehen anfangen, um sich dort in Form kugeliger Wellen auszubreiten, ist jene Annahme nicht mehr zulässig, da es klar ist, dass ein solcher Uebergang nicht sprungweise geschehen kann. Bernoulli, Euler und Lagrange hatten angenommen, dass die Verdichtung am offenen Ende der Röhre stets gleich Null sei. Dass sie sehr viel kleiner sein müsse als bei den gleichen Wellenphasen im Innern der Röhre, wo die bewegte Luft von den Röhrenwänden gehindert

wird, sich seitlich auszudehnen, ist leicht einzusehen, da am offenen Ende kein anderes Hinderniss ihrer Ausdehnung besteht als die Trägheit der benachbarten Luftmassen. Insofern nähert sich jene Annahme und die darauf basirte Theorie allerdings sehr der Wahrheit, aber sie ist nicht vollständig richtig. Denn die Dichtigkeit am Ende der Röhre muss allerdings gleich gesetzt werden der Dichtigkeit der anstossenden Luft im freien Raume, aber nicht der constanten Dichtigkeit der ruhenden Luft, sondern der veränderten Dichtigkeit dieser selbst in Vibration gerathenen Luft. Deshalb widersprechen die Folgerungen aus jener Annahme auch in mancher anderen Beziehung 2 der Erfahrung. So folgt daraus, wie schon Poisson hervorgehoben hat, dass bei gewissen Röhrenlängen die Schwingungen im Innern, welche eine endliche Kraft oder eine endliche mitgetheilte Bewegung erregt, unendlich gross werden, und einmal erregt, nicht wieder erlöschen, weil sie nichts von ihrer lebendigen Kraft der äusseren Luft mittheilen. Euler) selbst hatte diese Abweichungen dadurch erklären wollen, dass die Erschütterung sich zum Theil den Wänden der Röhre mittheilte und dadurch der Luftmasse verloren ginge. Poisson 2) suchte den Grund richtiger in dem Umstande, dass die Verdichtung am offenen Ende der Röhre nicht vollständig gleich Null, sondern nur sehr klein sei. Aber er wusste ihren wirklichen Werth nicht zu finden, sondern baute seine Theorie auf eine neue Hypothese, welche sich in unserer Untersuchung als im allgemeinen unrichtig erweisen wird. Er machte nämlich die Annahme, dass die Verdichtung am Ende der Röhre proportional der Geschwindigkeit sei, wie sie es bei ebenen fortschreitenden Wellen ist. Wenn die Geschwindigkeit v, die Verdichtung s, die Schallgeschwindigkeit a ist, so setzte er:

kv =as.

Die Constante k nimmt er an geschlossenen Enden als sehr klein, an offenen als sehr gross an; ihr wirklicher Werth bleibt unbestimmt. Dieser Annahme gemäss müssten am offener Ende der Röhre die Maxima der Geschwindigkeit mit den

1) Novi Commentarii Acad. Petrop. Tom. XVI, p. 347.
2) Mémoires de l'Académie des Sciences 1817 T. II, p. 305.

Maximis der Verdichtung der Luft der Zeit nach zusammenfallen. Im Gegentheil wird die von uns anzustellende vollständigere Analyse zeigen, dass beide nahehin um ein Viertel der Schwingungsdauer auseinanderfallen. Poisson's Annahme beseitigt die genannten Uebelstände der früheren Theorien, indem bei seiner Hypothese allerdings Schall in den freien Raum übergeht, und deshalb die Schallschwingungen in der Röhre schnell erlöschen, sobald die erregende Kraft aufgehört hat zu wirken. Wie viel Schall aber in den freien Raum bei jeder Reflexion der Schallwellen übergeht, hängt von dem unbekannten Werthe der Constante k ab, und bleibt deshalb selbst unbekannt.

Andererseits folgt aus Poisson's wie aus der älteren Annahme, dass die Flächen kleinster Bewegung (Knotenflächen) genau um eine Viertelwellenlänge vom offenen Ende der Röhre abstehen, was allen älteren und neueren Erfahrungen über die Höhe der durch Anblasen erzeugten Töne und der durch die 3 Resonanz der Röhre verstärkten Töne widerspricht und durch die directen Versuche von Hopkins über die Lage der Knotenflächen widerlegt wird. Diese Flächen sind in offenen cylindrischen und prismatischen Röhren vom Ende der Röhre etwas weniger entfernt, als die Viertelwellenlänge beträgt. Gegen Poisson's Versuch zu erklären, warum beim Anblasen beiderseits offener Röhren tiefere Töne entstehen, als seine Theorie erwarten lässt, haben schon Quet und Zamminer gegründete Bedenken erhoben. Poisson's Formeln ergeben nämlich, dass, wenn eine Bewegung von bestimmter Amplitude der Luft der Röhre in einem Knotenpunkte mitgetheilt wird, die Amplitude in den Schwingungsbäuchen sehr gross wird, nämlich von derselben Ordnung wie Poisson's Constante k. Daraus schliesst er, dass für diesen Fall die Amplituden der Schwingung grösser würden, als es die bei der Ableitung der Bewegungsgleichungen gemachte Annahme unendlich kleiner Vibrationen erlaubte. Unter diesen Umständen sei also Schallbewegung unmöglich, und es könnten deshalb beim Anblasen der Röhre nur Töne entstehen, die sich dieser Grenze der Tonhöhe näherten, wirklich aber immer tiefer bleiben müssten. Mathematisch ist dieser Schluss unzulässig, denn wie gross auch die übrigens durchaus unbekannt bleibende Grösse k sein mag, so würde doch immer

Helmholtz, wissensch. Abhandlungen.

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die Grösse der mitgetheilten Amplituden so klein gewählt werden können, dass die Bewegungsgleichungen der Schallbewegung anwendbar bleiben, und auch der Erfahrung widerspricht diese Darstellung. Allerdings tritt in den Versuchen von Hopkins die Schwierigkeit, der Luft der Röhre in einer Knotenfläche eine gegebene Bewegung mitzutheilen, deutlich in die Erscheinung, weil nämlich hier der Widerstand der Luft den Schwingungen der von Hopkins angewendeten schwingenden Platten am meisten hinderlich wird. Die lebendige Kraft der Bewegung, welche der schwingende Körper an die Luft abgeben muss, um die starke Resonanz der Röhre zu unterhalten, wird hier am bedeutendsten, und wenn also der schwingende Körper nicht genügend viel lebendige Kraft erzeugen und abgeben kann, hört er auf zu schwingen. Wendet man dagegen Platten an, die von Stimmgabeln erschüttert werden, deren Vibrationen zu kräftig sind, um durch den Luftwiderstand erheblich verändert zu werden, so erhält man gerade in den Fällen die vollste und schönste Resonanz, wo die Platte in einer Knotenfläche der Röhre liegt, und nach Poisson die Resonanz unmöglich wäre. Ausserdem zeigt sich in den Versuchen von Hopkins die Schwierigkeit des Tönens der Platten gerade bei solchen Tönen, 4 wie sie das Anblasen der Röhre giebt, aber nicht bei den etwas höheren Tönen, welche Poisson als unmöglich betrachtet; diese kommen ohne Schwierigkeit zu Stande.

Es hat übrigens Quet1) diese Unzulänglichkeiten von Poisson's Theorie, die nicht nothwendig aus seiner Fundamentalhypothese fliessen, verbessert, während er sich übrigens dieser Hypothese anschliesst und ihre Richtigkeit wahrscheinlich zu machen sucht.

Hopkins) hat die Beschränkung, welche in Poisson's Grenzbedingung für das offene Ende der Röhre liegt, weggelassen und nur die Bedingung festgehalten, dass der Druck am offenen Ende klein sein müsse, und dadurch die Möglichkeit offen behalten in seinen Formeln die Uebereinstimmung mit

1) Liouville Journal, Tom. XX, p. 1.

2) Transactions of the Cambridge Philos. Soc. Vol. V. dorff's Annalen Bd. XLIV, p. 246.

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