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XXV.

Ueber die Dauer und den Verlauf der durch Stromesschwankungen inducirten elektrischen Ströme.

Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie. Bd. 83 S. 505–540. (1851.) Vorläufige Notiz im Monatsberichte der Berliner Akademie 1851 S. 287.

Die von Pouillet vorgeschlagene Methode, eine zu mes- 505 sende kleine Zeitgrösse aus der Wirkung zu berechnen, welche während derselben ein elektrischer Strom von bekannter Intensität auf einen Magnet ausgeübt hat, ist von mir für physiologische Zwecke benutzt worden. Im weiteren Verlaufe dieser Messungen sah ich mich genöthigt Versuche anzustellen über die Dauer der durch plötzliche Stromesschwankungen inducirten elektrischen Ströme, welche ich zur Reizung der thierischen Theile gebrauchte, und über die Art, wie der zeitmessende Strom unter dem Einflusse des ihm entgegenwirkenden Schliessungsgegenstromes der Multiplicatorspirale zu strömen anfange. Durch diese Versuche bin ich im Stande gewesen, einzelne Bestätigungen für ein sehr allgemeines mathematisches Princip zu geben, welches sich zur Bestimmung des Verlaufes solcher Strömungen darbot. Die rein physikalischen Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in dem vorliegenden Aufsatze zusammengestellt.

Ich schicke die theoretischen Erörterungen voraus, weil sie für das Verständniss der Anordnung der Versuche nothwendig sind. Man hat bis jetzt das Ohm'sche Gesetz über die Abhängigkeit der Stromstärke von den elektromotorischen Kräften und dem Widerstande der Leitungen nur auf Ströme

von constanter Intensität angewendet oder höchstens auf solche, deren Dauer noch in die Grenzen unmittelbar durch unsere Sinne wahrnehmbarer Zeittheile fällt, wie es z. B. bei den durch Bewegung von Magneten inducirten der Fall ist. Dagegen erregte sein Gebrauch für diejenigen Ströme Bedenken, welche durch Schliessung und Oeffnung eines galvanischen Stromes inducirt werden, weil die dem Ansteigen und Ver506 schwinden des inducirenden Stromes entsprechende geringe Dauer derselben zu kurz zu sein schien, als dass die Erfüllung der Grundbedingung des Ohm'schen Gesetzes, nämlich die Ausgleichung der Stromstärke durch die ganze Länge der Leitung, angenommen werden konnte. Bei der Induction durch Unterbrechung der Leitungen ist die inducirende Stromesschwankung nothwendig auf die Zeit beschränkt, während welcher sich die Metalle an der Unterbrechungsstelle von einander lösen. Diese Zeit ist allerdings nicht gleich Null, weil der hier entstehende Funke noch einen Augenblick durch die übergeführten Metalltheilchen die Verbinduug unterhält, aber die Funkendauer ist doch so klein, dass sie bis jetzt noch nicht gemessen werden konnte, und wir deshalb auch ihr Verhältniss zu der Fortpflanzungszeit der Elektricität durch die Leitungen nicht kennen. Dazu kommt, dass auch der Widerstand der inducirenden Leitung während der Unterbrechungszeit uns unbekannt ist, und selbst wiederum von der elektromotorischen Kraft des Oeffnungsgegenstromes abzuhängen scheint. Anders ist es bei der Induction durch Schliessung der Leitungen. Hier finden sämmtliche Ströme von Anfang an Wege von constantem Widerstande, und keiner ist in seiner Dauer durch äussere mechanische Einflüsse beschränkt. Wenn ein elektrischer Strom in einer nicht spiralförmig aufgewundenen Leitung ohne merklichen Anfangsgegenstrom entsteht, ist allerdings wohl während seines Ansteigens keine gleichmässige Vertheilung der Stromstärke in der Leitung vorauszusetzen. Wenn er aber gleichzeitig inducirte Ströme hervorruft, fragt es sich, ob diese nicht das Anwachsen des inducirenden Stromes so verzögern, dass die Ausgleichung der Stromstärke in der ganzen Leitung fortdauernd möglich bleibt, und in der That lässt sich schon aus den bisher bekannten Thatsachen und Gesetzen nach

weisen, dass Anordnungen, in denen dies zutrifft, ausführbar sein müssen.

Beschränken wir zunächst unsere Erörterungen auf den einfachsten Fall, den, wo eine einfache Leitung geschlossen 507 wird, welche Volta'sche Elemente und eine Spirale enthält. Im Augenblicke der Schliessung fängt die Elektricität an sich in Bewegung zu setzen, aber das Ansteigen des Stromes selbst bringt in der Spirale eine ihm entgegenwirkende elektromotorische Kraft hervor, wodurch seine volle Entwickelung nothwendig verzögert werden muss. Schon Dove1) hat aus magnetelektrischen Versuchen den wichtigen Schluss gezogen, dass durch diese Schliessungsinduction der sich entwickelnde Strom niemals überwältigt und in der Richtung umgekehrt, sondern nur vermindert werde; dasselbe wird aus meinen später beizubringenden Versuchsreihen hervorgehen. Denken wir uns den in der Leitung vorhandenen Strom aus dem Batteriestrom von constanter Stärke und einem inducirten Strome von entgegengesetzter Richtung und veränderlicher Stärke zusammengesetzt, so muss die letztere stets kleiner sein als jene des Batteriestromes. Der inducirte Strom allein würde aber während seiner kurzen Dauer eine elektromagnetische Wirkung von bestimmter Grösse hervorbringen. Damit der ihm entgegengerichtete Batteriestrom dieselbe Wirkung hervorbringen könne, muss er eine bestimmte endliche Zeit hindurch auf den Magnet wirken. Wenn aber die elektromagnetische Wirkung eines Stromes von geringerer, der eines anderen von höherer Intensität gleich sein soll, muss ersterer länger dauern, als letzterer. Daraus folgt unmittelbar, dass die Dauer des inducirenden Stromes grösser sein muss, als diejenige Zeit, in welcher der inducirende dieselbe elektromagnetische Wirkung hervorbringt.

Ein ruhender Magnet wird durch den inducirten Strom allein genommen, abgelenkt um einen Bogen proportional:

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1) Ueber den Gegenstrom zu Anfang und Ende eines primären.

Pogg. Annalen Bd. LVI, S. 365.

wo i die Intensität des inducirten, J die des Batteriestromes 508 bezeichnet, W den Widerstand der Leitung in absoluten Einheiten), t die Zeit und P das nur von den geometrischen Verhältnissen abhängige Potential der Spirale auf sich selbst. Ebenso verursacht der Batteriestrom J, wenn er allein während der sehr kurzen Zeit t auf den Magnet wirkte, einen Ausschlag proportional:

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so üben beide Ströme gleiche elektromagnetische Wirkung aus und da i immer kleiner als J sein soll, muss nothwendig die Dauer des Stromes i grösser als P/W sein.

Da es uns darauf ankommt, diese Dauer möglichst gross zu machen, um die Fortpflanzungszeit der Elektricität durch die Leitung dagegen verschwinden zu lassen, wollen wir die Bedingungen untersuchen, unter denen dies erreicht wird. Zunächst müssen wir den Nenner W dadurch verkleinern, dass wir den ausser der Spirale vorhandenen Widerstand möglichst verschwinden machen, was sich in der Ausführung durch Anwendung grossplattiger Volta 'scher Elemente oder Anordnung von solchen in nebeneinander wirkenden Parallelreihen bis zu jeder beliebigen Grenze wird erreichen lassen. Setzen wir voraus, dies sei geschehen, sodass wir unter W uns nur noch den Widerstand der Spirale zu denken haben. Alsdann wird der Werth des Quotienten P/W nur von der Masse des Drahtes und der Gestalt der Spirale abhängen, aber fast unabhängig sein von der Zahl der Windungen. Denken wir nämlich die Drahtleitung der Spirale in zwei Leitungen von gleicher Länge und halbem Querschnitte zerlegt, welche vom Strome hintereinander durchlaufen werden, so wird sowohl W als P vervierfacht; ersteres weil jetzt die Leitung bei doppelter Länge nur 509 den halben Querschnitt hat, letzteres weil wir jetzt doppelt so viel inducirende, und doppelt so viel inducirte Stromelemente

1) S. Kirchhoff in Pogg. Ann. Bd. LXXVI, S. 426.

haben. Nur in dem Falle kann sich der Werth von PW dabei ändern, wenn die Dicke der Drähte im Verhältniss zu den Dimensionen der Spirale so beträchtlich ist, dass die Induction an verschiedenen Stellen desselben Querschnittes des Drahtes mit merklich verschiedener Kraft wirkt. Da die Ausgleichungszeit der Stromstärke durch die Leitung wahrscheinlich nur von ihrer Länge abhängt, kann man sie durch Verminderung der Zahl der Windungen bei gleichbleibender Masse des Drahtes jedenfalls kleiner als jede bis jetzt messbare Zeitgrösse machen, ohne dass dabei die Dauer des Inductionsstromes geändert wird. Was den Einfluss einer Vermehrung der Masse des Drahtes betrifft, so giebt der von Neumann für das Potential zweier Strombahnen entwickelte Ausdruck folgenden Anhaltspunkt. Sind ds, und ds, Längenelemente der Strombahnen, r ihre Entfernung, a der von ihren Richtungen gebildete Winkel, so ist das Potential der Bahnen das Integral:

SS ds, dsq

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über beide Bahnen ausgedehnt. Denken wir nun die Länge der Elemente ds, und ds, so wie sämmtliche lineare Dimensionen der Strombahnen, also auch r, auf das nfache vergrössert, so wird auch der Werth jenes Integrals, des Potentials der Bahnen, der nfache. Wir erhalten dadurch das Potential einer Spirale, welche der ersten gegebenen geometrisch ähnlich ist, eine n3 so grosse Masse und einen Draht von der nfachen Länge und dem n2fachen Querschnitt, also dem Widerstande 1,n hat. Der Quotient P/W wird also für diese n2 mal so gross sein als für die erste. Daraus geht hervor, dass wir die Dauer des Schliessungsinductionsstromes durch entsprechende Vermehrung der Drahtmassen bis zu jeder beliebigen Grösse vermehren können.

Es wird also jedenfalls möglich sein Bedingungen herzu- 510 stellen, unter welchen die Fortpflanzungszeit der Elektricität durch die Leitung verschwindend klein ist gegen solche Zeittheilchen, während welcher sich die Intensität des Stromes nicht merklich ändert. Nur dadurch, dass in einzelnen Zeittheilchen die Ansteigungsgeschwindigkeit vielleicht unendlich gross würde, könnten Ausnahmen eintreten. Uebrigens will ich

Helmholtz, wissensch. Abhandlungen.

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