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der Werth der Constante k ohne Einfluss ist. Zum Theil geschieht sie in Längsschwingungen, die einer, nach der Schwingungsdauer und dem Widerstande des Leiters verschiedenen Dämpfung unterworfen sind. Bei grosser Schwingungsdauer oder sehr guter Leitung, wenn die Dämpfung unmerklich wird, ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit gleich 1/AV. Bei Maxwell's Annahme wird sie unendlich gross, und die Untersuchung zeigt, dass hierbei dann gar keine freie Elektricität in das Innere des Leiters eintreten kann, wenn sie nicht von Anfang an da war. Nach F. E. Neumann's Annahme, k = 1, wird die Fortpflanzungsgeschwindigkeit gleich 1/A, welche Grösse nach Weber's Messungen der Geschwindigkeit des Lichtes gleich zu sein scheint.

XXXII.

Ueber die Theorie der Elektrodynamik.

Erste Abhandlung.

Ueber die Bewegungsgleichungen der Elektricität für ruhende leitende Körper.

Aus: Borchardt's Journal für die reine und angewandte Mathematik. Bd. LXXII. S. 57-129.

Bei Gelegenheit gewisser Versuche wurde ich veranlasst, 57 die Frage zu discutiren, in welcher Weise elektrische Ströme im Inneren eines körperlich ausgedehnten Leiters zu fliessen beginnen. Ich suchte Aufschluss darüber aus der Theorie zu gewinnen. Die Bewegungsgleichungen der elektrischen Ströme von veränderlicher Intensität für Leiter von drei Dimensionen, welche sich aus Herrn W. Weber's sinnreicher Hypothese über das Wesen der elektrischen Fernwirkungen ergeben, sind von Herrn G. Kirchhoff) entwickelt, und theils von ihm, theils von anderen Mathematikern mit Erfolg zur Erklärung einiger Beobachtungsthatsachen benutzt worden. Bei meinem Versuche, sie auf eine neue Aufgabe anzuwenden, ergaben sich physikalisch unzulässige Folgerungen, und die nähere Untersuchung überzeugte mich bald, dass der Grund davon in den Principien der Theorie stecke, dass nämlich nach den Folgerungen aus der Weber'schen Theorie das Gleichgewicht der ruhenden Elektricität in einem leitenden Körper labil sei, und

1) Pogg. Annalen CII. S. 529. Helmholtz, wissensch. Abhandlungen.

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dass deshalb die darauf gegründete Theorie die Möglichkeit von elektrischen Strömungen anzeige, die zu immer grösser werdenden Werthen der Strömungsintensität und der elektrischen Dichtigkeit fortschritten.

Als ich dagegen versuchte, neue Bewegungsgleichungen zu bilden, bei denen ich statt des Weber'schen Gesetzes für die Induction zweier Stromelemente auf einander das von Herrn F. E. Neumann 1) (dem Vater) formulirte Gesetz zu Grunde legte, erhielt ich brauchbare Gleichungen, die für die ruhende Elektricität stabiles Gleichgewicht ergaben.

Bei diesem Widerstreite der Theorien schien es mir rathsam, möglichst wenig den Boden der Thatsachen zu verlassen 58 und in der Theorie unbestimmt zu lassen, was bisher nicht als durch Versuche entschieden angesehen werden konnte. Die Art, wie ich in diese Frage hineingezogen war, liess schon erkennen, dass die Untersuchung selbst eine gewisse Einengung in der Breite der zulässigen Annahmen herbeiführen würde; denn nur diejenigen Annahmen konnten beibehalten werden, die für die ruhende Elektricität stabiles Gleichgewicht ergeben. Zweitens schien zu hoffen, dass eine solche Theorie erkennen lassen würde, bei welchen Classen von elektrischen Versuchen wir erwarten dürften Erscheinungen zu beobachten, welche auf das wahre Gesetz der Fernwirkung zweier Stromelemente gegen einander einen Rückschluss erlauben würden, und umgekehrt, bei welchen anderen Classen von Versuchen die bestehende Lücke unserer Kenntnisse keinen wesentlichen Einfluss auf ihre theoretische Erklärung und Ableitung habe. Diese Aussicht ist auch in einem gewissen Sinne erfüllt worden, indem sich zeigt, dass die mit den uns gegenwärtig zu Gebote stehenden Beobachtungsmitteln wahrzunehmenden Erscheinungen von jener Lücke in unseren Kenntnissen wahrscheinlich nirgends Kunde geben, und daher auch zunächst nichts zu deren Ausfüllung beitragen werden.

1) Die mathematischen Gesetze der inducirten elektrischen Ströme. Schriften der Berliner Akademie der Wissensch. von 1845. Besonders abgedruckt. Berlin, Reimer 1846. Ueber ein allgemeines Princip der mathematischen Theorie inducirter elektrischer Ströme. Berlin, Reimer 1848. (Vorgelegt der Berliner Akademie 9. August 1847.)

Die wesentlichste Lücke der Theorie in dem vorliegenden Gebiete bezieht sich auf die durch Aenderung der Stromintensität vorhandener elektrischer Ströme inducirten elektromotorischen Kräfte, sobald die inducirenden Ströme nicht vollständig geschlossen sind. Der charakteristische Unterschied zwischen einem System geschlossener und einem System ungeschlossener Ströme ist, dass in ersterem keine Veränderungen in der Dichtigkeit der freien Elektricität vorkommen, wohl aber in dem letzteren. Bisher kennen wir nun aus der Erfahrung mit hinreichender Genauigkeit die Gesetze der elektrodynamischen Anziehungen und die damit connexen Gesetze der inducirten elektromotorischen Kräfte nur für geschlossene Ströme, oder höchstens solche Fälle ungeschlossener Ströme (Leydener Flaschen), bei denen die Unterbrechungsstelle einflusslos auf die elektrodynamischen Wirkungen blieb.

Der Standpunkt der reinen Erfahrungsthatsachen ist gewahrt, wenn man nach Ampère's Vorgang die elektrodynamischen Anziehungen darstellt als die Kräfte, welche zwei von den Stromkreisen begrenzte Flächen, mit magnetischen Doppelschichten bedeckt, auf einander ausüben; aber diese Art der Darstellung kann, wie ersichtlich, auf ungeschlossene Ströme nicht ausgedehnt werden.

Indessen liegt es in der Natur der Sache, dass man versuchen musste die Gesammtwirkung zweier Stromkreise auf einander nicht von zwei imaginären, durch sie begrenzten Flächen herzuleiten, sondern sie in die Wirkungen ihrer einzelnen Ele- 59 mente aufzulösen. Dabei zeigte sich, dass das Gesetz der Elementarwirkungen nicht vollständig und eindeutig aus dem der Gesammtwirkung bestimmt werden konnte. Schon Ampère hatte ein Gesetz für die anziehenden und abstossenden Kräfte gegeben, welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben. Hr. Grassmann) zeigte, dass dafür auch andere Kräfte eingeführt werden konnten, ohne das Resultat bei irgend einer Anwendung auf geschlossene Ströme zu verändern. Herr F. E. Neumann (Vater) leitete aus Ampère's Gesetzen für die Kräfte

1) Neue Theorie der Elektrodynamik in Poggendorff's Annalen LXIV. 1845.

den Ausdruck für das Potential zweier Stromelemente ab, und sprach zuerst das daraus herfliessende Gesetz der Induction aus, im Wesentlichen gestützt auf die Erfahrungsregel, dass die durch Bewegung von Magneten oder Stromleitern inducirten Ströme dieser Bewegung immer entgegenwirken. Wenig später erschien der erste Abschnitt von Herrn W. Weber's Elektrodynamischen Maassbestimmungen", in denen er zuerst das unter seinem Namen bekannte Gesetz der elektrischen Fernwirkung aufstellte, welches alle bis dahin bekannten Wirkungen der Elektricität, die elektrostatischen, elektrodynamischen und inducirenden unter einen Gesichtspunkt zusammenfasste. Das daraus hergeleitete Inductionsgesetz war abweichend von dem Neumann'schen Gesetze; aber es zeigte die darauf folgende Discussion, dass, bei richtiger Anwendung des Weber'schen Gesetzes, es für alle Fälle, wo der inducirende Strom geschlossen ist, genau dieselben Resultate giebt, wie das von Herrn Neumann aufgestellte Gesetz.

Da die von Herrn C. Neumann (Sohn)1) aufgestellte Hypothese über die elektrischen Fernwirkungen für geringere Strömungsgeschwindigkeiten der elektrischen Massen zum Weberschen Gesetze führt, so ist auch das daraus folgende Inductionsgesetz dasselbe, so lange nur die ersten Potenzen der Stromstärken zu berücksichtigen sind.

Ein anderes Gesetz der Induction ist dagegen in den Arbeiten von Herrn Cl. Maxwell), wenn auch in verdeckter Form, enthalten, welches wiederum für geschlossene, aber nicht für ungeschlossene Ströme mit den beiden vorher erwähnten übereinstimmt.

Analytisch genommen beruht das bezeichnete Verhältniss dieser verschiedenen Gesetze darauf, dass die Differenzen 60 zwischen den Werthen, die sie ergeben, alle auf die Form:

d2r B ds.do

1) Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 16. Juni 1868.

2) London, Philosophical Transactions 1865. P. I. p. 459.

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