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XXXIII.

Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen.

Aus: Monatsberichte der Berliner Akademie vom 25. Mai 1871. S. 292–298.

Die Frage, wie die elektrodynamischen Fernwirkungen zu 292 Stande kommen, ob nach Hrn. W. Weber durch unmittelbar in die Ferne wirkende Kräfte der bewegten elektrischen Theilchen selbst, die aber von den Geschwindigkeiten und Beschleunigungen dieser Theilchen in Richtung ihrer Verbindungslinie abhängen, oder nach Hrn. C. Neumann (Sohn) durch Kräfte, die sich mit endlicher Geschwindigkeit im Raume verbreiten, oder ob sie nach Faraday und Hrn. Maxwell erst mittelbar durch eine Veränderung des den Raum füllenden Mediums bedingt werden, hat in neuester Zeit viele Forscher beschäftigt. Sie ist in der That eine Frage von principieller Wichtigkeit für die Grundlagen der Naturwissenschaft. Nach den beiden zuletzt bezeichneten Ansichten würden die elektrodynamischen 293 Fernwirkungen elektrischer Ströme nicht augenblicklich zu Stande kommen, sondern der Antrieb zu ihnen würde sich mit endlicher Geschwindigkeit durch den Raum verbreiten. Allerdings ist in Hrn. Neumann's und Hrn. Maxwell's Theorien diese Geschwindigkeit nach den Ergebnissen der elektrodynamischen Maassbestimmungen nahe gleich der Lichtgeschwindigkeit gesetzt worden. Indessen zeigte die von mir kürzlich1) veröffentlichte Discussion der elektrodynamischen Theorien.

1) In vorstehendem Aufsatz.

dass je nach den Annahmen, die man über die magnetische und diëlektrische Polarisationsfähigkeit der Luft macht, auch andere Werthe dieser Fortpflanzungsgeschwindigkeit sich mit den übrigen Thatsachen vereinigen lassen.

Unterdessen ist nun von Hrn. P. Blaserna 1) eine grosse Reihe von Versuchen veröffentlicht worden, aus denen derselbe schliesst, dass die Fortpflanzung wenigstens der inducirenden Wirkungen elektrischer Ströme in der Luft mit einer sehr mässigen Geschwindigkeit vor sich ginge. Nach den Versuchen mit Oeffnungsinductionsschlägen, die Hr. Blaserna als die zuverlässigeren betrachtet, würde diese Geschwindigkeit in der Luft nur 550 m, im Gummilack sogar nur 330 m betragen, also im letzteren der Geschwindigkeit des Schalles in der Luft ungefähr gleich sein. Aus den Versuchen mit Schliessungsinduction hatte der Genannte sogar noch viel kleinere Geschwindigkeiten gefolgert; indessen hat er selbst anerkannt, dass in diesem Falle die Rückwirkung der inducirten Spirale auf die inducirende die Deutung des Ergebnisses seiner Versuche zweifelhaft mache.

Zu bemerken ist nun, dass bei diesen Versuchen nur sehr kleine Distanzen der inducirenden und inducirten Spirale angewendet worden sind, zwischen einem und drei Centimeter wechselnd; beide Spiralen waren übrigens flach gewunden. Die der Fortpflanzung durch den Zwischenraum von zwei Centimeter entsprechende Zeit betrug in den Versuchen mit Oeffnungsinduction nur 22000 Secunde. Abgesehen von den Unregelmässigkeiten, die die immer sprungweise unterbrochene Be294 rührung eines schleifenden Contactes zwischen festen Metallen bei feinen zeitmessenden Versuchen herbeiführt, schien mir zweifelhaft, ob so kleine Zeitunterschiede nicht von der verschiedenen Dauer des Funkens an der Unterbrechungsstelle des inducirenden Stromes bedingt sein könnten. Ich habe mich in den unten zu beschreibenden eigenen Versuchen überzeugt, dass selbst unter viel ungünstigeren Verhältnissen, als sie in Hrn. Blaserna's Versuchen gegeben waren, der Unterbrechungsfunken die Dauer von Secunde erreichen kann; die Herren

1) Giornale di Scienze Naturali ed Economiche. Vol. VI. 1870. Palermo.

Lucas und Cazin fanden kürzlich 30000 für grössere elektrische Batterien mit 2,292 mm Schlagweite, 1000 bei 5 mm Schlagweite.) Während Hr. Blaserna mehrere Bunsen'sche Elemente zur Erzeugung des Stromes verwendete, habe ich nur ein Daniel'sches angewendet, und während seine Spiralen eng zusammengedrängte Drahtwindungen enthielten, hatte die meinige eine sehr grosse Peripherie und wenige Windungen, war also zur Erzeugung eines starken Extracurrents viel weniger geeignet. Dennoch erreichte die Dauer des Funkens die angegebene Grösse. Beachtet man nun, dass die Intensität des Funkens durch Annäherung einer zweiten Spirale, in der ein Inductionsstrom zu Stande kommt, wie bekannt, erheblich vermindert wird, weil der inducirte Strom hemmend auf den inducirenden wirkt, und dass Hrn. Blaserna's Spiralen einander immer verhältnissmässig sehr nahe standen: so tritt der Zweifel ein, ob nicht die längere Dauer des Funkens eine scheinbare Verzögerung der Wirkung bei grösserem Abstande der Spiralen hervorgebracht hat.

Da ich seit längerer Zeit mit Versuchen über den Verlauf sehr kurz dauernder elektrischer Ströme beschäftigt war, und Apparate zu diesem Zwecke hatte anfertigen lassen, so schien es mir vor allen Dingen nöthig zu prüfen, ob die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen wirklich einen so niedrigen Werth habe, wie ihn Hr. Blaserna erschlossen hat. Meine bisher ausgeführten Versuche beziehen sich auf die Fortpflanzung der Wirkung durch Luft allein. Der sehr merkwürdige Einfluss, den die elektrischen Isolatoren in den Versuchen des italienischen Forschers gezeigt haben, erfordert noch weiteres Studium. Dass auch in Isolatoren sehr kurz dauernde elektrische Bewegungen vorkommen, welche 295 unter Umständen wohl inducirend auf die Nachbarschaft wirken können, ähnlich der Bewegung des Magnetismus im Eisen, erscheint bei dem Einflusse, den solche Medien als Diëlektrica haben, sehr wahrscheinlich. Vorläufig habe ich diese Seite der Frage nicht verfolgt.

1) Hr. J. Bernstein in einer eng gewickelten Spirale von feinem Drahto (Pogg. Annalen CXLII. S. 65.)

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Der von mir gebrauchte Unterbrechungsapparat für die Stromleitungen bestand aus einem schweren und festen eisernea Pendel, dessen Träger in die Mauer eingelassen war, und welches immer aus gleicher Höhe fallen gelassen wurde. Am unteren Ende trug es zwei mit Achatplatten belegte Hervorragungen, welche in dem Augenblicke, wo das Pendel durch die Gleichgewichtslage ging, gegen die stählernen Enden zweier leichten Hebelchen schlugen, durch deren Bewegung zwei Stromleitungen unterbrochen wurden. Das eine dieser Hebelchen ruhte auf einer festen Unterlage, das andere auf einem Schlitten, der durch eine Mikrometerschraube verschoben werden konnte, so dass der Anschlag an dieses verschiebbare Hebelchen um beliebige kleine Zeiträume bald früher, bald später erfolgte, als an das andere. Der Zeitunterschied wurde berechnet aus der mikrometrisch gemessenen Verschiebung der Anschlagspunkte und aus der Geschwindigkeit des fallenden Pendels; letztere aus seiner Schwingungsdauer und dem Schwingungsbogen. Ein Theilstrich am Kopfe der Mikrometerschraube entsprach 231170 Secunde. Genauere Ablesungen zu machen, wäre bei der bisherigen Einrichtung wegen der ungleichmässigen Dauer des Funkens ohne Nutzen gewesen.

Da es mir darauf ankam, möglichst grosse Entfernungen der Spiralen zu gebrauchen, so habe ich diesen die Form von Ringen von etwa 80 cm Durchmesser gegeben. Die inducirende Spirale hatte nur 12 Windungen eines Kupferdrahtes von 1 mm Dicke, mit einer mm dicken Schicht von Guttapercha überzogen. Die inducirte Spirale dagegen hatte 560 Windungen eines mit Seide besponnenen Kupferdrahtes von mm Durchmesser. Diese Spirale konnte bis auf 170 cm von der inducirenden entfernt werden, ohne dass die inducirende Wirkung aufhörte deutlich zu sein. Aber auch die nächste Entfernung, in welche beide Rollen gebracht wurden, betrug immer noch 34 cm, um die Rückwirkung des inducirten auf den inducirenden Strom unwahrnehmbar klein zu machen, was auch, so weit es aus den zeitmessenden Versuchen beurtheilt werden kann, geungen war.

Die Anordnung bei den Versuchen war folgende: Der inducirende Stromkreis enthielt ein Daniell'sches Element,

die kleinere Spirale und die zuerst angeschlagene Unterbrechungsstelle. Durch deren Anschlag wurde er aufgehoben, und seine Unterbrechung wirkte inducirend auf den nun allein übrig bleibenden zweiten Stromkreis.

Dieser war nicht vollständig geschlossen, sondern seine Enden führten zu einem Condensator nach Kohlrausch mit zwei vergoldeten Metallscheiben, die bis auf mm einander genähert waren. Dieser Kreis bestand aus der grösseren Drahtspirale, deren eines Ende unmittelbar mit der zur Erde abgeleiteten festen Platte des Condensators verbunden war. Das zweite Ende stand durch das zweite Unterbrechungshebelchen mit der isolirten beweglichen Platte des Condensators in Verbindung. Die durch Induction in Bewegung gesetzte Elektricität strömte also in den Condensator ein bis zu dem Moment, wo die zweite Unterbrechungsstelle aufgeschlagen wurde. Von da ab war die bewegliche Condensatorplatte isolirt und behielt die empfangene Ladung.

Deren Grösse und Art wurde dann an einem nach Sir W. Thomson's Princip construirten Elektrometer, nach Entfernung der beiden Condensatorplatten voneinander, gemessen.

Der Vorgang, der hierbei der Beobachtung unterworfen wurde, ist also die Reihe der nach Unterbrechung des primären Stromes zurückbleibenden elektrischen Oscillationen in der inducirten und mit dem Condensator verbundenen Spirale. Da diese Oscillationen von der einen zur anderen Condensatorplatte in einer übrigens ununterbrochenen Leitung ohne Funkenstrecke vor sich gehen, so verlaufen sie viel regelmässiger und sind viel zahlreicher, als die in den Schliessungsbögen von Leydener Batterien beobachteten. Die Länge meines Mikrometers erlaubte mir bei 34 cm Entfernung zwischen den Spiralen bis zu 35 positiven und ebenso vielen negativen Phasen abzulesen. Die Dauer einer ganzen Oscillation (positiv und negativ zusammen) betrug Secunde, die Gesammtdauer der 35 beobachteten Oscillationen also Secunde; und sie waren da, wo ich die Beobachtungen abbrechen musste, noch keineswegs so schwach, dass sich nicht bei grösserem Spielraume des Mikrometers noch eine lange Reihe derselben hätte beobachten lassen.

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