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zu seyn, aus den bekannten chemischen Erscheinungen die sie bedingenden Kräfte abzuleiten.

Es kann also nicht wundern, dafs diese Molecularwirkungen bis jetzt fast völlig unbekannt sind, und dafs der Begriff der Affinität ziemlich vag ist.

Von desto gröfserem Werth scheint deshalb die Anwendung des Theorems der mechanischen Energie auf die chemischen Erscheinungen zu seyn. Hier kommt vor allem die Verbindungswärme in Betracht, welche als Maafs der bei der Verbindung verlorenen Energie betrachtet werden kann, und also eines Productes, dessen einer Factor die Affinität ist, und der andere die unter der Wirkung dieser Kraft auftretende moleculare Stellungsveränderung. Es ist also die Affinität keineswegs der Verbindungswärme proportional zu

setzen.

So lässt sich auch nicht behaupten, dafs Schwefelsäure eine stärkere Säure sey als Chlorwasserstoffsäure, weil erstere in Chlorbarium ein Präcipitat verursacht. Es bildet sich hier aus einer Flüssigkeit ein fester Körper, wobei Wärme frei wird, und da nach dem zweiten Satze in der Natur ein Bestreben vorwaltet zur Umsetzung chemischer Arbeit in Wärme, kann diefs die Ursache der Bildung des festen Körpers seyn. Die Präcipitation ist also kein unzweideutiges Zeichen, dafs die Affinität zwischen Schwefelsäure und Baryt grösser sey als zwischen Salzsäure und Baryt, da oben genannte Wärmewirkung die Bildung des Salzes unterstützt.

Keineswegs lässt sich auch aus diesem Satze erklären, dafs Schwefelsäure aus kohlensaurem Kali die Kohlensäure als Gas austreibt. Für diese Gasbildung ist Wärme erforderlich; es unterstützt also oben genannte Eigenschaft der Wärme keineswegs die Bildung des Salzes, und deswegen hat man vielleicht Recht die Affinität von Kali für Schwefelsäure gröfser als für Kohlensäure zu nennen.

So mufs im Allgemeinen bei der Erklärung jeder chemischen Erscheinung zuerst der Einfluss der in oben genannten zwei Sätzen angegebenen Wärmewirkungen nachgeforscht werden. Was sich in dieser Weise nicht erklären läfst,

liegt im Gebiete der Affinität. Wie zusammengesetzt die Aufgabe im Allgemeinen seyn mag, so lässt sich doch nicht bezweifeln, dafs bei der Vergleichung der für die Wärme corrigirten chemischen Erscheinungen sich einige einfache Verhältnisse herausstellen werden.

Wiewohl die oben beschriebenen Folgerungen aus der Theorie der mechanischen Energie, so viel ich weifs, noch nicht von Anderen angegeben sind, sind sie doch nur in einem beschränkten Sinne als neu zu betrachten. Sie folgen im Allgemeinen so direct aus obigen zwei Theoremen, dafs sie Jedem, der mit der mechanischen Wärmetheorie einigermaafsen vertraut ist, und die Sätze auf die Chemie anzuwenden versucht, sogleich beifallen müssen. Es schien mir aber nicht ohne Nutzen, in diesen Beispielen zu zeigen, wie fruchtbar diese Sätze sich in der Chemie verwenden lassen, wie auch Bertholet vor kurzem an einer andern Reihe von chemischen Erscheinungen nachgewiesen hat.

Es geben diese Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf chemische Verbindungen zu einer grofsen Zahl experimenteller Untersuchungen Veranlassung. Dafs ich mich hier indefs ganz an bereits Bekanntes gehalten habe, geschah einerseits, weil das vorhandene reiche Material chemischer Beobachtungen zur Erläuterung dieser Anwendungen, worauf es mir zunächst ankam, hinreicht, andererseits weil das Anstellen von Versuchen diesen Aufsatz auf lange Zeit verschoben haben würde. Freilich habe ich die Absicht einige dieser Ansichten genauer experimentell zu untersuchen, viele Untersuchungen mufs man aber selbstverständlich einem practischen Chemiker überlassen; dabei schien es mir von Werth, die Aufmerksamkeit derjenigen Chemiker, welche sich mit Calorimeterbestimmungen beschäftigen, auf diese Betrachtungen zu lenken, um sich von diesen bei der Wahl der Versuche leiten zu lassen. Nur zu oft bemerkt man bei diesen Betrachtungen, wie das Fehlen eines einzigen Elementes die Berechnung unmöglich macht. So würde das schon so reiche Material der Favre'schen Ver

suche noch viel ergiebiger seyn für diese Theorie, wenn eine relativ geringe Zahl von Bestimmungen, auf welche es hier zunächst ankommt, dieser klassischen Fundgrube hinzugefügt wäre.

Deventer, Mai 1867.

V. Ueber die Dissociationstheorie; von Dr. H. W. Schröder van der Kolk.

Auf Veranlassung meines Aufsatzes über die Dissociations

theorie ') hat H. Saint-Claire Deville eine Notiz über diesen Gegenstand in den Comptes rendus vom 14. Jan. d. J. (T. 64, p. 66) veröffentlicht, in welcher er einige meiner Bemerkungen zu widerlegen sucht und Versuche zur Vertheidigung seiner Ansichten anführt; ich mufs jedoch gestehen, auch jetzt nicht überzeugt zu seyn, und deshalb komme ich nochmals auf diesen Gegenstand zurück.

Als ich zum ersten Male das Theorem der mechanischen Energie auf chemische Wirkungen 2) anzuwenden suchte, bemerkte ich bald, dafs sich diese Ansichten mit der Theorie der Dissociation, wie ich sie damals (1864) nur aus kurzen Mittheilungen kannte, nicht vereinigen liefsen. Die vorhergehende Abhandlung über den nämlichen Gegenstand, worin ich diese Anwendungen ausführlicher und genauer anzugeben versuche, war in den Hauptzügen schon vor einem Jahre fertig, und was die Dissociationstheorie betrifft, hätte ich einfach auf meine frühere Mittheilung verweisen können. Eben in dieser Zeit erschien aber die ausführliche Abhandlung Deville's über diesen Gegenstand in den Leçons de Chimi 1864. Ich verschob daher jetzt die Veröffentlichung, um die neue Arbeit Deville's zu studiren in der Hoffnung 1) Pogg. Ann. Bd. 129, S. 481.

2) Pogg. Ann. Bd. 122, S. 439, Ann. de Chim. et Physique Sér. IV T. 4, p. 193.

mich besser mit seinen Ansichten vereinbaren zu können. Diefs war aber nicht der Fall. Falls ich nun diese Deville'sche Arbeit nicht ignoriren wollte, was doch nicht anging, hatte ich nur die Wahl, seine Theorie mit wenigen Worten zu verwerfen oder zu versuchen, sie ausführlich zu widerlegen. Ich wählte das letzte; einem so verdienstvollen Gelehrten, wie H. Deville gegenüber, wollte ich mir kein Urtheil erlauben, ohne ausführlich die Gründe, welche mich dazu führten, mitzutheilen.

Mein Haupteinwand kommt nun darauf zurück, dass die Erscheinungen, welche Deville mittelst seiner Theorie einer décomposition partielle zu erklären versucht, sich fast ganz aus bekannten Wärmeerscheinungen ableiten lassen. Es scheint mir, dafs von einer neuen Theorie erst dann die Rede seyn könne, wenn der Einflufs aller bekannten Wirkungen, wie die der Wärme, erforscht ist.

Zu den Bemerkungen Deville's habe ich selbst, der gedrängten Kürze wegen, vielleicht einigermaafsen Veranlassung gegeben. So sagt Deville (Comptes rendus t. 64 p. 67) » que l'auteur insinue que mes déterminations ne sont pas tout-à-fait inattaquables.« In seiner Abhandlung (Leç. sur la Diss. p. 281) beschreibt Deville seinen Versuch und fügt hinzu: »on se sert pour effectuer ces calculs de la chaleur spécifique du platine, de la loi d'accroissement de cette chaleur spécifique avec la température, enfin de la chaleur latente de fusion du platine.

Es werden hier also drei Berechnungselemente mitgetheilt; der Favre'schen Verbindungswärme, welche erforderlich ist, um den Einfluss des zerlegten Wasserdampfes in Rechnung zu bringen, wird aber gar nicht erwähnt. Umsonst suchte ich nach einer ausführlichen Beschreibung dieses Versuches in den verschiedenen Zeitschriften. So kam ich dazu zu sagen, dafs diese Correction nicht in Rechnung gezogen zu seyn scheine. Deville sagt (C. R. p. 66) l'auteur se servant des idées, que j'ai introduites dans la science sans en indiquer toujours l'origine. Ich vermag nicht einzusehen, worauf dieses sich beziehen kann. Aus dem von Deville auf

p. 68 der C. R. und in der nachfolgenden Note Mitgetheilten muss ich schliefsen, dass Deville meine Meinung nicht ganz richtig aufgefafst hat. Es hat Deville experimentell nachgewiesen, dafs die Temperatur der Flamme öfters unter der berechneten liegt, dafs bei diesen Verbrennungen ein Theil unverbunden zurückbleibt, und zwar desto mehr, je heisser die betreffende Stelle der Flamme ist, dafs einige Gase, beim Durchstreichen glühender Röhren, theilweise zerlegt werden usw. Das directe Resultat dieser interessanten Versuche läfst sich wohl nicht bezweifeln.

Zur Erklärung dieser Versuche nehme ich mit Deville an, dafs alle Körper bei hinreichender Erhitzung zerlegt werden. Entweder findet nun diese Zerlegung statt bei einer Temperatur, welche mit dem Drucke veränderlich seyn mag, sonst aber für jeden Körper constant ist, oder die Zersetzung ändert sich mit der Temperatur, infolge dessen eine partielle Zerlegung zwischen zwei bestimmten Temperaturen stattfindet, während bei niederer keine, bei höherer totale Zerlegung eintritt. Diefs ist die Ansicht Deville's; er nennt die Körper, wenn sie sich zwischen den zwei obengenannten Temperaturen befinden, im Dissociationszustande. Ich versuchte zu zeigen, dass die erste Annahme, welche die älteste ist und mir viel einfacher erscheint, zur Erklärung der beobachteten Erscheinungen hinreicht, falls die bekannten Wärmewirkungen, deren Einfluss nicht vernachlässigt werden darf, in Rechnung gezogen werden. Dafs diese constante Temperatur sich mit dem Drucke ändere, habe ich damals einen möglichen, aber bis jetzt unbewiesenen Satz genannt. Seitdem ist er von Debray für kohlensauren Kalk strenge bewiesen worden. Bei Deville ist die partielle Zerlegung eine Function der Temperatur; eine Function des Druck es kann sie wohl nicht seyn, da bei Wasserdampf, Salzsäure und Koblenoxyd, eine partielle Zerlegung stattfindet, und beim ersten Körper der Druck mit der Zerlegung steigt, bei dem zweiten der nämliche bleibt und beim dritten abnimmt.

Man hat also zur Erklärung dieser Ercheinungen die

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