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weshalb auch von vornherein desto mehr Aetherschwefelsäure entsteht, je weniger Wasser zugegen ist.

Durch fortwährende Wegnahme des Wassers und Zufuhr von Alkohol mufs sich die Reaction nach der einen, durch Zufuhr von Wasser und Wegnahme von Alkohol nach der andern Richtung vollenden. Bei einem bestimmten Mengenverhältnisse der ursprünglichen Reagentien mufs es von der Temperatur abhängen, ob das Gleichgewicht zwischen den entgegengesetzten Reaktionen bei mehr oder bei weniger weit vorgeschrittener Zersetzung eintritt. Es mufs daher auch einen Temperaturgrad geben, bei dem die Reaction der Schwefelsäure auf den Alkohol noch gar nicht begonnen hat, wo nämlich die innere Bewegung der Moleküle selbst bei jenen, wo sie am gröfsten ist, noch nicht hinreicht, auch mit Unterstützung der Affinität, die Umsetzung zu bewirken. Wie tief dieser Temperaturgrad liegt, ist noch unbekannt; der Umstand aber, dass verdünnte Schwefelsäure erst beim Erwärmen Aetherschwefelsäure bildet, läfst vermuthen, dafs er nicht sehr tief gelegen sey.

Bei der zweiten Reaction zwischen dem Alkohol und der Aetherschwefelsäure kehren dieselben Verhältnisse wieder. Aether und Schwefelsäure geben rückwärts Aetherschwefelsäure und Alkohol. Es mufs daher auch hier, wenn man den Aether sich nicht entfernen läfst, die Umsetzung bei einem gewissen Gleichgewichtszustande stehen bleiben, wo beide entgegengesetzte Reactionen in gleicher Häufigkeit neben einander vor sich gehen.

Da nun aber sowohl das Wasser als auch der Aether bei der Darstellung des letzteren durch Destillation fortwährend entfernt werden, so müssen beide Processe nach der einen Richtung hin sich vollenden, da in beiden die der Aetherbildung günstigen Reactionen das Uebergewicht bekommen über die reciproken Reactionen. Würden nun diese Processe bei jeder Temperatur vor sich gehen, so müsste auch bei jeder Temperatur, welche überhaupt genügt, den Aether und das Wasser durch Destillation zu entfernen, Aether gebildet werden, Diefs geschieht aber

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nicht, denn unter 126° C. destillirt nur Alkohol ab; es kann also mindestens die zweite Reaction noch nicht begonnen haben. Diefs eine Beispiel genüge für viele andere, die sich zur Unterstützung der Behauptung anführen liefsen, dass die (partielle) Zersetzung (der Austausch) an eine gewisse Höhe der Temperatur gebunden ist.

Ich glaube nun das Verhältnifs der von mir vorgeschlagenen Hypothese zu der Williamson'schen Austauschungshypothese hinreichend erörtert zu haben.

Die Annahme, dafs die Atome sich im Zustande der Ruhe befinden, wurde zuerst von Physikern bekämpft. Ihren Arbeiten wurde aber lange Zeit hindurch keine Aufmerksamkeit geschenkt, ja sie wurden fast vergessen. Williamson ist, so viel ich weifs, der erste Chemiker der, unabhängig von physikalischen Argumenten, gestützt auf rein chemische Thatsachen, die Annahme ruhender Atome verwarf. Seine geniale Theorie der Aetherbildung wurde angenommen, aber die gleichzeitig gegebene, ungleich wichtigere Darlegung der Hypothese über den fortwährenden Austausch der Elemente blieb fast unbeachtet.

Die epochemachenden Abhandlungen von Krönig und insbesondere die von Clausius beseitigten die Annahme ruhender Atome für immer. Die siegreichen Fortschritte der mechanischen Wärmetheorie mufsten bald die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich lenken und zu Versuchen einladen, die äusserst fruchtbaren Hypothesen dieser neuen Lehre zur Erklärung bisher unenträthselter chemischer Erscheinungen in Anwendung zu bringen. Die vorliegende Arbeit ist ein solcher Versuch. Von der Theorie der Verdampfung, welche Clausius aufstellte, ausgehend, versuchte ich zuerst die Erklärung der Dissociation; die Verallgemeinerung dieser Erklärungsweise gab den Uebergang zur Behandlung der reciproken Reactionen und der Massenwirkung. Recht deutlich geht aus meinen Betrachtungen hervor, dass die Theorie der Gase von Krönig noch nicht genügen kann,

und dafs die complicirtere Theorie von Clausius durchaus nothwendig ist.

Höchst interessant war mir die im 101. Bande dieser Annalen enthaltene Abhandlung von Clausius: »Ueber die Elektricitätsleitung in Elektrolyten«, in welcher zur Erklärung der Thatsache, dafs schon ganz geringe Ströme eine Zersetzung bewirken, die Annahme gefordert wird, dass die Theile schon zuvor in einer partiellen Umsetzung begriffen seyen. Clausius beruft sich hierbei auf Williamson's Abhandlung. Mir scheint nun, dafs meine Erklärungsweise noch besser mit dieser Theorie der Elektrolyse übereinstimme. Dafs das Leitungsvermögen der Flüssigkeiten mit der Temperatur zunimmt, könnte im Zusammenhange stehen mit ihrer steigenden Dissociation. Solche, die gar nicht leiten, würden dann bei der gegebenen Temperatur noch gar nicht in Dissociation begriffen seyn. Doch sind das nur Vermuthungen.

Ich werde in Bälde diese Abhandlungen fortsetzen und zunächst einige Ideen über die Constitution der Mischungen und Lösungen mittheilen, welche mit dem behandelten Gegenstande im Zusammenhange stehen.

Zusatz zur Anmerkung S. 62.

Wenn bei gasförmigen Körpern die Moleküle durch grössern Druck einander mehr genähert werden, so müssen sie sich öfter begegnen. In Folge dessen werden die auf partieller Zersetzung beruhenden Reactionen unter übrigens gleichen Umständen schneller einen Gleichgewichtszustand oder ihr Ende erreichen. Die Dissociation der Dämpfe kann, wie mir scheint, bei geringerm Drucke weiter fortschreiten, bis das Gleichgewicht eingetreten ist, als bei gröfseren, weil die Anzahl der Zersetzungen gleich grofs bleibt, die der Verbindungen im ersten Falle sich mindert, im zweiten Falle sich steigert. Man wird daher bei den Dampfdichtebestimmungen nach Gay-Lussac, wenn der Dampf bereits im Stadium der Dissociation getreten ist, durch eine Verringerung des Druckes die Dissociation (also den Fehler der Molekularbestimmung) ebenso (wenn auch weniger stark) vergrössern, wie durch Erhöhung der Temperatur. Nur dann, wenn man durch die Erniedrigung des Druckes es ermöglicht, die Bestimmung der Dichte bei einer so niedrigen Temperatur vorzunehmen, bei welcher die Dissociation noch gar nicht eingetreten ist, wird man durch diesen Kunstgriff einen Fehler vermeiden können.

IV. Ueber das Verhalten des Rhodankaliums gegen die Salze des Quecksilbers; von Dr. Julius Philipp.

Seit den ersten Untersuchungen von Porret und v. Grot

huss über die Schwefelcyanwasserstoffsäure und ihre Verbindungen mit Metalloxyden sind von den verschiedensten Beobachtern auch die Verbindungen des Schwefelcyan's mit dem Quecksilber beschrieben worden. Jedoch weichen diese Angaben so sehr von einander ab, dafs es wohl der Mühe werth schien, noch einmal das Verhalten des Schwefelcyankaliums gegen Quecksilbersalze einer näheren Untersuchung zu unterwerfen. Bevor ich die während einiger Zeit unterbrochene Arbeit vollendet hatte, war von Hermes eine Arbeit über die Rhodanwasserstoffsäure veröffentlicht1) und in derselben auch speciell der Quecksilberverbindung Erwähnung gethan. Ich habe jedoch geglaubt, deswegen mit meiner Arbeit nicht zurückhalten zu dürfen, da ich einige neue Beobachtungen noch hinzuzufügen in der Lage bin. Am meisten verwirrt sind die bisherigen Angaben über das Quecksilberrhodanür, wie überhaupt über das Verhalten von Schwefelcyankalium gegen eine Lösung von salpetersaurem Quecksilberoxydul. v. Grothuss") erhielt einen weifsflockigen Niederschlag und giebt eigenthümlicherweise an, dafs derselbe nur entstehe, wenn das Quecksilber als Oxydul in der Lösung befindlich sey. Berzelius3) hat den so nahe liegenden Gedanken, Schwefelcyanquecksilber auf nassem Wege durch gegenseitige Zersetzung der Lösungen von Schwefelcyankalium und Quecksilberverbindungen darzustellen, nicht benutzt, sondern versucht, namentlich das Quecksilberrhodanür auf Umwegen zu erhalten und

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1) Journ. f. pract. Chemie. Bd. XCVII, S. 465.
2) Schweigger's Journ. Bd. 20, S. 241.
3) Schweigger's Journ. Bd. 31, S. 42.

ist dabei zu eigenthümlichen Resultaten gelangt. Es ist wenigstens nicht klar, wie durch Kochen einer Lösung von Quecksilberrhodanid mit Quecksilberoxyd oder durch Erhitzen eines Gemenges von Schwefel mit Quecksilbercyanid, bis die aufgeblähte schwarze, graphitähnliche Masse nach der Verflüchtigung von etwas Schwefelquecksilber gelb geworden ist, Quecksilberrhodanür entstehen soll. Wöhler') hat durch Vermischung der Lösungen von Rhodankalium und salpetersaurem Quecksilberoxydul einen weissen Niederschlag erhalten, giebt jedoch nicht seine Zusammensetzung an. Er hat zugleich zuerst auf die sonderbare Eigenschaft des Niederschlags, beim Erhitzen die bekannten, wurmartigen Gestalten zu liefern, aufmerksam gemacht, die in neuester Zeit vielfach als Spielerei benutzt wurde. Am genauesten hat Claus) das Verhalten von Rhodankalium gegen salpetersaures Quecksilberoxydul untersucht und ist der Wahrheit am nächsten gekommen, indem er angiebt, dafs ein weisser Niederschlag nur bei Anwendung verdünnter Lösungen entsteht, während beim Zusammenbringen von concentrirten Lösungen metallisches Quecksilber ausgeschieden und Quecksilberrhodanid gebildet wird. Hermes) endlich läugnet wieder vollständig die Existenz des Rhodanür's und behauptet, stets nur einen schwarzen Niederschlag erhalten zu haben. Ich glaube, in Folgendem einen Beitrag zur Lösung dieser Frage geben zu können. Was die übrigen hierher gehörenden Verbindungen betrifft, so ist es vor allen Dingen sonderbar, dafs eine so einfache charakteristische Reaction wie die des Rhodankaliums gegen eine Lösung von salpetersaurem Quecksilberoxyd so lange unentdeckt bleiben konnte. Hermes hat in seiner Arbeit zuerst den entstehenden weifsen Niederschlag beschrieben, nachdem derselbe jedoch im Handel unter dem Namen » Pharaoschlangen« schon überall verbreitet war. Berzelius hat das Quecksilberrhodanid nicht auf diesem Wege, sondern durch Behandlung von

1) Gilbert's Annalen Bd. 69, S. 272,

2) Journ. f. pract. Chemie Bd. 15, S. 401. 3) In der oben erwähnten Abhandlung.

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