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sehr merklich; aber dass er in vielen Stellen ganz unverkennbar ist, mögen folgende Verse beweisen, die man selbst unter bestimmte Abtheilungen bringen kann. Wir wollen zuerst den Ausdruck des Rauschenden kennen lernen.

Rauhtönend und getösenachahmend.

Wie furchtbar im Gewitter ein Donner Gebirg' in's Thal stürzt.

Rausche daher mit Gebrüll, Sturmwind! und heul' im Gebirgstrom.

Wenn auch, wie es ihm däucht, schon über ihm schallen die dumpfen,

Losgeschaufelten, niedergeschmetterten Erdeklumpen.

Krachte, wie im Gebürg' Erdbeben dumpfes Getös wälzt.

Alle diese Verse scheinen den Ton des Schalls, von dem die Rede ist, nachzuahmen. In dem ersten hörte man das Getöse des Donners, und den langsamhinstürzenden Berg; in dem zweiten das dumpfe Rauschen des Sturmwindes; in dem dritten ist das Gepolter, das die auf den Sarg geworfenen Erdschollen machen, nicht zu verkennen; in dem vierten aber bemerkt man das langsame Fortbewegen des Schalles. Ein ähnlicher Ausdruck ist in den Versen Virgils:

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Ardua terrarum et campi; ruit aethere toto

Turbidus imber aqua, densisque nigerrimus Austris.

Monstrum, horrendum, informe, ingens, eui lumen ademtum.

Wie oft ist nicht in den ersten vier Versen das r angebracht, um das Rauschen des Donners und des Platzregens zu bezeichnen! In dem letzten fühlt man hingegen das fürchterliche und langsame Fortbewegen einer so grossen Maschine, wie Polyphem ist.

Ganz verschieden von diesen sind die folgenden Verse, die man mit Recht unter eine andre Rubrik bringen kann.

Melodisch und Musik oder sanftes Geräusch nachahmend.

Ille ego, qui quondam gracili modulatus avena

Carmen; etc.

Dieser Vers hat eine ganz eigne Musik, und wenn man im Anfang den singenden Ton der Leier gehört hat, so hört man am Ende deutlich den Ton der Flöte. Ich wüsste in der ganzen Messiade und Iliade keinen, der ihm an Melodie gleich käme; aber er ist auch der einzige in der ganzen Aeneide, und man müsste dem vielleicht Dank wissen, der unter allen lateinischen Hexametern, die wir haben, noch einen ähnlichen auffände. Es ist zu bedauern, dass dieser Vers nicht ganz erwiesen dem Virgil gehört, da er mit den drei folgenden seiner vollkommen würdig wäre, und ein schönes Motto zur Aeneide ausmacht.

Der ihm im Deutschen am nächsten kommt, ist vielleicht der folgende:

Leiser ertönet der Liebenden Klagelaut in der Mondnacht;

doch kann er sich in Melodie mit jenem nicht messen. Und wer ihn vollends so scandiren wollte, dass er aus Klagelaut einen Dactylus (-), und dann gleichsam einen jonischen Ausgang ( machte, der würde seine Schönheit ganz verderben.

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Die süssen Kinderstimmen, das Weinende, das Zärtliche ist in den ersten Versen nicht zu verkennen, so wie man in dem letzten das Rauhe und die Gewalt fühlt, mit der sie zum Orcus hingerissen sind. Kinder können das r noch nicht aussprechen, und bei ihrem Weinen hört man es selten; wie sorgfältig ist es also anfangs vermieden, und wie oft hört man es zuletzt! Der Ausdruck in dieser schönen Stelle hat gewiss nicht dem Ohngefähr seinen Ursprung zu verdanken, und der grosse Dichter arbeitete sicher das Lebendige darin mit vielem Fleiss aus.

Selbst Klopstok scheint sie einer besondern Aufmerksamkeit gewürdigt zu haben; denn in der Messiade sind zwei Stellen, die eine merkliche Ähnlichkeit mit dieser haben. Die erste heisst:

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Melodien, der süssesten Wonne Gespielinnen, stiegen
Itzt mit dem Lispel empor der Engelharfen; denn erdios
Kamen vom Ganges, vom Rheine, von Niagara und Nilus
An den Cedern einher auf Tabor, Seelen der Kinder.

Das süssmelodische in dem ersten Verse, und das Volltönende in den folgenden kann wohl selbst dem ungeübtesten Ohre nicht entgehen. Man weiss nicht, welchem von beiden Sängern man den Preis zuerkennen soll. Die Kinder beim Virgil weinen, bei Klopstok singen sie in die, Harfen der Engel. Beides ist gleich schön, gleich unnachahmlich ausgedrückt. Aber weil das Nachahmen der Musik schöner ist, als das Nachahmen des Weinens, so trägt Klopstok wenigstens in dem ersten Verse den Preis davon, sollte auch im Ganzen die Stelle Virgils vorzüglicher seyn.

Übrigens findet man in diesen beiden Stellen die feinste Politur, und sie lassen fast nichts zu wün

schen übrig. Bei Nachahmung der Kinderstimmen

ist nicht allein alles Rauhe und Schwertönende vermieden, sondern auch die den Kindern eigne Laute sind wiederholt angebracht; z. B. der Buchstabe i, der den Kindern so leicht und gewöhnlich ist, wird oft und deutlich darin gehört, und scheint von den Dichtern recht mit Fleiss angebracht zu seyn. Der Effect, den dies alles macht, ist noch stärker, wenn man sie im Zusammenhange liest, wo einige rauhtönende Hexameter vorhergehien:

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Occupat Aeneas aditum, custode sepulto;
Evaditque celer ripam irremeabilis undae.
Continuo auditae voces, vag us et ingens,
Infantumque animae flentès in limine primo?

Bei dem deutschen Dichter ist es ebenso:

Lange hallt' es den Hochverräthern der Menschlichkeit nach,

dumpf,

Weit hallt's nach, voll Entsetzens nach in die Klüfte Gehenna's.
Melodien, der süssesten Wonne Gespielinnen, stiegen
Itzt mit dem Lispel empor der Engelharfen.

Die zweite ähnliche Stelle in der Messiade heisst:

Auch die Seelen, die zarten, nur sprossenden Körpern ent

flohen,

Sammelten sich um den Seraph herum. Sie flohen mit Weinen,
Mit der Kindheit zärtlichem Weinen. Ihr schüchternes Auge
Hatte die Oberfläche der Erde kaum staunend erblicket.

Diese vier Verse fliessen, ohne lebendigen Ausdruk zu haben, ruhig fort, und in dieser Rücksicht stehen sie den lateinischen nach. Aber an schönen Ausdrücken und Gedanken kommen sie ihnen wenigstens gleich.

Virgil hat noch einen Vers, der das Weinende ausdrückt, so wie auch Klopstok. Hier sind sie

beide:

Ille etiam lauri, illum etiam flevere myricae.

Welche, wie fernherweinende Stimmen, klagend ins Thal floss.

In diesen beiden Versen aber ist der lebendige Ausdruck des ersten merkbarer..

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