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SITZUNG AM 9. JANUAR 1875.

Carl Neumann, Das Weber'sche Gesetz in seiner Anwendung auf Gleitstellen.

Enthält die Bahn des elektrischen Stromes zwei lineare Leiter, welche in einem gewissen Punct einander berühren und vermöge dieses Berührungspunctes elektrisch leitend miteinander zusammenhängen, so sind bei einer Bewegung der betrachteten Strombahn verschiedene Fälle denkbar: Der Berührungspunct wird entweder nur auf dem einen oder gleichzeitig auf beiden Leitern sich verschieben; ferner wird der von den beiden Leitern im Berührungspunct gebildete Winkel entweder constant bleiben oder von Augenblick zu Augenblick sich ändern. Von all' diesen Fällen ist bisher nur ein einziger betrachtet worden. Denn bei den Weber'schen Untersuchungen und dies sind die einzigen, welche hierüber bis jetzt vorliegen - ist vorausgesetzt, dass erstens der Berührungspunct nur auf dem einen Leiter sich verschiebe, und zweitens, dass jener Winkel beständig Null bleibe.

Ich werde nun im Folgenden diese Untersuchungen von Neuem aufnehmen, und nachweisen, dass das Weber'sche Gesetz in allen Fällen mögen die Berührungs- oder Gleitpuncte diesen oder jenen Charakter besitzen-mit dem elektromotorischen Integralgesetz d. i. mit dem von meinem Vater aufgestellten allgemeinen Princip der inducirten Ströme in vollem Einklang steht. Dieses Integralgesetz gilt bekanntlich nur für gleichförmige Ströme); ich habe daher dieselbe Beschränkung auch bei meinen Untersuchungen eintreten lassen.

*) Den in einem linearen Ringe vorhandenen elektrischen Strom nenne ich ungleichförmig, falls seine Stärke von Zeit und Stelle abhängt; ich nenne ihn gleichförmig, falls seine Stärke nur von der Zeit abhängt; und ich nenne ihn endlich constant, wenn seine Stärke weder von der Zeit, noch auch von der Stelle abhängig ist. Dieser Bezeichnungen bediene ich mich auch dann, wenn der Ring Gleitstellen besitzt.

Math.-phys. Classe. 1875.

Die Voraussetzungen, welche, abgesehen vom Weber'schen Gesetz, meinen Untersuchungen zu Grunde lagen, sind folgende:

Erste Voraussetzung). — Bei einem elektrischen Strom bewegen sich stets gleiche Quanta positiver und negativer Elektricität mit gleichen Geschwindigkeiten in entgegengesetzten Richtungen.

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Zweite Voraussetzung **). In einem homogenen Leiter ist die Dichtigkeit E der strömenden resp. strömungsfähigen Elektricität nicht nur ein und dieselbe für beide Elektricitäten, sondern auch ein und dieselbe an allen Stellen und zu allen Zeiten, mithin eine der Substanz des Leiters eigenthümliche Constante.

Dritte Voraussetzung Sind e und e die in einem Leiterelement enthaltenen Massen strömender resp. strömungsfähiger Elektricität, und wirken auf diese Massen in gegebener Richtung zwei Kräfte ein: R und Re, so ist die ponderomotorische Wirkung dieser Kräfte

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§ 1. Vorbereitende Bemerkungen.

Als Bahn eines elektrischen Stromes sei ein Ring gegeben, welcher gebildet ist aus beliebig vielen in beliebigen Bewegungen begriffenen linearen Leitern:

41, 42, 43,

der Art, dass je zwei aufeinanderfolgende unter irgend welchem Winkel übereinanderliegen, leitend mit einander verbunden durch ihren Berührungs- oder Gleitpunct. Auch mag während der Bewegung die Gestalt der einzelnen Leiter sich ändern; so z. B. sei etwa einer derselben ein Kreisbogen von wachsendem Radius, u. drgl.

*) Diese Voraussetzung ist schon früher von mir besprochen worden bei einer näheren Untersuchung über die Kirchhoff" schen Differentialgleichungen. Vrgl. die Abh. d. Kgl. Sächs. Ges. 1874, pg. 129.

**) 1. c. pg. 132.

1. c. pg. 142.

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Die Leiter 41, 42, 43, repräsentiren zusammengenommen ein Polygon mit verlängerten Seiten. Das Polygon selber ohne diese Verlängerungen repräsentirt den eigentlichen Stromring, die Bahn des elektrischen Stromes. Wir wollen unter der Umlaufsrichtung des Ringes diejenige verstehen, welche durch die Reihenfolge 41, 42, 43, ... indicirt ist, und in dieser Richtung die Bogenlängen auf den einzelnen Leitern gerechnet denken: σ, auf Дr, σ2 auf 2, u. s. w., und zwar von irgend welchen Marken die auf den einzelnen Leitern eingravirt sind.

dr

dt

aus,

dt

Legen wir von einem Puncte O aus Strahlen*) nach den einzelnen Puncten des Ringes, und bezeichnen wir die Länge eines solchen Strahles mit r, so wird r längs des Ringes stetig, dr aber unstetig sein. Denn es repräsentirt diejenige Geschwindigkeit, mit welcher O und der betreffende ponderable Massenpunct des Ringes von einander sich entfernen. Ist also z. B. O und 4, in Ruhe, hingegen 42 in Bewegung, so wird dr für die Puncte von 4 Null sein, für die Puncte von 42 aber gewisse Werthe besitzen.

dt

Um diese Unstetigkeiten näher zu untersuchen, wollen wir zwei Puncte L1 und L2 uns denken, welche respective auf 4, und 42 in beliebigen Bewegungen begriffen sind, und gleichzeitig die Configuration des ganzen aus 0, 41, 42, 43, bestehenden Systems uns abhängig denken von einem einzigen mit der Zeit sich ändernden Parameter p. Für die Entfernungen OL1 und r2 OL2 gelten alsdann die Formeln:

Τ

=

(1.)

=

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..

wo σ, die Bogenlänge von L1 auf 1, und σ2 diejenige von L auf 2 bezeichnet. Lassen wir nun L1 mit L2 zusammenfallen, nehmen wir also für L1 und L2 den gegenseitigen Berührungsoder Gleitpunct von 1, 42, so wird r1 =r1⁄2 und dr

dra

d. i.

dt

" dt

und

*) Dieser Punct O mag im Raume eine beliebige Lage haben, mag sogar (der grössern Allgemeinheit willen), ebenso wie der Ring selber, eine beliebige Bewegung besitzen.

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Hier repräsentirt do1, je nachdem es positiv oder negativ ist, im erstern Fall ein während der Zeit dt in den Ring eintretendes Element, im letztern Fall ein während dieser Zeit aus dem Ringe ausscheidendes Element. Umgekehrt verhält es sich, wie man leicht erkennt), mit do2. Um eine bessere Uebereinstimmung herbeizuführen, setzen wir

In beistehender Figur sei 4 durch a1 b1, 42 durch ag b2 dargestellt; zugleich seien a1 und a2 die auf den Leitern eingravirten Marken, von welchen aus die Bogenlängen σ, resp. 02 gerechnet werden. Diese Bogenlängen sind, nach unserer Festsetzung, zu rechnen in der durch A1, A2, A3, . . . . indicirten Umlaufsrichtung, also zu rechnen im Sinne der in der Figur angegebenen Pfeile. Der grössern Deutlichkeit willen sind übrigens solche Theile der beiden Leiter, welche augenblicklich im Ringe sich befinden, durch volle Linien, solche hingegen, welche augenblicklich ausserhalb des Ringes sich befinden, durch punctirte Linien angegeben. Die Figur repräsentirt den Augenblick ₺, in welchem der Gleitpunct auf die Bogenlänge σ und auf 1⁄2 die Bogenlänge σ2 besitzt. Im nächstfolgenden Augenblick + dt wird derselbe andere Bogenlängen be

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sitzen, welche zu bezeichnen sind mit σ + dỡ, und σ2 + dog.

Sind nun, wie in der Figur vorausgesetzt ist, dσ und dơ1⁄2 positiv, so wird das Element do, während der Zeit dt aus dem punctirten in den vollen

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Denn alsdann repräsentirt sowohl 4σ als auch σ1⁄2 bei positivem Werth ein eintretendes, und bei negativem Werth ein ausscheidendes Element. Oder einfacher und genauer ausgedrückt:

(5.)

Jedes 4o bezeichnet, falls es positiv ist, die mit (+1) multiplicirte Länge eines eintretenden Elements, und falls es negativ ist, die mit (-1) multiplicirte Länge eines ausscheidenden Elementes.

Durch Substitution von (4.) in (3.) erhalten wir die mehr symmetrische Formel:

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und diese Relation giebt Aufschluss über die genannten Unstetigkeiten. Nehmen wir nämlich statt L1 und L2 gegenwärtig zwei an der Gleitstelle gelegene ponderable Massenpuncte M1 und M2 (selbstverständlich M1 zu 4, und M2 zu 4, gehörig), und setzen wir wiederum OM1 =r1 und OM2 =12, so erhalten wir statt der Formeln (1.) folgende:

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Die Relation (6.) enthält aber auf ihrer linken Seite die Differenz dieser beiden Geschwindigkeiten (7.), und kann also dienen, um ihren Unterschied näher zu bestimmen.

Für gewisse Zwecke wird es angemessen sein, der Relation (6.) noch eine etwas andere Form zu geben. Es sei v die räumliche Geschwindigkeit von O, ebenso seien v1 und v die räumlichen Geschwindigkeiten der ponderablen Massenpuncte M1 und M2, endlich seien u, u, u die Componenten von v, v1, v2 nach der Linie r (M1 M1⁄2 O). Alsdann sind die

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Zustand, hingegen dø aus dem vollen Zustand in den punctirten übergehen. Mit andern Worten: do wird ein eintretendes, und do1⁄2 ein ausscheidendes Element sein.

Haben hingegen dø, und dσ negative Werthe, so ist, wie man leicht erkennt, das Verhalten das Umgekehrte. Denn alsdann liegt z. B. in unserer Figur der Punct (σ + do1) links vom Puncte (o), und der Punct (σ1⁄2 + dσ2) unterhalb (02). Es wird daher in diesem Fall dσ ein ausscheidendes, und do2 ein eintretendes Element sein.

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