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EINFÜHRUNG IN DAS STUDIUM

DER

THEORETISCHEN PHYSIK

INSBESONDERE IN DAS DER

ANALYTISCHEN MECHANIK

MIT EINER EINLEITUNG IN DIE

THEORIE DER PHYSIKALISCHEN ERKENNTNISS.

VORLESUNGEN

VON

DR. P. VOLKMANN

0. Ö. PROFESSOR DER THEORETISCHEN PHYSIK AN DER UNIVERSITÄT KÖNIGSBERG I. PR.

F

LEIPZIG,

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.

1900.

ALLE RECHTE,

EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.

Vorwort.

Seit Lagrange ist man gewöhnt, die analytische Mechanik als ein in sich geschlossenes System darzustellen, welches, aufgeführt auf gewissen Grundlagen nach Art eines mathematischen Systems, gestattet, aus diesen Grundlagen die Fülle der physikalischen Erscheinungen deductiv abzuleiten, die in das Gebiet der Mechanik fallen. Derartige von vorneherein in sich geschlossene Darstellungen der Mechanik, wie sie insbesondere von Mathematikern bevorzugt zu werden pflegen, haben gewiss ihren Reiz und selbstverständlich auch ihre Bedeutung für die weitere Entwickelung der Disciplin, aber sie erscheinen wenig geeignet in das Studium der theoretischen Physik einzuführen.

Von ihnen gilt das, was Hertz in der Einleitung zu seinen Principien der Mechanik S. 8 ausführt, wenn er von der Erfahrung spricht, „dass es sehr schwer ist, gerade die Einleitung in die Mechanik denkenden Zuhörern vorzutragen ohne einige Verlegenheit, ohne das Gefühl, sich hier und da entschuldigen zu müssen, ohne den Wunsch, recht schnell über die Anfänge hinwegzugelangen". Ich kann aber darin Hertz nicht zustimmen, wenn er glaubt diese Schwierigkeit bereits der von Newton inaugurirten Darstellung der Mechanik Schuld geben zu müssen. Meine Darstellung knüpft im Grossen und Ganzen an den von Newton in seinen Principien entwickelten Gedankengang an, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass ich gerade durch Anschluss an Newton's Principien jene von Hertz erwähnte Verlegenheit in meinen Vorlesungen nicht aufkommen lasse. Meines Dafürhaltens - und ich kann hier hervorragende Gewährsmänner anführen, die auf demselben Standpunkt stehen: Lord Kelvin (W. Thomson) und Helmholtz bieten Newton's Principien gerade für die Einführung noch immer das unerreichte Muster, und es haben in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nur eine Reihe

zufälliger Umstände in erster Linie eine mangelhafte Uebersetzung bedingt, dass man gerade zu der Einleitung von Newton's Principien nicht den Standpunkt gefunden hat, von dem aus die

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Principien geschrieben sind, und von dem aus sie gerade für die gegenwärtige auf Erkenntnisskritik gerichtete Forschung so anregend und förderlich sein könnten.

Keine Behandlung der Mechanik, wie die Newton's, ist so sehr geeignet die Grundlagen der Mechanik klarzustellen und auf ihre wahren Quellen zurückzuleiten. Sucht man diese Behandlung consequent auszugestalten, dann können kaum Zweifel und Unklarheiten entstehen wie sie z. B. Kirchhoff in der Vorrede zu seiner Mechanik hervorgehoben, „ob der Satz von der Trägheit und der Satz vom Parallelogramm der Kräfte anzusehen sind als Resultate der Erfahrung, als Axiome oder als Sätze, die logisch bewiesen werden können und bewiesen werden müssen".

Wenn ich mit wenig Worten die durch Newton gegebene Darstellung der Grundlagen der Mechanik charakterisiren soll, dann möchte ich sie dahin zeichnen, dass ihr Werth und ihre Festigkeit mehr auf einer gegenseitigen Stützung und rückwirkenden Versicherung der einzelnen Theile des Systems beruht, als auf einer einseitigen Aufführung auf ein von vorneherein so zu sagen gegebenes oder als gegeben angenommenes Fundament. Diese Sicherung durch rückwirkende Verfestigung der Theile des Systems gegeneinander erscheint das einzig Angemessene unter sorgfältiger Rücksicht auf die hier gegebenen, tiefer liegenden erkenntnisstheoretischen Bedingungen und Verhältnisse. Die Schilderung und Charakteristik der elektrischen Theorie von Maxwell, wie sie uns Hertz in seinem bekannten Vortrag über die Beziehungen zwischen Licht und Elektricität" (Hertz, Werke, Bd. I, S. 346) entworfen hat, lässt sich hier ziemlich genau auf die durch Newton gegebene Darstellung der Mechanik übertragen. Wenn ich die Vorlesungen von F. Neumann, „ „Einleitung in die theoretische Physik" richtig verstanden habe, bildet bei ihnen der Grundsatz der rückversichernden Verfestigung gleichfalls das Leitmotiv der Darstellung.

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Eine solche im Anschluss an Newton und mit Rücksicht auf die Entwickelung der Mechanik bis auf die Gegenwart entworfene Darstellung hat nun aber nicht nur für eine Einführung in das Studium der theoretischen Physik ihren Werth, sondern darüber hinaus für die Aufdeckung der wahren Quellen unserer Erkenntniss, welche kennen zu lernen von grossem Interesse ist und auch die weitere Forschung befruchten dürfte. Diese wahren Quellen der Erkenntniss sind nicht nur in der Natur der Objecte der Forschung begründet, sondern auch in der Natur des Subjects, welches die

Forschung anstellt -vor Allem in der Natur der Sinneswerkzeuge mit ihren Grenzen und Schranken. Verhältnisse, die ebensowohl durch das Object der Forschung wie durch das Subject, das die Forschung anstellt, bedingt sind, verlieren aber dadurch an Klarheit und Uebersicht, dass man die in der Sache berechtigten und thatsächlich vorhandenen Beziehungen zum Subject verschweigt oder verleugnen will. Darin scheint mir naturwissenschaftlich betrachtet der Mangel jener mathematischen Darstellungen der Mechanik seit Lagrange zu liegen, dass sie die in der Natur der Sache liegenden subjectiven Elemente der Forschung ignoriren, ein Verfahren, das ich hier mit dem Wort Objectivirung bezeichnen möchte ein Begriff, der nicht mit der Objectivität zu verwechseln sein wird, die immer höchstes Ziel und Zierde der Forschung bleibt, und die ich für den Augenblick einmal jener Objectivirung gegenüber stellen möchte.

Gewiss kann man in der geschichtlichen Entwickelung der physikalischen Forschung eine ganze Reihe subjectiver Momente aufdecken, die vielleicht vorübergehend sich als förderlich erwiesen haben mögen, deren Ausschaltung aber doch der weitere Fortschritt bedingte. Es sind das Elemente, die der Natur des menschlichen Lebens und Wirkens entnommen auf die Deutung der anorganischen Natur übertragen wurden und doch nicht übertragen werden durften. Es ist das die Auffassung der Physik, die ich hier als anthropomorph im weiteren Sinne bezeichnen möchte, die Auffassung von der Natur, die im Alterthum ihren Ausgangspunkt nimmt und noch in manchen Bezeichnungen ihre Spuren hinterlassen hat hierher gehört die Bezeichnung Kraft.

Dagegen dürften zumal in einer Einführung in das Studium der allgemeinen Physik die subjectiven Elemente nicht einfach übergangen werden, auf denen fortgesetzt die physikalische Forschung beruht hat und noch weiter beruhen wird: die menschlichen Sinne mit ihrer Natur und Beschränktheit diese Eingangspforten der Erkenntniss (W. Thomson). Jede Darstellung einer wissenschaftlichen Disciplin will doch in erster Linie zur Forschung weiter anregen, und so dürfen die Elemente nicht ignorirt werden, durch welche nun einmal der weitere Fortschritt mit bedingt erscheint.

Nehmen wir diese subjectiven Beziehungen unserer Sinne zum äusseren Object, der Natur, der Wirklichkeit in unsere Darstellung auf, so werden wir ja natürlich auch eine solche Darstellung bis zu einem gewissen Grade als anthropomorph. wir wollen sagen im

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