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Jahre besser glücken, auch selbst Deiner äusseren Lage wegen, denn Du wirst Dich bald überzeugen, dass man selbst, so lange man nur zu zweien ist, mit Deinem Gehalte in dem Lebenskreise, in welchem Du Dich mit Deiner Frau befindest, noch sehr beschränkt ist, und um Praxis willst Du Dich ja nicht bemühen, da die freilich das einträglichste, aber, das gebe ich zu, auch das störendste und mühseeligste wäre.. Die Politik habe ich jetzt ganz aufgegeben, das ist ein fauler ungesunder Sumpf, von dem gern wegbleiben mag, wen die Pflicht nicht hineintreibt; vorläufig bin ich froh, wenn irgend wo etwas Gerechtigkeit, Vernunft und Heiligkeit wieder durchbricht, und die dicke Binde, mit der die Ate der Parteileidenschaft die Menschen blendet, sich hier und da ein wenig wieder lüftet."

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Helmholtz benutzte nun, wie er es geplant, die Weihnachtsferien zur Fortsetzung der im October unterbrochenen Versuche und konnte schon am 15. Januar 1850 du Bois einen kurzen Bericht „Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung" mit der Bitte übersenden, denselben der Physikalischen Gesellschaft vorzulegen und in ihren Acten als Prioritätswahrung zu deponiren". Zugleich übersandte er diese Notiz Johannes Müller für die Berliner und Alexander von Humboldt für die Pariser Akademie, indem er zunächst nur mittheilt, er habe durch Reizung des Nerven mittelst eines Stromes, den eine Drahtspirale bei der Oeffnung ihres eigenen Stromes in einer andern inducirte, mit Hülfe besonderer mechanischer Vorrichtungen gefunden, dass eine messbare Zeit und zwar 0,0014 bis 0,0020 einer Secunde vergeht, während sich der Reiz eines momentanen elektrischen Stromes auf das Hüftgeflecht grosser Frösche, deren Nerven 50 bis 60 Millimeter lang waren, bis zum Eintritt des Schenkelnerven in den Wadenmuskel fortpflanzt. Er macht bereits du Bois einige Andeutungen über eine grössere Arbeit, die Schwankungen des Muskelstromes betreffend, die er im Frühjahr zu vollenden hofft. In dem

selben Briefe spricht er seine Verwunderung darüber aus, dass Karsten in dem physiologischen Jahresbericht seine „Erhaltung der Kraft" zu den physiologischen Wärmeerscheinungen gestellt hat, und erzählt unter anderem: Einen hiesigen tapferen Mathematiker, der aber etwas confus in Bezug auf nicht mathematische Logik ist und der hierselbst die Mechanik vorträgt, habe ich nach schwerem Kampfe endlich zur Erhaltung der Kraft bekehrt, so dass dieselbe an hiesiger Universität wohl officinell werden wird. Dem Neumann ist etwas schwer anzukommen, er ist hypochondrisch, scheu, aber ein Kopf ersten Ranges.“

Wieder ist du Bois der Einzige, der jene äusserst kurz und nur zur Wahrung der Priorität abgefasste Notiz versteht: „Deine Arbeit, ich sage es mit Stolz und Trauer, ist hier in Berlin nur von mir verstanden und gewürdigt worden. Du hast die Sache nämlich, nimm es mir nicht übel, so maasslos dunkel dargestellt, dass Dein Bericht höchstens für eine kurze Anleitung zur Wiedererfindung der Methode gelten konnte. Die Folge war, dass Müller sie nicht wieder erfand, und die Akademiker nach seinem Vortrage sich vorstellten, Du hättest die Zeit, die auf den Vorgang im Muskel verfliesst, nicht zu eliminiren gewusst. Ich musste sie nach einander, Dove, Magnus, endlich Müller selbst, der gar nicht daran wollte, aufklären. In der Gesellschaft trug ich es vor, und es war wenigstens diese Schwierigkeit nicht vorhanden. Humboldt aber war ganz depaysirt und weigerte sich, Deine Schrift nach Paris zu schicken, worauf ich mich erbot, sie zur Verständlichkeit umzuarbeiten. Ich habe dies nun auf meine Verantwortung gethan, Du wirst bemerken, dass ich nicht ein einziges Detail zugesetzt, sondern mich streng an das von Dir Gegebene gehalten, dies aber inductorisch entwickelt habe. Die Anmerkung über die Geschwindigkeit in der Secunde ist nicht von mir, sondern von Humboldt. Und schliesslich spricht du Bois den Wunsch aus, dass Helmholtz bei seinen Untersuchungen bleibe, „denn

der Zug von Versuchen, in dem Du Dich befindest, ist ausnehmend glücklich; thue mir den Gefallen und bleib nun einmal consequent dabei; wir arbeiten nun einander ordentlich in die Hände, und so kann etwas zu Stande kommen." A. v. Humboldt sprach schon am 12. Februar 1850 Helmholtz seinen Dank für die Zusendung der Arbeit aus: „Es gehört Ihr Scharfsinn und Ihr Talent im Experimentiren mit den feinsten Vorrichtungen dazu, um Zeittheile zu messen, in denen die Nervenwirkung sich fortpflanzt. Sie werden mir und unserem gemeinschaftlichen Freunde du Bois verzeihen, wenn durch eine neue Abschrift er Einiges sprachlich richtiger und deutlicher gemacht, ohne im geringsten gewagt zu haben, zuzusetzen oder den Sinn zu verändern. Ich habe sogleich den Aufsatz durch die hiesige französische Gesandtschaft (Mr. de Persigny) mit einem sehr empfehlenden Briefe an Mr. Arago mit der Bitte gesandt, ihn bald der Akademie mitzutheilen und in die Comptes rendus einzurücken. Eine so merkwürdige Entdeckung spricht durch das Erstaunen, das sie erregt. An Verlängerung des Weges, wie bei den terrestrischen Fizeauschen Versuchen für Geschwindigkeit des Lichtes ist wohl nicht zu denken, weil unmittelbarer Uebergang in einen nahen Muskel nothwendig ist. . . . Wenn man 80 Jahr alt ist, wird man eilig in der Neugierde."

Dass diese kurze Mittheilung von Helmholtz wieder bei den älteren Physiologen und Physikern auf grossen Zweifel und Widerspruch stossen musste, war nicht zu verwundern. Hatte doch noch sechs Jahre früher Johannes Müller ausdrücklich erklärt, dass wir wohl nie die Mittel gewinnen werden, die Geschwindigkeit der Nervenwirkung festzustellen, da uns die Vergleichung ungeheurer Entfernungen fehlt, aus der die Schnelligkeit einer dem Nerven in dieser Hinsicht analogen Wirkung des Lichtes berechnet werden kann; er hielt die Zeit, in welcher eine Empfindung von den äusseren Theilen auf Gehirn und Rückenmark und die Rück

wirkung auf die äusseren Theile durch Zuckungen erfolgt, für unendlich klein und unmessbar. Und in der That, so lange die Physiologen die Nervenwirkungen auf die Verbreitung eines imponderabeln Agens oder auf ein psychisches Princip zurückführen zu müssen meinten, musste es unglaublich erscheinen, dass die Geschwindigkeit dieses Stromes innerhalb der kurzen Entfernungen des thierischen Körpers messbar sein sollte; aber die Untersuchungen von du Bois hatten es für Helmholtz mehr als wahrscheinlich gemacht, dass die Fortleitung einer Nervenreizung durch eine veränderte Anordnung der Molecüle wesentlich bedingt ist, und er musste schon daraus vermuthen, dass die Geschwindigkeit der Leitung messbar und sogar sehr mässig ist, da es sich um Molecularwirkungen ponderabler Körper handelte.

So ordneten sich auch diese Untersuchungen in die Kette der Gedanken und Anschauungen von Helmholtz ein, die fern von jeder metaphysischen Speculation nur auf die Ermittelung von Thatsachen gerichtet waren. Während nun gegen das Princip der Erhaltung der Kraft, welches ja auf demselben Gedankenfundamente erwachsen, die Gegner der Naturphilosophie sich erhoben, weil sie in dem Princip nur ein philosophisches Gedankenspiel ohne streng wissenschaftliche Basis erblickten, ist es interessant zu sehen, dass jetzt die streng physiologisch-physikalische Arbeit die Bedenken und Zweifel nicht nur der Physiologen, sondern auch der Naturphilosophen hervorruft, welche letztere Gedanken und körperliche Affecte zeitlich nicht zu trennen vermochten.

Man braucht sich zur Erklärung dieser Gegnerschaft eben nur die damals herrschenden Anschauungen über das Verhältniss der Naturwissenschaften zu einander, speciell der Physiologie zur Physik zu vergegenwärtigen; Helmholtz erzählt selbst, dass in jener Zeit ein durch bedeutende literarische Thätigkeit berühmter und als Redner und geistreicher Mann gefeierter Professor der Physiologie bei Gelegenheit eines Streites über die Bilder im Auge dem Physiker,

welcher ihn aufforderte, zu ihm zu kommen und den Versuch zu sehen, über dieses Ansinnen entrüstet geantwortet habe, ein Physiologe habe mit Versuchen nichts zu thun, die seien gut für den Physiker"; und dass ein Professor der Arzneimittellehre und Reorganisator der Universitäten, welcher Helmholtz bestimmen wollte, die Physiologie zu theilen, den eigentlich gedanklichen Theil selbst vorzutragen und die niedere experimentelle Seite einem Collegen zu überlassen, alle weiteren Versuche bei ihm aufgab, als dieser ihm erwiderte, er selbst betrachte das Experiment als die eigentliche Basis der Wissenschaft.

Nachdem sich endlich Johannes Müller und A. v. Humboldt, noch bevor er die ausführliche Ausarbeitung seiner Untersuchungen veröffentlichen konnte, von der Richtigkeit seiner Versuche überzeugt hatten, macht er seinem Vater am 29. März eine kurze Mittheilung darüber:

„Ich bin gegenwärtig wieder in Ferien für sechs Wochen und benutze diese Zeit, um meinen Fund in Betreff der Fortpflanzung der Nervenwirkungen fortzuführen, auf möglichst viele Fälle auszudehnen und zur Veröffentlichung fertig zu machen. Ich habe seit meiner ersten Sendung an die Berliner und Pariser Akademie die Sache bei Menschen studirt und es auch hier möglich gefunden, nachzuweisen, dass die Zeit, ehe eine Nachricht von einem Körpertheile her nach dem Gehirn kommt (z. B. 1/30 Secunde vom grossen Zehen), desto grösser ist, je entfernter derselbe ist, und dass auch wiederum eine Zeit vergeht, während welcher sich der Bewegung erregende Vorgang vom Gehirn durch den Nerven bis zu einem Muskel hin fortpflanzt. Ich denke während dieser Ferien noch mit den Versuchen und der Ausarbeitung fertig zu werden. Meine erste Mittheilung ist in den Monatsberichten der Berliner und den Comptes rendus der Pariser Akademie gedruckt, und ich habe darüber zwei sehr anerkennende Schreiben von J. Müller und A. v. Humboldt empfangen. Ich rechne mir diesen Fund als grosses Glück

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